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Ausgabe:

Dezember/2001

Spalte:

1239 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Feil, Ernst [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Streitfall "Religion". Diskussionen zur Bestimmung und Abgrenzung des Religionsbegriffs.

Verlag:

Münster-Hamburg-London: LIT 2000. VI, 189 S. gr.8 = Studien zur systematischen Theologie und Ethik, 21. Kart. DM 34,80. ISBN 3-8258-4525-7.

Rezensent:

Michael Hüttenhoff

"Streitfall ,Religion'" ist der stellenweise erweiterte und in den Literaturangaben aktualisierte Neudruck einer bereits 1995 in der Zeitschrift "Ethik und Sozialwissenschaften" erschienenen Diskussion über Ernst Feils Interpretation der Begriffsgeschichte von "Religion". Grundlage der Diskussion ist F.s Aufsatz "Zur Bestimmungs- und Abgrenzungsproblematik von ,Religion'" (3-35). Diesem Aufsatz folgen 24 Stellungnahmen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen (37-158). Abgeschlossen wird die Diskussion mit einer Replik F.s (159-179). - Der Ausdruck "religio" bezeichnet F. zufolge bis weit ins 18. Jh. hinein konstant die sorgfältige Beachtung von Bräuchen und Regeln. Doch nach 1700 sei ein Wandel eingetreten und der neuzeitliche Religionsbegriff, der vor allem für den Protestantismus bedeutsam geworden sei, habe sich entwickelt. Diese "Religion" zeichne sich "wesentlich durch ihre ,Innerlichkeit' aus" und gelte "als sublimste, subtilste, ,tiefste' Wirklichkeit des Menschen" (22). Nach F. wurde sie etwa bis in die Mitte des 20. Jh.s erfahren, doch dann sei sie an ihr Ende gekommen. In einem Postskriptum plädiert F. dafür, auf den christlichen "Glauben" statt auf die "Religion" zu setzen. Der "Glaube" stelle "von Anfang an durch die Geschichte hindurch die wesentliche Einstellung und Haltung von Christen" (27) dar.

F.s Erforschung der Begriffsgeschichte von "Religion" stellt eine historisch beeindruckende Leistung dar. Doch die religionsphilosophischen, religionswissenschaftlichen und theologischen Konsequenzen, die F. aus seinen Beobachtungen zieht, überzeugen m. E. nicht. Trotz F.s Replik scheinen mir die kritischen Äußerungen zu seinem Aufsatz tendenziell überzeugender zu sein als die zustimmenden. Das sei exemplarisch an zwei Punkten, die in den Stellungnahmen mehrfach aufgegriffen wurden, verdeutlicht:

1. Vermischung von Begriff und Sache: Mehrfach wird F. vorgeworfen (z. B. von H. Mynarek, 89, W. Pfüller, 108, und Fr. Ricken, 115), er vermische Begriff und Sache und leite aus der Begriffsgeschichte unzulässige Konsequenzen in Bezug auf die Sache ab. Die Kritik richtet sich unter anderem dagegen, dass F. eine Anwendung des in der Neuzeit entwickelten Religionsbegriffs auf Phänomene außerhalb des westlichen Kulturraums von ca. 1700 bis ca. 1950 ablehnt. In seiner Replik führt F. als grundsätzliches Argument zu Gunsten dieser Einschränkung an, dass wir Phänomene nicht erfassen können, ohne sie zugleich mit Hilfe von Begriffen zu interpretieren (vgl. 163 f.). Aber F.s Ausführung dieses Gedankens begründet nicht zureichend, warum die Interpretation kultureller Phänomene mit Hilfe von Begriffen, die anderen kulturellen Kontexten entstammen, unzulässig ist und folglich die Anwendung des neuzeitlichen Religionsbegriffs auf Zeiten und Kulturen, die den Begriff nicht kennen, zurückgewiesen werden muss.

2. Glaube statt Religion: Ich stimme F. darin zu, "daß ,religio' kein Urwort des Christentums ist und für dieses auch keine konstitutive Bedeutung beanspruchen kann" (177) und dass "für die christliche Tradition ,Glaube' die zentrale Kategorie" (27) darstellt. Allerdings sollte man besser von einem "zentralen Wort" statt von der "zentralen Kategorie" sprechen, denn weder im Neuen Testament noch in der Theologiegeschichte gibt es ein einheitliches Verständnis von "Glaube". Bezeichnenderweise sagt F. weder in dem grundlegenden Aufsatz (vgl. Mynarek, 93f., Ricken, 116) noch in der Replik, was er unter "Glaube" versteht. Aber auch wenn der Bedeutung des "Glaubens" für die christliche Tradition Rechnung getragen wird, bleibt die Frage, wie das Gemeinsame der "Religionen" thematisiert werden kann (vgl. H. Schrödter/I. Gniosdorsch, 128-130). Leider äußert sich F. nicht zu Ansätzen, die das Gemeinsame nicht mittels einer strengen Definition von "Religion" zu erfassen versuchen, sondern "Religion" als einen Familienähnlichkeitsbegriff verstehen (z. B. A. Jeffner, J. Oosten, N. Smart).