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Ausgabe:

Dezember/2001

Spalte:

1238 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Cohn-Sherbok, Dan

Titel/Untertitel:

Messianic Judaism.

Verlag:

London-New York: Cassell 2000. XII, 234 S. gr.8. Kart. £ 17.99. ISBN 0-304-70730-9.

Rezensent:

Andreas Feldtkeller

Ein wirklich bemerkenswertes Buch, das von völlig unverdächtiger Seite aus der weltweiten Diskriminierung einer religiösen Bewegung entgegentritt.

Bemerkenswert ist dies vor dem Hintergrund der aktuellen Situation in Deutschland, wo vermehrt kirchliche Entscheidungsgremien alles vergessen, was sich in den letzten 75 Jahren am christlichen Missionsverständnis gewandelt hat und pauschal dekretieren, dass Mission etwas sei, wovor Jüdinnen und Juden bewahrt bleiben müssen. Das unbedachte oder auch durchaus absichtliche Nebenprodukt solcher Verlautbarungen ist, dass erneut die Lage des messianischen Judentums zementiert wird als eine Religion-die-nicht-sein-darf.

Dan Cohn-Sherbok ist ordinierter jüdischer Rabbiner, Professor für Judentum an der University of Wales und Autor einer Vielzahl von Büchern, mit denen er sich international Anerkennung als jüdischer Gelehrter erworben hat, der die zentralen Gehalte seiner eigenen Religion im Kontext anderer Religionen verständlich zu vermitteln weiß.

Das hier zu besprechende Buch besticht durch eine sachlich-nüchterne Darstellung, die mit großer Selbstverständlichkeit die sonst zur Beschreibung gesellschaftlich anerkannter Religionen etablierten Methoden auf die Gruppe der weltweit 250.000 messianischen Jüdinnen und Juden überträgt und dabei die Kamera des zurückhaltenden Beobachters einfach weiterlaufen lässt, wenn sie auf Akte der Ausgrenzung oder Anfeindung stößt, die von jüdischer ebenso wie von christlicher Seite ausgehen. Aufmerksam geworden auf diese Bewegung ist C.-S. während eines Aufenthalts in den USA u. a. durch die Warnungen einer Anti-Kult-Organisation. Er begann das Phänomen zu untersuchen, besuchte Gottesdienste, interviewte messianische Rabbiner, ließ sich zu Kongressen einladen und studierte die einschlägige Literatur, die bis dahin nur entweder von Anhängern oder von Gegnern geschrieben war.

Das Buch ist gegliedert in drei Hauptteile. Der erste (1-85) schildert die Geschichte des messianischen Judentums beginnend mit der Jerusalemer Urgemeinde und mit der fortschreitenden Marginalisierung des Judenchristentums, die darin gipfelt, dass ab dem 4. Jh. Juden bei ihrer Taufe allem Jüdischen abschwören müssen. Die wichtigsten Quellen zu jüdischen Konvertiten im Mittelalter und der frühen Neuzeit werden gesichtet, bevor die Anfänge der christlichen Judenmission im 19. Jh. breiter zur Darstellung kommen. Es folgen die Gründungen judenchristlicher Organisationen und die langen Kämpfe darum, erneut als Christusgläubige eine jüdische religiöse Identität bewahren zu dürfen und sich nicht in die völlig unjüdische religiöse Praxis der Großkirchen hinein auflösen zu müssen.

Der zweite Teil (87-166) beschreibt die jüdische Observanz des messianischen Judentums, die mittlerweile aus diesen Kämpfen hervorgegangen ist: die Feier des Sabbat, der jüdische Festkalender, die Zeremonien im Lebenslauf und Gegenstände der persönlichen jüdischen Frömmigkeitspraxis werden darauf befragt, welche besonderen Formen sie bei Menschen annehmen, deren Leben nach der Torah geordnet ist und die dabei Jesus als den gekommenen und wiederkommenden Messias glauben.

Im dritten Teil (167-213) geht es um die Frage der Authentizität des messianischen Judentums als Judentum. Die Theologie des messianischen Judentums wird in ihrem Verhältnis zur jüdischen Tradition dargestellt, die Kritiker kommen mit ihren Argumenten zu Wort, die Rechtsstellung messianischer Juden im Staat Israel wird diskutiert und abschließend werden drei verschiedene Modelle jüdischer Haltungen zum messianischen Judentum vorgestellt. Es wird deutlich, dass aus der Sicht des orthodoxen Judentums das messianische Judentum als eine Form nicht-orthodoxen Judentums neben anderen betrachtet werden kann (die alle gleich falsch sind). In der Haltung des Reformjudentums und konservativen Judentums wird eine Inkonsistenz festgestellt, die es zwar für möglich hält, Atheist zu sein und Jude zu bleiben, aber nicht, an Jesus als den Messias zu glauben und Jude zu bleiben. Als drittes Modell wird eine "pluralistische" Position vorgestellt, die das messianische Judentum als eine von insgesamt sieben legitimen Richtungen des Judentums anerkennen kann. Auch an dieser Stelle gibt C.-S. seine zurückhaltende Beobachterposition nicht auf: Er spricht von den Pluralisten in der dritten Person. Seine Sympathien für dieses Modell sind daraus abzulesen, dass die einzige Graphik des ganzen Buchs (212) in einer Menorah besteht, über deren sieben Kerzen die sieben Formen des Judentums genannt sind einschließlich des messianischen Judentums.

Im Anhang befinden sich neben den etwas mühsam aufzufindenden Fußnoten ein überschaubares Literaturverzeichnis, ein sehr nützliches Glossar hebräischer Begriffe und ein Register.