Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

November/2001

Spalte:

1212 f

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Schütte, Heinz [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Im Dienst der einen Kirche. Ökumenische Überlegungen zur Reform des Papstamts.

Verlag:

Paderborn: Bonifatius; Frankfurt/M.: Lembeck 2000. 232 S. 8. Geb. DM 39,80. ISBN 3-89710-126-2 u. 3-87476-364-1.

Rezensent:

Karl F. Grimmer

In turbulenten ökumenischen Zeiten - ich erinnere nur an die Diskussionen um die GER/GOF und "Dominus Iesus" - und angesichts eines sich dem Ende zuneigenden Pontifikats werden im vorliegenden Band Überlegungen zur Reform des Papstamts angestellt. Der dem Bischof von Rom zugeschriebene "Dienst der Einheit" spielt in den ökumenischen Gesprächen seit längerem eine bedeutende Rolle, zugleich stellt das Papstamt in seiner jetzigen Gestalt ein entscheidendes Hindernis für die Einheit der Kirchen dar. Die Autoren versuchen auf dem Hintergrund historischer und systematisch-theologischer Analysen gangbare Wege zur Reform des Papstamts aufzuzeigen.

Der einleitende Beitrag von Heinz Schütte (13-28) stellt den Kontext der Reformüberlegungen dar. Er nimmt dabei insbesondere Bezug auf Erwägungen von Joseph Kardinal Ratzinger sowie die Enzyklika "Ut unum sint" von 1995, in der Johannes Paul II. zum Gespräch über ein gemeinsames Verständnis des Petrusdienstes eingeladen hat, und benennt die entscheidenden Problemaspekte. Franz Georg Untergaßmair (29-49) stellt informativ die Rollen des Petrus im Neuen Testament vor; Stephan Otto Horn (51-69) schildert die Entwicklung des Verhältnisses von Papst und Episkopat im ersten Jahrtausend. Die Aussagen der lutherischen Bekenntnisschriften zu Papst und Kirchenstruktur werden von Horst Georg Pöhlmann (71-91) ebenso präzise und konzentriert dargestellt wie die ja durchaus differenzierte und sich verändernde Haltung Luthers zum Papsttum von Harding Meyer (93-110). Hans Waldenfels (111-129) rekapituliert die neuere Diskussion über das Papsttum unter historischen, systematischen und kirchenrechtlichen Aspekten, während Harding Meyer (131-158) das Gespräch über den päpstlichen Primat im katholisch-lutherischen Dialog analysiert. Ulrich Kühn (159-171) formuliert auf dem Hintergrund des Textes "Communio Sanctorum" der bilateralen Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der VELKD evangelische Erwartungen an einen gesamtkirchlichen Petrusdienst und Wolfhart Pannenberg (173-187) thematisiert die Voraussetzungen und Bedingungen, unter denen aus evangelischer Perspektive ein Dienst an der Einheit durch den Bischof von Rom vorstellbar ist. Peter Hünermann (189-217) konstatiert, dass Johannes Paul II. in der Enzyklika "Ut unum sint" die "Grenze der Leistungsfähigkeit des Petrusdienstes in jener Gestalt, die sie heute in der römischen Kirche nach dem ersten und zweiten Vatikanum besitzt, feststellt" (189), und entwickelt Grundzüge eines neuen Paradigmas des Petrusdienstes. Abschließend fasst Heinz Schütte (219-227) die Ergebnisse und Perspektiven der Beiträge thesenartig zusammen.

Alle Beiträge stimmen darin überein, dass die universale Kirche eines "Petrusdienstes" bedarf, der darin besteht, die Einheit der Kirche zu repräsentieren. Alle Beiträge setzen auch voraus, dass der Bischof von Rom historisch in die Rolle eines Zeichens der Einheit hinein gewachsen ist und ihm von daher zu Recht ein Ehrenprimat zukommt. Allerdings haben gewisse Entwicklungen in der westlichen Kirche dazu geführt, dass der Dienst der Einheit durch den Bischof von Rom nicht universal ausgeübt werden kann. Aus katholischer Perspektive werden dabei vor allem der Jurisdiktionsprimat und die Infallibilität genannt, aus reformatorischer Sicht die fehlende Unterordnung der päpstlichen Autorität unter die Autorität der Schrift, der Anspruch einer Vorrangstellung und der weltliche Herrschaftsanspruch (Kühn 161) bzw. das Aufstellen neuer Glaubenslehren (Pöhlmann 107 ff.). Nun haben sich die Einwände der Reformation gegen den Papst im Laufe der Geschichte und durch römische Interpretationen z. T. erledigt bzw. sind erträglich geworden, so dass gemeinsam nach einem neuen Verständnis des Papstamts gefragt werden kann. Dazu werden in den Beiträgen auch konkrete Vorschläge gemacht. Deren Realisierbarkeit setzt aber immer voraus, dass der Papst gegenüber den anderen Kirchen auf seinen Jurisdiktionsprimat verzichtet und sich infallibler Lehräußerungen enthält. Für die Universalkirche soll der Papst nicht auf Grund seiner Amtsgewalt, sondern seiner Autorität sprechen (Pannenberg 175 ff.).

Pannenberg (184) stellt fest, dass der Bischof von Rom auch ohne formelle Anerkennung als Anwalt der Einheit der Christen und "Sprecher der Christenheit" auftreten kann - und faktisch so bereits wahrgenommen wird -, wenn er die genannten Voraussetzungen erfüllt. Bei einer formellen Institutionalisierung einer derartigen Rolle darf man aber fragen, ob im Sinne der Kollegialität diese Funktion nur vom Bischof von Rom ausgeübt werden sollte oder nicht als Wahlamt eines ökumenischen Konzils konzipiert werden müsste, für das auch die protestantischen und orthodoxen Kirchen Kandidaten nominieren können (Pöhlmann 87 f.). Das würde weiter voraussetzen, dass die Kirchen der Reformation auch von Rom als Kirchen anerkannt werden. Hünermann schlägt als neues Paradigma eine deutlichere Unterscheidung der Rollen vor: Als Bischof von Rom besitzt der Papst Jurisdiktionsvollmacht, den Petrusdienst aber leistet er als "notarius publicus" und "testis qualificatus" (210 u. ö.). Hünermann erwartet sich von einem derartigen Paradigmenwechsel eine Verbesserung der stark eingeengten Handlungs- und Innovationsfähigkeit der katholischen Kirche, spricht als Katholik im eigenen Interesse und geht dabei weiter als manche protestantische Stimme.

Die Beiträge des Bandes nehmen immer wieder die Aussage Joseph Kardinal Ratzingers auf, dass von anderen Kirchen im Blick auf den Primat des Papstes nicht mehr gefordert werden dürfe, als im ersten Jahrtausend formuliert und gelebt wurde. Diese ursprünglich auf die Kirchen des Ostens bezogene Aussage ist von Kardinal Ratzinger zwar nicht zurückgenommen worden, wurde von ihm als Präfekt der Glaubenskongregation allerdings auch nicht wiederholt. Insofern bleibt dies eine schwankende Grundlage für Reformüberlegungen. Realistische Hoffnung auf eine Reform des Papstamts wird es wohl nur geben können, wenn der Aufforderung Waldenfels' entsprochen wird (116): "Der Papst darf selbst nicht schweigen." Im weiteren Gespräch darf es dabei nicht nur um die Ausübung des Amtes - wie in "Ut unum sint" angeregt - gehen, sondern muss das Amt selbst thematisiert werden (Kühn 160). Dazu liefern die Beiträge notwendige Informationen und anregende Vorschläge.