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Ausgabe:

November/2001

Spalte:

1193 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Kraus, Wolfgang, Altner, Günter, u. Meier Schwarz [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Bioethik und Menschenbild bei Juden und Christen. Bewährungsfeld Anthropologie.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1999. VI, 194 S. 8. Kart. DM 39,80. ISBN 3-7887-1731-9.

Rezensent:

Hubert Meisinger

Die vorliegende Veröffentlichung ging aus einem interdisziplinären und interreligiösen Kongress zum Thema "Bioethik und Menschenbild bei Juden und Christen" im November 1997 hervor. Deren Ausgangspunkt: die beiden Problemkreise "Ethik und Naturwissenschaften" und "Christlich-jüdische Begegnung", und Zielsetzungen: keine rein theologische bzw. naturwissenschaftliche Fachdiskussion, keine reine Expertendiskussion, keine binnenethische Diskussion, sondern ökumenischer, interreligiöser Horizont vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass "Katholiken, Juden und Protestanten sich darauf besinnen, dass sie trotz bestehender Differenzen an bestimmten Punkten vor gleichartige Fragen gestellt sind und dass sie am Ende dieses Jahrtausends - ohne ihre spezifische Identität aufgeben zu sollen - in bestimmten Fragen zusammenarbeiten können, ja dies müssen" (3), spiegeln sich in der vorliegenden Dokumentation der Tagung wider.

Sie beginnt mit Grundlegungen zum jüdischen bzw. christlichen Menschenbild und zur Begründung der Ethik: W. Kraus beschäftigt sich mit den Herausforderungen neuer Technologien und entwickelt über eine analoge Fortschreibung biblischer Texte Handlungskriterien einer angewandten Ethik für den Menschen nicht als homo faber, sondern als sich-empfangender Mensch, dem von seinem Schöpfer her Menschenwürde gilt. N. Rakover spricht aus halachischer Perspektive über den Menschen als einer Synthese aus Körper und Geist und betont die Gottebenbildlichkeit des Menschen als Grundlage ethischen Nachdenkens. Als Naturwissenschaftler stellt M. Schwarz aus jüdischer Sicht Überlegungen zum Menschenbild an. D. Mieth formuliert die ethische Relevanz des in einer säkularen Gesellschaft problematisch gewordenen "christlichen Menschenbildes" als Frage nach der christlichen Humanidentität, und Chr. Link spricht grundlegend über das Menschenbild aus evangelischer Sicht und unter dem Aspekt der Zukunft, "aus der wir leben oder an der wir scheitern werden" (71). G. Altner zeigt u. a. am Begriff der Menschenwürde Gegensätze zwischen ausgrenzender utilitaristischer Ethik und theologischer Ethik der universalen Lebenszusage auf, die in unserer Gesellschaft jedoch im kritischen Diskurs aufeinander verwiesen bleiben müssen.

Anschließend kommen die Möglichkeiten und Grenzen von Anwendungsgebieten biomedizinischer Methodik zur Sprache. M. Cremer führt anhand konkreter Situationen in die Motive, Erwartungen, Ängste und Konsequenzen einer Gendiagnostik ein. R. Kollek beschäftigt sich mit der Etablierung der experimentellen Genübertragung als medizinischem Heilverfahren vor dem Hintergrund eines "neuen genetischen Denken[s]" (97) und deckt eine Umdeutung zentraler Begriffe und Prozesse in die Begriffe der Molekularbiologie auf. M. Levinger und L. S. Geisler fragen im Zusammenhang der Organtransplantation kritisch nach Todeskriterien wie der Hirntod-Konzeption, die als anthropologisch fragwürdig angesehen wird. H. Goßler betrachtet die psychischen und sozialen Risiken der neuen Technologien für behinderte Menschen im Wechselspiel von therapeutischen und wissenschaftlichen Interessen. Sterbenlassen und Töten sind Themen des Beitrags von H. B. Wuermeling, während N. Rakover sich der Heiligkeit des Lebens und der Frage nach der Euthanasie aus jüdischer Perspektive zuwendet.

Schließlich wird der gesellschaftspolitische Aspekt und die aktuelle Diskussion um die Bioethik-Konvention des Europarates und die UNESCO-Resolution in den Blick genommen. Einerseits fragen R. Antretter und G. Schaich-Walch nach Kriterien, die unser öffentliches Handeln leiten können, wie z. B. das Leitprinzip des lebensdienlich Vertretbaren, und nach der Rolle einer Bundes-Ethik-Kommission. Andererseits wird die Vermittlung diesbezüglicher Inhalte und Kriterien im Bildungsbereich thematisiert: H.-J. Fischbeck charakterisiert verschiedene Arbeitsgruppen zur Bioethik an der Ev. Akademie Mühlheim, u. a. das internationale INES-Ethik-Kommittee (International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility). Anregungen für den Religionsunterricht der Sekundarstufe in Bezug auf "Sterbehilfe" gibt T. M. Schneider, indem er kritisch auf die Zeit des Nationalsozialismus zurückgeht, um dann die Brücke zum Heute zu schlagen. M. Stöhr schließlich formuliert Thesen zur Umsetzung der behandelten Problematik im Bildungsbereich und fordert dabei u. a. die Institutionalisierung von Ethik im Wissenschafts-, Technik- und Industriebetrieb zur Sensibilisierung der Gesellschaft.

Die Dokumentation endet mit einer Erklärung zu "Bioethik und Menschenbild bei Juden und Christen" und einer vergleichenden Übersicht über den Inhalt des Menschenrechtsübereinkommens und der UNESCO-Erklärung, die den wissenschaftlichen Diensten des deutschen Bundestages entnommen ist.

Sie ist eine Fundgrube für in der Regel pointierte, z. T. persönliche Darlegungen und Stellungnahmen von anerkannten Vertreterinnen und Vertretern der verschiedenen Disziplinen und Religionen bzw. Konfessionen in Bezug auf das formulierte Thema. Sie ermöglicht anhand der Breite ihrer Beiträge Eindrücke in unterschiedlichste Gedanken- und Handlungsmodelle und ist damit ein anregender Diskussionsbeitrag. Die formulierte Erklärung ist differenziert und besitzt auf Grund der engen Verquickung von interdisziplinären und interreligiösen Aspekten trotz teilweise bekannter Argumentationen auf dem Hintergrund der Einzelbeiträge ein begründetes Maß an Originalität.