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Ausgabe:

November/2001

Spalte:

1204 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Eschmann, Holger

Titel/Untertitel:

Theologie der Seelsorge. Grundlagen - Konkretionen - Perspektiven.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2000. XI, 284 S. 8. Kart. DM 68,-. ISBN 3-7887-1799-8.

Rezensent:

Martina Plieth

Eine umfassende (kartographische) Erfassung der poimenischen Landschaft des 20. Jh.s ist bislang noch nicht überzeugend gelungen. Es gibt zwar viele detaillierte Einzeldarstellungen und Ausschnittsuntersuchungen, die das bisweilen zerklüftete Feld der Seelsorgelehre in den Blick nehmen helfen, aber eine "integrative theologische Gesamtschau" steht noch aus. Diese zu ermöglichen, ist das primäre Interesse von Holger Eschmann, der im Rückgriff auf trinitätstheologische Überlegungen dafür eintritt, aus einem bloßen Nebeneinander unterschiedlicher Zugänge zur Seelsorge ein geordnetes Miteinander zu entwickeln und auch das Verhältnis von Theologie und Humanwissenschaften befriedigend zu klären (siehe dazu 1 f.).

Den Auftakt dieses ,Mammutprojekts' bildet ein informativer Überblick über Schwerpunktsetzungen der evangelischen Poimenik im 20. Jh., in dessen Mittelpunkt die grundsätzliche Debatte um Kerygmatische und Therapeutische Seelsorge steht (5 ff.). Leser und Leserinnen bekommen hier - wie auch im weiteren Verlauf ihrer Lektüre - die Chance, wichtige praktisch-theologische Erkenntnisse - u. U. ganz neu - gebündelt wahrzunehmen bzw. an bereits Bekanntes sich zu erinnern. Sie werden mit einer Vielzahl von hilfreichen Literaturtipps versehen und erhalten Leitlinien für die Strukturierung eines verhältnismäßig unübersichtlichen Terrains.

Im zweiten Hauptteil seines Buches (26 ff.) skizziert E. trinitarische Überlegungen in neueren dogmatischen Entwürfen. Darüber hinaus gelingt es ihm, die Trinitätslehre als theologische Rahmentheorie für die Einordnung unterschiedlicher Seelsorgekonzeptionen in das Gesamt der Poimenik zu kennzeichnen. Er kreiert - durchaus nachvollziehbar - vor dem Hintergrund der Lehre von Schöpfer, Versöhner und Vollender, also von Vater, Sohn und Heiligem Geist, Überblick schaffende ,Zuordnungsräume' für Seelsorgetheorien und -modelle mit unterschiedlicher theologischer, empirisch-sozialer und personal-kommunikativer Dimensionierung.

Im nachfolgenden kurzen dritten Hauptteil von E.s Ausführungen (51 ff.) wird auf vorhandene "Vestigia trinitatis" in der gegenwärtigen poimenischen Literatur rekurriert. Die hier aufgezeigten Elemente trinitarischer Verankerung seelsorglicher Konstruktbildung bieten eine akzeptable Gliederungs- und Verortungshilfe für die sich anschließenden Darlegungen zur Seelsorge im Horizont von Schöpfung und Erhaltung (69 ff.), von Offenbarung und Versöhnung (117 ff.) sowie von Nachfolge und Heiligung (191 ff.). Wer sich auf deren mitunter akribische Explikation einlässt, erfährt eine Menge über klientenzentrierte Seelsorge, über Logotherapie und Existenzanalyse, die Bedeutung von Trost als spezifischer Seelsorgekategorie und den seelsorglichen Umgang mit Sünde, Schuld und Vergebung. Außerdem wird auch das - ansonsten häufig vernachlässigte - Verhältnis von Spiritualität und Seelsorge gesondert beleuchtet und durchaus erhellend reflektiert. Auf diese Weise entsteht ein informatives Kompendium, in dem wesentliche Strömungen der Poimenik des 20. Jh.s Berücksichtigung finden und in eine überschaubare Ordnung gebracht werden. - Das eingangs gegebene Versprechen, sie im Rahmen einer integrativen Gesamtschau miteinander zu vernetzen bzw. bereits vorhandene Beziehungslinien zwischen ihnen nachzuzeichnen, wird allerdings nicht vollends eingelöst. Die einzelnen überaus differenziert angelegten Kapitel bleiben - trotz struktureller Zuordnung zum zuvor erörterten trinitarischen Gefüge - inhaltlich weitestgehend unverbunden - ein Umstand, der wohl nicht zuerst dem Vf. vorliegender Publikation, sondern vornehmlich der von ihm ansonsten sorgfältig bearbeiteten Materie zuzuschreiben ist. Schließlich hat jeder Seelsorgeansatz ein spezifisches Gepräge und Gefälle und kann nicht ohne weiteres mit jedem beliebigen anderen verglichen oder sogar verknüpft werden. Eingedenk dieses Umstandes ist mit dem vom Vf. initiierten ersten Schritt vom bloßen Nebeneinander zum wohl geordneten Beieinander verschiedener Seelsorgekonzeptionen bereits ein wesentlicher Impuls für die neuere Poimenik und das in ihr spürbare Bemühen um eine integrative Gesamtschau gegeben worden.

Das gilt auch für die abschließend vorgebrachten Anmerkungen zum Verhältnis von Trinität und Seelsorge (253 ff.), in denen der Vf. aufzeigt, in welche Richtung er sich selbst und andere mit all seinen theologisch begründeten Poimenikgedanken bewegen möchte: Hin zu diagnostischer Kompetenz, die Sehen, Urteilen und Handeln im seelsorglichen Bereich auf der Grundlage transversaler Vernunft und mit Hilfe der Berücksichtigung trinitätstheologischer Überlegungen möglich werden lässt.

Es bleibt letztendlich ein wenig zu bedauern, dass die so anvisierte interessante ,Zukunftsschau' nicht ausführlicher dokumentiert worden ist. Aber vielleicht führt eben dieses Monitum dazu, dass in einem möglicherweise noch folgenden Seelsorgeband vom Vf. eingehender beschrieben wird, wie dies in konkreter Praxis vonstatten gehen soll und kann. Es gibt bestimmt viele, die weiterführende Ausführungen dazu ebenfalls überaus interessiert zur Kenntnis nehmen würden.