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Ausgabe:

November/2001

Spalte:

1185 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Herzgsell, Johannes

Titel/Untertitel:

Dynamik des Geistes. Ein Beitrag zum anthropologischen Transzendenzbegriff von Karl Rahner.

Verlag:

Innsbruck-Wien: Tyrolia 2000. 354 S. 8 = Innsbrucker theologische Studien, 54. Kart. DM 61,50. ISBN 3-7022-2303-7.

Rezensent:

Josef Wohlmuth

Die ursprünglich noch von dem Freund Karl Rahners, Karl-Heinz Weger, betreute Dissertation wurde nach dessen Tod von Béla Weißmahr begleitet und im Wintersemester 1998/99 von der Hochschule für Philosophie in München angenommen (Zweitgutachter G. Sala).

Arbeiten zu Karl Rahner sind nach wie vor nicht überflüssig, zumal die Rezeption seines gewaltigen Werkes weltweit noch längst nicht abgeschlossen ist. Die hier vorgelegte Dissertation hat den großen Vorzug, unter dem Stichwort "Dynamik des Geistes" einen Einblick in die Leitlinien des philosophischen und theologischen Denkens Karl Rahners zu geben. Wer sich deshalb in den weitgespannten Gedankengang dieses Theologen einarbeiten möchte, wird in Zukunft mit großem Gewinn zu dieser Arbeit greifen können.

Wie von selbst ergibt sich eine Dreigliederung, in deren Rahmen dem Programmwort "Dynamik des Geistes" nachgegangen wird. 1. "Die philosophisch-fundamentaltheologische Gedankenentwicklung: Der Mensch als Wesen der Transzendenz" (15-168). 2. "Die gnadentheologische Gedankenentwicklung: Der Mensch als Wesen der übernatürlich erhöhten Transzendenz" (169-255). 3. "Die spirituell-theologische Gedankenentwicklung: Der Mensch als Wesen der geistlich erfahrbaren Transzendenz" (256-339). Da der Autor dankenswerterweise immer wieder kurze Zusammenfassungen gibt, und auch der Schluss den Gedankengang der Arbeit in 12 kurzen Thesen resümiert (341) möchte ich mir eine detaillierte Inhaltsangabe ersparen.

Tatsächlich stellt der Dreischritt der Arbeit deutlich heraus, was Rahner auch in Gesprächen immer wieder bestätigt hat, dass er sich nämlich nicht primär als Philosoph verstehen wollte, sondern als Theologe, der noch dazu entscheidende Impulse seines Denkens einer ganz bestimmten geistlichen Tradition, der ignatianischen Exerzitienfrömmigkeit und -mystik, verdankt. Bei der Lektüre der Arbeit verstärkt sich der Eindruck, dass man das Werk Rahners in beiden Richtungen lesen könnte: von der philosophisch-fundamentaltheologischen zur spirituellen Dimension und umgekehrt. In der Mitte finden sich allemal jene Problemfelder, in denen das "Zusammenkommen"- um an die Sprache Chalkedons zu erinnern - zweier Denkbewegungen zu bewältigen ist. In dieser Mitte muss gezeigt werden, inwiefern der Mensch in seiner ganzen Unbegreiflichkeit als "Wesen der Transzendenz" und der "Selbstmitteilung Gottes" - sei es in hypostatischer Union (in Jesus Christus), sei es in ungeschaffener Gnade (im einzelnen, begnadeten Menschen) - dennoch nicht das völlig widersprüchliche Wesen ist.

Herzgsell geht dem Rahnerschen Ansatz in den frühesten Phasen der 30er Jahre zunächst philosophisch nach und stellt das philosophische Denken vor allem nach "Hörer des Wortes" und "Geist in Welt" dar, indem er auf vier (von sechs) Fragen antwortet, die eingangs (14) als Leitfragen bezüglich der menschlichen Transzendenz gestellt wurden: 1. Die menschliche Transzendenz lässt sich transzendentalphilosophisch aufweisen und in existentiellen Hinweisen erschließen. 2. Das Wesen der menschlichen Transzendenz besteht in der dynamischen Offenheit und Verwiesenheit auf das Unendliche. 3. Im Erkennen und Wollen hat die Transzendenz ihr Woraus. 4. Das Bewusstsein bezüglich der menschlichen Transzendenz ist primär transzendental und sekundär kategorial (vgl. 162-168).

