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Ausgabe:

November/2001

Spalte:

1147–1149

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Eckey, Wilfried

Titel/Untertitel:

Die Apostelgeschichte. Der Weg des Evangeliums von Jerusalem nach Rom.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2000. Teilbd. 1: Apg 1,1-15,35. XII, 340 S. 8. Kart. DM 48,-. ISBN 3-7887-1780-7. Teilbd. 2: Apg 15,36-28,31. IX, 339 S. 8. Kart. DM 48,-. ISBN 3-7887-1796-3.

Rezensent:

Gottfried Schille

Der für einen breiteren Leserkreis geschriebene Kommentar (Umschlagtext) hat Vorzüge und Nachteile. Bedauerlicherweise stehen die Verzeichnisse erst im 2. Band (Literatur II, 627-668, Namen- und Sachregister in Auswahl II, 669-679), so dass das Beachten der Fußnoten wegen der Kurzfassung der Literaturangaben hier nur dessen Besitzer möglich ist. Gegenteilige Positionen werden bis auf verschwindende Ausnahmen nicht genannt und folglich auch nicht diskutiert. Dagegen werden religionsgeschichtliche Vergleichstexte wie in einem Lesebuch zu den antiken Realien breit vorgeführt, ins Deutsche übertragen, und zwar auch dann, wenn es sich um keine wirklichen Analogien handelt (zum Beispiel ist die Himmelfahrt Christi auch nach dem Autor keine Apotheose). Dabei sind die jüdischen und griechisch-römischen Hintergründe in der Regel nach dem neuesten Stand des Wissens erfasst. Hierin liegt die eigentliche Stärke des Werkes, das man als Realiensammlung für die religionsgeschichtlichen Hintergründe des Textes empfehlen kann. Der auszulegende Text dagegen wird in der Regel nur paraphrasiert, falls er nicht, wie üblicherweise zu Apg 15, zu historischen Rückfragen von Gal 1 f. her nötigt. Textinterne oder zu anderen neutestamentlichen Texten feststellbare Widersprüche benennt E. nur selten und oft auch nur so, dass nur der Kundige dies erkennt. Eine Ausnahme bildet hier die Auslegung der Areopagrede Apg 17, die zu den Höhepunkten des Kommentars zählt. Das alles lässt sich am einfachsten aus der Gesamtanlage erklären, die nicht auf wissenschaftliche Diskussion, sondern auf Information zielt. Nach einer knappen Einleitung (I, 1-39) folgt der Kommentar, das ist die Übersetzung des Textes mit Hinweisen auf abweichende Lesarten, breitere Bemerkungen über die "Feingliederung" und die Traditionsgrundlage, endlich die Textparaphrase. Um zwei lobenswerte Einzelheiten voranzustellen: Das Ziel der Laieninformation wird im Wesentlichen erreicht, und der Autor verzichtet dankenswerterweise durchweg auf Polemik.

Mehrere Eigenarten bestimmen die Arbeit. Ich nenne die folgenden:

1. Auf lukanisches Geschick wird zurückgeführt, dass die Kommentatoren bisher keine Einigung über die Gliederung seines Werkes gefunden hätten. Gleichzeitig will der Autor auf lukanische Signale an die Leser achten. Doch im Vollzug habe ich keinen entsprechenden Hinweis beobachtet. Auch der Mangel an Gliederung ist mir bisher offensichtlich entgangen, obgleich ich die Menge der in den letzten Jahrzehnten erschienenen Kommentare zur Apg zu kennen meine. Möglicherweise denkt der Autor an das von ihm vorgelegte Filigran der Feingliederungen.

2. Zu den Eigenarten der Arbeit gehört, besonders auf die Geschichtlichkeit des Besprochenen zu achten (Klappentext). Allerdings fallen die Entscheidungen öfter vage aus ("vielleicht", "wohl" usw.), und bei den Angaben über die Traditionsgrundlage wird alles noch unsicherer. Einzig beim Urteil über die griechisch-römischen Historiker (Vorwort I, 20 ff.) wird E. präzis. Lukas gehört zu den "mimetischen" Historikern (I, 25): "der Verfasser stellt dem Leser tüchtige Leistungen vor, die nicht vergessen werden sollen" (I, 24). Er schildere "in der Antike einmalig" (I, 21) die Anfangszeit einer jungen religiösen Bewegung. Das kollidiert dann allerdings mit der späteren Einzelauslegung, weil der Autor immer wieder vor allem die jüdischen Hintergründe so hervorhebt, als beschreibe Lukas statt "Aposteltaten" eine fest im jüdischen Dachverband verbliebene Ekklesiola in Ekklesia. Außerdem trifft der Zielsatz den Punkt, in welchem sich das lukanische Werk vom griechisch-römischen Umgang mit der Historie abhebt, kaum. M. E. ist die Differenz darin begründet, dass Lukas zum ersten Mal in der Antike eine radikal lineare Darstellung vorlegt, während alle anderen antiken Historien zyklisch denken (Polybius) und bestenfalls partielle Linien auszuziehen vermögen. Woran das liegen könnte, wäre eine für einen modernen Historiker ehrenhafte Frage! Im vorliegenden Kommentar wird die Widersprüchlichkeit am deutlichsten im Schlussteil (II, 597 ff.), wo E. über "Sinn und Ziel der Apg als Geschichtswerk" reflektiert. Lukas schreibe sein Werk für verunsicherte Christen, die durch die sich versteifende jüdische Ablehnung verunsichert seien (II, 597). Er verteidige Paulus gegen den jüdischen Apostasie-Vorwurf (II, 605).

