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Ausgabe:

November/2001

Spalte:

1180–1182

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Green, Cliffort, J.

Titel/Untertitel:

Bonhoeffer. A Theology of Sociality. Rev. Edition.

Verlag:

Grand Rapids: Eerdmans 1999. XVIII, 392 S. gr.8. Kart. $ 28.-. ISBN 0-8028-4632-7.

Rezensent:

Wolf Krötke

Dieses Buch ist eine Neuausgabe und teilweise neu bearbeitete Fassung der Dissertation des Vf.s. aus dem Jahre 1971 (vgl. The Sociality of Christ and Humanity: Dietrich Bonhoeffer's Early Theology, 1927-1933, New York; Missoula 1975). Die Neubearbeitung besteht einerseits darin, dass die Auseinandersetzungen mit der Bonhoeffer-Literatur der fünfziger- und sechziger Jahre durch kurze Summarien ersetzt wurden (vgl. 12 f.). Andererseits sind die Zitate an die deutsche bzw. englische Bonhoeffer-Werkausgabe (DBW) angeglichen worden. Neu verfasst wurde nur das letzte, kurze Kapitel über die Ethik Bonhoeffers (vgl. 301-327), dessen Ziel der Vf. selbst "begrenzt" nennt (vgl. 327). Es soll zeigen, dass die Theologie der Sozialität auch für die Themen der Ethik relevant ist. Diese Themen werden aufgezählt, aber für die These der Arbeit nicht begründend in Anspruch genommen. Die Behauptung, dass man bei Bonhoeffer zwischen einer Widerstands- und einer Alltagsethik zu unterscheiden habe (vgl. 304 ff.), wird freilich zu diskutieren sein.

Über diese Hinzufügung zur Originalfassung hinaus sind dem Buch in einem Anhang 17 Briefe beigegeben (vgl. 329-363), die 1998 im Nachlass von Paul Lehmann gefunden wurden. Darunter sind Briefe von Erwin Sutz, Sabine Leibholz und Paula Bonhoeffer. Der Briefwechsel zwischen Lehmann und Bonhoeffer selbst aus den Jahren 1932 und vor allem 1941 dürfte von besonderem Interesse sein. Insofern gibt der verdienstvolle Mitherausgeber der Bonhoeffer-Werkausgabe hier (und auch in der Einleitung zum Ethik-Kapitel) einen Einblick in die aktuelle Bonhoeffer-Forschung und die andauernde Recherche nach Bonhoeffer-Texten. Ansonsten hat er weitgehend darauf verzichtet, die Thesen seines Buches zu den vielen Bemühungen um Bonhoeffers Theologie in den letzten 30 Jahren in Beziehung zu setzen. Platz dafür wäre in dem an Wiederholungen reichen Text allerdings durchaus zu schaffen gewesen.

Wie schon der Titel ausweist, liegt hier der Versuch vor, Bonhoeffers Theologie im Ganzen auf einen Nenner zu bringen. Sie ist eine "Theologie der Sozialität" und zwar in allen Phasen von Bonhoeffers Weg. Der Vf. kommt zu dieser Ansicht, indem er Bonhoeffer von seinem "frühen Werk" in den Jahren von 1927-1933 her interpretiert. In dieser Zeit hat seine Theologie sowohl ihre wissenschaftliche Grundlegung wie auch ihre besondere biographisch bedingte Ausprägung erhalten. Die "Nachfolge" von 1937 und die Gefängnisbriefe können von ihr her erschlossen werden (vgl. 13-17). Die verschiedenen Schwerpunkte, die Bonhoeffer in diesen Arbeiten setzt, erscheinen so als Variationen einer kontinuierlichen theologischen Denkweise.

Den Begriff der Sozialität erarbeitet der Vf. auf der Grundlage von Bonhoeffers Dissertation "Sanctorum communio" und seiner Habilitation "Akt und Sein" (vgl. 19-103). Es handelt sich um eine anthropologische Kategorie, die Bonhoeffer vom "dialogischen Personalismus" ausgehend so verwendet, dass eine Person wesenhaft in Relation zu anderen existiert (vgl. 30). Dieses Verständnis von Sozialität wendet er durchgehend auf theologische Sachverhalte an, indem er Gott in Christus als eine die Sozialität der Geschöpfe, der glaubenden Menschen und der Kirche begründende Wirklichkeit versteht. Insofern gilt: "he develops a theological phenomenology of the personal-social character of human existence rooted in a social interpretation of God's relation to humanity in Christ" (63). "Akt und Sein" knüpft daran an.

