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Ausgabe:

Dezember/2001

Spalte:

1233–1235

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Metzler Lexikon christlicher Denker: 700 Autorinnen und Autoren von den Anfängen des Christentums bis zur Gegenwart. Hrsg. von M. Vinzent unter Mitarb. von U. Volp u. U. Lange.

Verlag:

Stuttgart-Weimar: Metzler 2000. X, 821 S. gr.8. Geb. DM 78,-. ISBN 3-476-01706-0.

Rezensent:

Christiane Schulz

Lexika haben ihre eigene Spezifik. Was sich vordergründig nach einer Binsenweisheit anhört, verliert bei der näheren Beschäftigung mit dem Medium "Lexikon" schnell alles Banale. Mit welchen Intentionen nämlich Verlage bzw. die von ihnen Beauftragten Lexika herausgeben, welche Wissenschaftler herangezogen, ja welche Artikel überhaupt zur Erarbeitung verteilt werden, könnte unterschiedlicher kaum sein und sagt - wenn man die Zeichen deuten kann - einiges über das zu erwartende Ergebnis vorher. Auch ist immer interessant zu prüfen, welcher Leserkreis mit dem jeweiligen Nachschlagewerk erreicht werden soll.

Das Lexikon christlicher Denker reiht sich in eine Zahl vorliegender Publikationen des J. B. Metzler Verlages ein: so sind bereits ein Lexikon Religion, ein Lexikon antiker Autoren und ein Philosophen-Lexikon erschienen. Markus Vinzent, Herausgeber und Professor of Theology an der University of Birmingham, begründet in seinem Vorwort, welche christlichen Denker (und Denkerinnen) im vorliegenden Lexikon vor allem Eingang gefunden haben. Demnach waren für ihn vor allem "diejenigen Entwürfe von Interesse, die die eigene Perspektive in unerforschte Gebiete hinein verlängern oder sie radikal in Frage stellen" (Vorwort, IX). Dabei nimmt V. wissentlich in Kauf, dass der Leser Personen vermissen wird, "die in jedem Kirchenlexikon zu finden sind" (ebd.). Auch reflektiert er die Nähe und phasenweise Überschneidung zwischen philosophischen und christlichen Denkfiguren. Bis ins 19. Jh. hinein sei diesem Konnex auch Rechnung getragen worden. Etwas verwundert erfährt der Leser sodann, dass aber "für das 20. Jahrhundert allein aus Platzgründen auf viele Namen verzichtet werden" (ebd.) musste und Artikel zu Jaspers und Heidegger z. B. fehlen. Natürlich kann man sich zu den eben genannten Denkern auch anderswo informieren - an Literatur fehlt es wahrlich nicht. Nur gilt dies für die meisten letztlich mit Artikeln Bedachten ebenso. So bleibt auch bei diesem Lexikon die Auswahl umstritten. Eine explizite Angabe des Herausgebers zum Leserkreis fehlt im Übrigen im Vorwort.

Der erste Satz des Vorworts (nach dem etwas zu prominent platzierten Dank an die Wissenschaftskolleginnen und -kollegen) stellt sogleich die schon durch den Buchtitel implizierte Frage nach der Vereinbarkeit von Denken und christlichem Glauben, die im Folgenden schlaglichtartig erhellt wird. Für die heutige Zeit werden "für eine global vernetzte Menschheit ... ein erfindungsreiches Wissenschaftsmanagement und eine Erfahrenspädagogik von Religions- und Ethikkenntnissen" angemahnt, "an denen gerade einander sich Fremde orientieren können" (Vorwort, VII). Das klingt interessant, wenn auch etwas umständlich formuliert - argumentativ untersetzt wird es nicht. Da das Vorwort leider auch noch an weiteren Stellen sprachlich angestrengt wirkt, gereicht es zum Trost, dass viele der - inhaltlich und stilistisch qualitativ durchaus unterschiedlichen - Artikel in einem besser lesbaren Deutsch verfasst sind.

Der zweite Teil des konzeptionellen Vorworts widmet sich der Begründung von Artikel- und Autorenauswahl. An diesen Punkten ließe sich - wie bei jedem Lexikon - trefflich streiten. V. hat Autoren und Autorinnen "aus den verschiedensten auch nichtdeutschsprachigen Ländern, Traditionen, Konfessionen und weltanschaulichen Verortungen" (Vorwort, VIII) vereint. Positiv fällt auf, dass neben bekannten Fachkollegen vor allem die sogenannten Nachwuchswissenschaftler einbezogen worden sind. In der Regel muss den Autoren eine halbe bis ganze Seite ausreichen, um einen christlichen Denker oder eine Denkerin vorzustellen. Nur manchmal steht mehr Platz zur Verfügung: so z. B. für den Theologen Luther, den Philosophen Kant und den Soziologen Weber. Dass Ernst Troeltsch nur eine knappe Seite Platz eingeräumt bekommt - weniger als z. B. sein Zeitgenosse, der Philosoph und Soziologe Georg Simmel -, ist für ein Lexikon christlicher Denker allerdings schwer nachzuvollziehen. Es sei denn, Konzept wäre es, prominente Vertreter der wissenschaftlichen Theologie lediglich knapp zu erwähnen und weniger nachhaltig wirkenden Persönlichkeiten breiteren Raum zu gewähren.

Die Artikel des Lexikons ermöglichen natürlich nur einen ersten Grobüberlick über ein Leben. Obwohl anderes nicht zu erwarten war, ist damit ein Buch für Insider entstanden, die sich in theologischen und philosophischen Termini bereits heimisch fühlen (wer weiß sonst schon, was z. B. mit "markionitischem Doketismus" gemeint ist?). Besondere Sorgfalt erwartet man aus diesen Gründen bei den Literaturhinweisen. Leider sind auch diese von ganz unterschiedlicher Qualität und Quantität. Das ist schade, schließlich wäre hier das Eingangstor für die weiterführende Recherche zu vermuten. Als ungünstig erweist es sich zudem, bei Vornamen nur die Anfangsbuchstaben anzugeben (das ist zwar Platz sparend, macht die Suche aber mühsamer) und die Literaturangaben derart zu verknappen, dass nur denjenigen der schnelle Zugang ermöglicht wird, die mit der Sekundärliteratur ohnehin schon vertraut sind. Auch die Namen der auf dem Umschlag Abgebildeten sucht man vergeblich. Wer sie nicht zuzuordnen weiß, hat Pech.

Viele Artikel sind sehr informativ, sprachlich ansprechend und wissenschaftlich fundiert. Bekannte und weniger bekannte Namen kreuzen den Weg des Lesenden, Bekanntes und weniger Geläufiges liest man gern. Christliche Denkerinnen sind - im Vergleich zu anderen Lexika - überproportional vertreten. Die aktuelle Diskussion in der Theologie spiegelt sich hier - konzeptionell bedingt - nicht wider, noch lebende Theologen sind nicht berücksichtigt. Mitunter wird man das Gefühl nicht los, dass dem Zeitgeist nachgegeben wurde: Ein dreiseitiger Artikel über Hildegard von Bingen wäre in der Relation zu anderen Artikeln sonst nicht zu begründen. Wiederholt wären Verknüpfungen von Besprochenen untereinander wünschenswert gewesen (um nur ein Beispiel zu nennen: bei de Wette und Tholuck). Das hätte aber wohl eines noch aufwendigeren Lektorats bedurft, da eine derartige Bearbeitung der Artikel von den Autoren selbst nicht zu leisten war. Ein (hilfreiches) Register und ein Artikelverzeichnis beschließen den Band.