Im Hintergrund steht die Hypothese, die man vor etwa hundert Jahren erfunden hat, um die Abfassungszeit der Apg vor dem Jüdischen Krieg zu rechtfertigen, Lukas versuche, die Christenheit innerhalb der religio licita zu platzieren, um den dieser gewährten römischen Schutz zu erlangen. E., der die Apg nach Ende des Jüdischen Krieges ansetzt, sieht nicht, dass sich die römische Öffentlichkeit als Folge des verheerenden Jüdischen Krieges zur Revision des älteren Urteils gezwungen sah. Allenfalls die Pharisäer galten jetzt in römischen Augen als einigermaßen verlässliche Juden. Wir müssen folglich die überholten Argumente aufgeben! Für Lukas war die Frage nach der Berechtigung der Heidenmission längst geklärt. Zeichnet er Paulus als Pharisäer, der vom Judentum eigenartig abgehoben wird, während er strikt darauf achtet, dass das normale Judentum Paulus immer wieder vertreibt, so geht es ihm gerade darum, Paulus den Römern zu empfehlen, weil er kein des Aufstandes verdächtiger Jude war. Das ist kein Hinweis auf den tatsächlichen Vorgang, sondern eins der gesuchten literarischen Signale an die Leser, Christen wie Römer.

3. Zu regelrecht falschen Aussagen kommt E., wenn er die einschlägige Erkenntnis der Formgeschichte nicht anwendet, dass Überleitungsfloskeln wie Apg 12,1 "zu jener Zeit" historisch belanglos sind; er sagt (266) "d. h. während des Aufenthalts von Barnabas und Paulus in Jerusalem". Im Ergebnis erfährt der Leser nicht die heute so begehrte wahre Geschichte, sondern allenfalls, was man aus Lukas herauslesen kann, wobei der theologiegeschichtliche Ort trotz der Aufnahme einzelner neuerer Einsichten die vorletzte Jahrhundertwende ist. Hier macht sich der Mangel bemerkbar, einzig auf die synchrone Auslegung des Letzttextes zu achten, ohne das diachrone Element wenigstens zu bedenken. Würde man die formgeschichtliche Frage aufgreifen, könnte man durchaus gewisse Elemente vorlukanischer Stoffe erkennen und brauchte nicht vom "Wir" auf eine gewisse Augenzeugenschaft, von geographischen Notizen auf Erinnerungsniederschriften usw. zu schließen. Wohin zum Beispiel die These Harnacks führt, wenn man Lukas traditionell "Arzt" nennt, sollte man am Besten an den magischen Zügen der Apg testen. Es hätte sich um eine Art Zauber-Arzt gehandelt!

4. Weiterhin enttäuscht, dass auch in diesem Werk der Begriff "Urgemeinde" immer einmal wieder auftaucht, obwohl er bei Lukas nirgends vorkommt und sogar nicht vorkommen kann, weil Lk 10,1 doch von der Aussendung der 70 erzählt hatte, wie E. zu Apg 9,31 selbst bemerkt (I, 226). Überhaupt werden die von anderen beobachteten und breit diskutierten Widersprüche des Textes in der Regel übergangen.

Als Beispiel nenne ich die Bemerkungen zum Schluss des Stefanusmartyriums (I, 184). Entgegen dem Text, aber mit Rücksicht auf spätere lukanische Sätze, dürfen die Apostel trotz der Verfolgung in Jerusalem bleiben, und die "frommen Männer", die Stefanus mit öffentlichen Ehren bestatten, stammen "wohl auch" aus der Jerusalemer Urgemeinde, aramäisch Sprechende! Wenn der Text dann wie im Fall des Saulusgeleites vor Damaskus allzu sehr vom bekannten antiken Hintergrund abweicht, helfen gelegentlich sogar moderne Hinweise: Die Begleiter werden evtl. zu Tempelpolizisten (I, 215), und das Geschehen ist mit Menschenraub vergleichbar (I, 214). Als Saulus von den Jerusalemern nach Tarsus "abgeschoben" werden soll (zu 9,30), haben diese ihm "vielleicht ... die Schiffsreise bezahlt" (I, 224). Wie der lukanische Text entstanden sein könnte, wird nicht bedacht. So werden die "Propheten und Lehrer" (Apg 13,1) - im Gegensatz zu wandernden Propheten - ortsansässige "prophetisch-charismatische Lehrer" (I, 261). Sergius Paulus könnte die Apostel zur Weiterreise nach Pisidien angeregt haben (I, 289, 294: "wahrscheinlich"). Dabei ist Lukas durchaus nicht immer wie ein moderner Historiker verfahren! Gelegentlich (II; 588, auch 589) merkt E. an, er habe "die Abweichung von seiner früheren Darstellung im Interesse einer stringenten Argumentation an dieser Stelle in Kauf" genommen.

Dieser Mangel in der Auslegung des Textes wird gutgemacht durch den Vorteil, in vielen Exkursen über antike, besonders geographische Realien aufgeklärt zu werden. Hier ist zusammengetragen, was bei anderen Kommentaren nur angedeutet worden war. Das wirkt sich besonders positiv in Band II aus, wo der Leser eine Fülle antiker Realien erfahren kann.

Dass das moderne Pozzuoli allerdings immer wieder Puetoli genannt wird (ab II, 579), ist nicht einfach eine Verschreibung, sondern ein echter Fehler.