Der zentrale Fokus dieses Buches ist die theologische Anthropologie (vgl. 70), die Bonhoeffer hier zu einer "sozialen Ontologie" (vgl. 101) entwickelt hat. Das Sein Gottes und des Menschen werden "in the social relationships of historical, human communities" (102) verstanden. Der isolierte, in sich selbst gefangene Mensch ist demgegenüber der Mensch "in Adam", auf dessen Befreiung zu wahrer Sozialität Gott in Christus zielt. Dieses Grundmodell des theologischen Denken erhält- so wird weiter dargelegt - ihr besonderes Profil durch Bonhoeffers persönliche Wende zu einem selbst vollzogenen Christsein im Jahre 1932, die mit den Erfahrungen des beginnenden Kirchenkampfes zusammenfällt. Der Vf. misst ihr eine hohe Bedeutung zu und beschreibt sie im 4. Kapitel eindrücklich mit einer Wendung aus "Widerstand und Ergebung" (vgl. DBW 8, 397) unter dem Titel "From the Phraseological to the Real" (105-184). Entscheidend sei für Bonhoeffer in dieser Zeit die Frage geworden, wer Macht über den Menschen ausübt. Nicht das selbstzentrierte Ich, das sich in seiner menschenzerstörenden Art im Nationalsozialismus zeigte, sondern die Befreiung zu wahrer Sozialität durch Christus ist die Macht, die dem Menschen zu Gute kommt (vgl. 125). Durch den Gehorsam gegenüber der Macht Christi kommt der Mensch in die Realität des Christseins im Vollzug von Gemeinschaft hinein (vgl. 160 f.). Somit verbindet sich das Konzept der Sozialität mit dem der "Nachfolge", das in der Sicht des Vf.s ebenfalls eine Schlüsselstellung für das Verstehen der Theologie Bonhoeffers inne hat. Das soteriologische Problem, welche Macht den Menschen bestimmt, wird umfassend von der Autorität Christi her entschieden. Wie sich das im Leben auswirkt, hängt freilich davon ab, ob hierbei der "powerful Christ" oder der "weak Christ" vor Augen steht (vgl. 184). In der "Nachfolge" von 1937 dominiert, wie leicht zu zeigen ist, der erstere; in der "theologia crucis" von "Widerstand und Ergebung" aber der schwache Christus "für andere", der Menschen zur Mündigkeit und zu einem "religionslosen Christentum" befreit. Damit sind die Koordinaten des anthropologisch-christologischen Denkens Bonhoeffers beschrieben, in denen dann im 5. Kapitel vor allem die Christologievorlesung sowie "Schöpfung und Fall" (vgl. 185-246) und im 6. Kapitel die Theologie der Gefängnisbriefe (vgl. 247-299) interpretiert werden.

Es ist gar keine Frage, dass der Vf. mit diesen Interpretationen einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des theologischen Denkens Bonhoeffers geleistet hat, der ja auch schon wirksam geworden ist. Er widerstreitet der Tendenz, den weltweit am meisten gelesenen und in der kirchlichen Praxis breit präsenten Theologen für alles Mögliche in Anspruch zu nehmen und im Unsystematischen geradezu das Lehrreiche seines Denkens zu sehen. G. kann überzeugend einen inneren Zusammenhang nicht nur des Denkens, sondern auch des Denkens und der Biographie Bonhoeffers aufweisen, der verständlich werden lässt, warum zwei scheinbar gegensätzliche Intentionen seiner Theologie doch keinen Gegensatz darstellen. Diese gegensätzlichen Intentionen sind der kompromisslos durchgehaltene christologische Ansatz auf der einen Seite und das ebenso kompromisslose Geltendmachen erfahrbarer Wirklichkeit auf der anderen. Ob "Theologie der Sozialität" für dieses spannungsvolle Miteinander wirklich ein guter Begriff ist, mag man fragen. Denn es gibt genügend Belege in Bonhoeffers Theologie, die zeigen, wie das Christologische auch das Sozietäre sprengt - manchmal sogar fragwürdige Belege, wie etwa die Mandatenlehre, die ich nicht so positiv beurteilen kann, wie es in diesem Buch geschieht (vgl. 323-325). Und so dürfte auch gelten: Die Sozialform des Denkens bei Bonhoeffer wäre theologisch irrelevant, wenn sie sich für ihn nicht christologisch erschließen würde. Der Vf. gibt dem ja auch selbst Ausdruck, indem er die "Theologie der Sozialität" am Ende christologisch definiert: Sie bedeutet: "Christ is the presence of transforming transcendence in the world, liberating people individually and coporately from self - serving and dominating power so that true freedom, love, and responsibility is a really new and present possibility in history" (285).