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Ausgabe:

November/2001

Spalte:

1169 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Fata, Márta

Titel/Untertitel:

Ungarn, das Reich der Stephanskrone, im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Multiethnizität, Land und Konfession 1500 bis 1700. Hrsg. von F. Brendle, A. Schindling.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2000. IX, 359 S. m. 8 Ktn. 8 = Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung, 60. Kart. DM 59,-. ISBN 3-402-02981-2.

Rezensent:

Zoltán Csepregi

Das Handbuch "Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500-1650. 1-7." ist wohlverdient zum anerkannten Hilfsmittel der Historiker und Theologen geworden. Die Herausgeber der Reihe "KLK" haben vor, Ergänzungsbände über Länder außerhalb des Reichs nach dem Vorbild des erwähnten Werkes zu publizieren. Als Erstling dieses Projekts ist die Arbeit von Márta Fata anlässlich des ungarischen Millenniums (Jubiläum der Krönung des heiligen Stephanus) erschienen.

Die Mitarbeiterin des Tübinger Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde kennt und benutzt auch die einschlägige ungarischsprachige Literatur, verweist aber den Leser meist auf weiterführende deutsche, englische und französische Lesestoffe. Auch der des Ungarischen mächtige Forscher kann der Autorin dankbar sein für die Vermittlung der Ergebnisse der kroatischen, slowakischen oder rumänischen Untersuchungen. Das Buch weist alle Vorteile der vorausgehenden Bände auf: klare Gliederung, handbuchartige, sachliche Formulierung, wissenschaftliche Objektivität und einen reichen, informativen Apparat. Der Band enthält zahlreiche historische Karten, eine Chronologie, eine Archontologie sowie eine gut überblickbare, fast lückenlose Bibliographie, die sowohl die ältere als auch die neueste Literatur berücksichtigt.

In der Gliederung setzt sich eine Kombination der chronologischen und der territorialen Orientierung (königliches Ungarn, türkisches Eroberungsgebiet, Siebenbürgen, Kroatien) durch. Der zeitliche Rahmen wurde hier bewusst weiter gesteckt als im vorausgehenden Gesamtwerk, damit auch die auf Dauer gültigen (epochalen) politischen Regelungen berücksichtigt werden können, wie der Ödenburger Landtag (1681), das Diploma Leopoldinum (1691) und der Frieden von Karlowitz (1699). Es wechseln sich knappe Überblicke ab mit ausführlicher bearbeiteten thematischen Einheiten, wie die den einzelnen Städten (Bartfeld, Kronstadt, Klausenburg, Ödenburg, Debreczin, Tolna, Ofen, Weißenburg) und Magnaten (den Nádasdys, Gabriel Perényi) gewidmeten Kapitel. Besonders wertvoll sind die sich auf - territoriale oder konfessionelle - Randgebiete konzentrierenden Abschnitte, wie die Beschäftigung mit Kroatien und Slawonien oder die Untersuchung der Kontakte zur Ostkirche.

Die Vfn. nimmt die Herausforderung wahr, viele Konfessionen und Nationalitäten des ehemaligen Königreichs Ungarn in historischer Einheit darzustellen, läuft damit aber Gefahr, die traditionellen Überlieferungen der nationalen oder konfessionellen Geschichtsschreibungen zu verletzen. Der Vfn. ist bewusst, welche heiklen Fragen sie diskutieren muss: "Die protestantische [das Attribut kann nach Belieben und Geschmack ersetzt werden, Z.Cs.] Historiographie schrieb nämlich seit Jahrhunderten Daten und Fakten fort, die sich bei einer gründlichen Nachprüfung als falsch erweisen." (291)

Die übernommene Aufgabe scheint die Vfn. jedoch glänzend zu lösen. Die Darstellung ist so unparteiisch und ausgeglichen wie möglich. Es muss hervorgehoben werden, wie musterhaft die Orts- und Personennamen im Werk gebraucht werden: Im Text findet man die geläufigen deutschen Formen, im Register aber kommen alle gebräuchlichen (magyarische, slawische, rumänische) Varianten vor (vgl. VIII) - ein seltenes Beispiel für korrekte praktische Behandlung des Problems "Multiethnizität"!

Auf der anderen Seite kommt diese Neutralität dem Benutzer nicht immer zu Gute. Die Vfn. versucht zwar immer eine communis opinio mitzuteilen, weist aber gleichzeitig fast nie auf die verschiedenen Meinungen hin. Sie findet eine via media auch da, wo die Standpunkte nicht zu vereinbaren sind (151 f.). Besonders peinlich sind solche Fälle, wo ein längst überholter Forschungsstand den Mittelweg bietet (145, 168 f.). Das Buch schließt zwar mit einem knappen Forschungsbericht, das bedeutet aber leider keinen Ersatz dafür, dass offene Fragen verschwiegen werden. Obwohl die Vfn. hier dringende Forschungsdesiderate aufzählt und sich darüber im Klaren zu sein scheint, dass die schwierigsten Probleme in bereits geleisteten Forschungen stecken und daher eine erneute Beschäftigung mit den Quellen verspricht, schreibt sie selber doch oft "unbrauchbare Forschungsergebnisse" (291) fort. Dieses Verfahren verwirrt den Leser, der ohne weitere Orientierung unter veralteten und neuen Standpunkten nicht unterscheiden kann.

In der Zeittafel "Hohe Schulen" (12) lässt sich leicht beobachten, dass sich die Vfn. allzuviel auf unzuverlässiges Handbuchwissen stützt. Dass in den 1530er Jahren kein reformiertes Kolleg in Ungarn existierte, steht außer Zweifel. Es fehlen überhaupt Käsmark (1533-1674 und seit 1682 lutherisch) und Ödenburg (1557-1950 mit ähnlicher Unterbrechung lutherisch), wo auch Theologie betrieben wurde, während es in Preschau auch vor der Gründung vom Gymnasium illustre (1667) und nach 1682 wieder eine hochschulartige Ausbildung gab, bis 1920 die Akademie nach Budapest und Miskolc verlegt wurde. (Es fragt sich, ob man noch Lyzeen wie Bartfeld, Kronstadt, Neusohl und Pressburg als "hohe Schulen" betrachten könnte, weil auch sie für längere oder kürzere Zeit die Theologie als Unterrichtsstoff behandelten.)

Trotz mancher solcher Schwächen kann man nur hoffen, dass der vorliegende Band den Lesern und Leserinnen Anstöße geben wird, zu den Quellen zu greifen und die von der Vfn. bekannt gemachten Forschungsdesiderate zu bearbeiten. Einen größeren Verdienst kann sich keiner wünschen!