In den Analysen des Mittelteils treten zwei zentrale Problemfelder ins Zentrum: das Theorem vom "übernatürlichen Existential" und das der "Selbstmitteilung Gottes". Damit beantwortet der Autor die fünfte Leitfrage nach der Übernatürlichkeit der menschlichen Transzendenz. Das Ergebnis, zu dem H. hier kommt, führt ihn jedoch zu einer vorsichtigen Kritik des Rahnerschen Aufweises, indem sich von der Offenheit des Menschen her - "natürlich" gesehen - eine Dynamik der Unerfüllbarkeit ergibt, hingegen von der Begnadung her - "übernatürlich" gesehen - eine Erfüllung nahelegt. (250; vgl. 250 f.) Damit tut sich eine Problematik auf, die m. E. die gesamte Theologie Rahners (und vielleicht die Theologie überhaupt) betrifft: der Mensch findet sich vor als dynamisches Wesen auf dem Weg zur "visio beatifica" und soll zugleich bereits im Besitz der göttlichen Selbstmitteilung sein, die gerade nicht partialisiert werden kann. Das Problem zeigt sich in der kurz gestreiften trinitätstheologischen These Rahners ebenso wie in der von H. so luzid herausgearbeiteten These der Identität von Gottes- und Nächstenliebe, in der Gott dennoch nicht mit dem Mitmenschen verwechselt oder mit ihm gleichgesetzt werden darf. Das Problem zeigt sich nicht zuletzt auch in jener Logik der existentiellen Erkenntnis, die Rahner in seiner Exerzitieninterpretation herausgearbeitet hat, wonach sich Gott in der "Trosterfahrung" unverwechselbar dem Geschöpf zu erkennen gibt und zugleich gerade so erst eine Dynamik des Gottsuchens und des Tuns der Liebe bis hin zur Kenose in Gang bringt. Auf diesen großen Zusammenhang aufmerksam gemacht zu haben, macht die Arbeit höchst lesenswert. Aber die Frage, ob es so etwas wie eine graduelle Gottunmittelbarkeit (vgl. These 10, 341) geben könne, hätte m. E. weiter vertieft werden müssen.

Insgesamt zeichnet sich die Arbeit dadurch aus, dass sie - beinahe in der Methode der Einfühlung - die wirklich entscheidenden Theoreme des Rahnerschen Denkens und seiner Kohärenz herausgearbeitet hat. Diesbezüglich werden alle Leserinnen und Leser aus dieser Arbeit belehrt hervorgehen und sie werden auch in der Lage sein, weitere Fragen Rahners besser einzuordnen und zu verstehen. Dieses Verdienst der Arbeit möchte ich mit Nachdruck hervorheben.

Was mich hingegen eher verwundert, ergibt sich aus dem Blick in die aufgelistete Sekundärliteratur und aus dem Umgang damit in der Arbeit. Aus dem dankenswerterweise angefügten Autorenregister ist nämlich zu ersehen, dass von einer Reihe der aufgeführten Arbeiten nur sehr sparsam Gebrauch gemacht wurde. Der Verdacht legt sich nahe, dass der Autor "von außen" kommende Kritik an Rahner nicht recht zum Zuge kommen lassen wollte. So wird etwa die in den verschiedenen Auflagen seiner Fundamentaltheologie vorgetragene und inzwischen breit diskutierte Rahnerkritik H. Verweyens völlig ausgeblendet. Um noch ein weiteres Beispiel zu nennen: Die Arbeit von E. Dirscherl wird nur pauschal für die Darstellung Rahners in Anspruch genommen; die an Rahner von Dirscherl herangetragenen, zumal philosophischen Anfragen, spielen hingegen überhaupt keine Rolle. Dabei würde sich doch gerade auf dem Hintergrund der von H. so stark gemachten Betonung der Liebe bei Rahner sehr wohl fragen lassen, ob eine gewisse Logozentrik des transzendentalen Ansatzes des frühen Rahner nicht zu dessen eigenem Vorteil mit jenen phänomenologischen Versuchen ins Gespräch gebracht werden sollte, die sich um eine Priorität von Gegebenheit und Gabe bemühen. Die von der Hochschule für Philosophie angenommene Arbeit hätte sich also zu ihrem eigenen Vorteil an manchen Stellen philosophisch-kritischer geben können. Sonst könnte sich im Umkreis des Ordens eine Rahnerrezeption herauskristallisieren, die der Dynamik des Rahnerschen Denkens über sich selbst hinaus nicht genügend gerecht wird.