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Ausgabe:

Dezember/2001

Spalte:

1240 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

InfoSekta [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

"Sekten", Psychogruppen und vereinnahmende Bewegungen. Wie der einzelne sich schützen kann. Was der Staat tun kann.

Verlag:

Zürich: NZN 2000. 328 S. 8. DM 39.00. ISBN 3-85827-135-7.

Rezensent:

Reinhart Hummel

In den letzten ein bis zwei Jahrzehnten ist das Sektenthema mehr und mehr auf die Agenda der europäischen Staaten geraten. 1998 erschien der Endbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Sogenannte Sekten und Psychogruppen". Auch ost- und westeuropäische Staaten sowie der Europarat haben sich mit dem Phänomen der Sekten und ähnlicher Gruppierungen auf unterschiedliche Weise befasst, wie man u. a. in der Zeitschrift "Religioni e Sette nel mondo" vom März 1998 nachlesen kann. Gern haben sie es nicht getan. Stets sahen sie sich zu einer Gratwanderung genötigt zwischen der verfassungsmäßig garantierten Religionsfreiheit, die keinen Unterschied zwischen Kirchen und Sekten kennt, und den Schutzbedürfnissen von Betroffenen, die gegenwärtig unter dem Stichwort "Opferschutz" neues Gewicht bekommen.

Die Selbstvernichtungsaktionen des Sonnentempler-Ordens von 1994-97 in der Schweiz und Kanada haben dazu beigetragen, dass auch im Land der Eidgenossen zunächst (1999) ein Bericht der "Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Nationalrats" erschienen ist, im Jahr 2000 die (überwiegend negative) Antwort des Bundesrates. Der hier zu besprechende Sammelband geht auf eine Tagung zurück, die 1999, nach dem GPK-Bericht, gemeinsam vom Zürcher "Verein Informations- und Beratungsstelle für Sekten- und Kultfragen" InfoSekta und der Paulus-Akademie unter dem Thema "Wie kann der Staat den einzelnen vor ,Sekten' schützen?" veranstaltet wurde. Der Band enthält erstens Referate, überwiegend aus dem Kreis von Juristen, Soziologen und Psychologen, die bei InfoSekta beschäftigt bzw. engagiert sind, zweitens Beiträge aus Bereichen von Staat und Gesellschaft, speziell aus Österreich, aus der Arbeit der Münchner Polizei sowie aus den Kantonen Basel und Genf, drittens Grundsatzreferate über die Einrichtung zentraler schweizerischer Sektenstellen und über die Gesundheitsgesetzgebung angesichts des wachsenden Angebots von Lebensbewältigungshilfen.

Am Ende steht ein Dokumentationsteil mit dem GPK-Bericht und der Antwort des Bundesrates sowie Auszügen aus dem Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages und aus den Empfehlungen des Europarates von 1999. Zusammen mit Listen über Literatur und Internet-Adressen zum Sektenthema ist ein informativer und anregender Band entstanden, der auch für Kenner der Materie lesenswert ist.

Die Diskussionslage ähnelt derjenigen über die deutsche Enquete-Kommission und braucht hier nicht noch einmal referiert zu werden (vgl. ThLZ 1, 2000). Schweizer Besonderheiten betreffen die Terminologie ("vereinnahmende Bewegungen") und die stärkere föderale bzw. kantonale Struktur. Der Nationalrat hat seine Weigerung, eine nationale Sektenpolitik zu formulieren und eine zentrale Sektenstelle einzurichten, auch mit dem Verweis auf kantonale Zuständigkeiten für Religion und für Gesundheit begründen können. Wie man hört, wird die Geschäftsprüfungskommission die Sache jedoch weiterverfolgen. In ihr hat sich, wie auch in ähnlichen Gremien, in der Auseinandersetzung mit der Materie und speziell mit Betroffenen ein Lernprozess vollzogen, der zu stärkerem Engagement geführt hat. Das letzte Wort der Schweiz zum Thema Sekten ist wohl noch nicht gesprochen.

Was die konkrete Arbeit von InfoSekta betrifft, soweit sie sich in diesem Band dokumentiert, so stört es, dass Hinduismus und Buddhismus zusammen mit Scientology unter "Esoterik" abgehandelt werden und der Verein sich für "die einzige professionell arbeitende Sektenberatungsstelle in der Schweiz" hält. Das Sektenthema ist viel zu heikel, als dass man es ohne theologische und religionswissenschaftliche Einsichten kompetent behandeln könnte.