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Ausgabe:

November/2001

Spalte:

1145–1147

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Donfried, Karl P., and Johannes Beutler [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Thessalonians Debate. Methodological Discord or Methodological Synthesis?

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2000. XVI, 384 S. gr.8. Kart. $ 25.-. ISBN 0-8028-4374-3.

Rezensent:

Peter Pilhofer

Die meisten Vorträge, die in dem hier anzuzeigenden Sammelband gedruckt sind, wurden im Rahmen des Thessalonians Correspondence Seminar bei den SNTS-Tagungen in Prag (1995) und Straßburg (1996) gehalten. "The goal of the editors is not simply to present the essays in the order in which they were delivered, but rather to frame them in such a way that they will help the reader both to understand the exegetical challenges that 1Thessalonians presents and to illustrate the diverse methodological approaches that are put to use in the interpretation of this letter" (4) - allerdings geht es nur um zwei solcher methodischen Zugänge, den epistolographischen ("epistolary") und den rhetorischen; dass es auch noch ganz andere Möglichkeiten gibt, kommt nicht in den Blick.1

Das Buch zerfällt in zwei Teile: Im ersten Teil wird 1Thess 2,1-12 als exemplarischer Text von verschiedenen Autoren traktiert, der zweite Teil wendet sich der methodologischen Debatte zu.

Teil I wird eröffnet durch die Studie von Karl P. Donfried: "The Epistolary and Rhetorical Context of 1Thessalonians 2:1-12" (31-60), die insbesondere der Frage nachgeht, ob dem Abschnitt 2,1-12 die Funktion einer Apologie zukommt. Die Analyse des "Epistolary Context" (34-38) trägt zur Lösung dieses Problems so gut wie nichts bei (38). Hilfreicher erscheint die rhetorische Analyse (38-54).2 Näherhin handelt es sich beim 1. Thessalonicherbrief um einen epideiktischen Brief ("epideictic letter", 39) mit Zügen der Trostbriefe ("letters of consolation", 41). In diesem rhetorischen Schema erscheint 2,1-3,10 als narratio (vgl. die detaillierte Gliederung 43 f.), die ihrerseits in zwei Teile zerfällt: 2,1-16 handelt vom Gründungsaufenthalt (ÂúÛÔÔ, 2,1), 2,17-3,10 dagegen von der Zeit der Abwesenheit des Paulus (àÔÚÊÓÈÓÙÂ, 2,17). Inwiefern 2,13-16 zum ersten Teil gehört, mag man fragen. Der erste Teil der narratio "is an attempt by the apostle to distance himself and the Thessalonians from both pagan thought and practice" (50). So kommt D. zu dem Schluss, dass 2,1-12 "not an apology of any sort" ist (60).

Rudolf Hoppe ("The Epistolary and Rhetorical Context of 1 Thessalonians 2:1-12: A Response to Karl P. Donfried", 61-68) unterstreicht einerseits D.s Ergebnisse und kritisiert andrerseits den eingeschlagenen Weg der rhetorischen Analyse: "We cannot begin with a rhetorical 'system' and then transfer this, as a fixed form, to the text. Rather, one must recognize that each text must be made the starting point and that its individuality must be taken seriously; only then, if appropriate, can it be compared with the rules of rhetoric" (63) - qui habet aures audiendi audiat.

Traugott Holtz ("On the Background of 1Thessalonians 2:1-12", 69-80) führt Gründe für die Hypothese an, dass Paulus sich in 2,1-12 gegen "negative propaganda" wende, in der er "a grave danger to his young church in Thessalonica" sah (80). Der Respondent Johan S. Vos ("On the Background of 1Thessalonians 2:1-12: A Response to Traugott Holtz", 81-88) präferiert dagegen "data explicitly offered by the text" (82), die unsere Passage eher als "self-recommendation than an apology" (83) erwiesen.

Das dritte Paar bilden Otto Merk ("1Thessalonians 2:1-12: An Exegetical-Theological Study", 89-113) und Jeffrey A. D. Weima ("The Function of 1Thessalonians 2:1-12 and the Use of Rhetorical Criticism: A Response to Otto Merk", 114-131). Gegen Merk (und den neuen Konsens) kehrt Weima mit guten Gründen zu der alten Auffassung zurück, wonach Paulus "in 2:1-12 is, in fact, defending himself" (123). In einem zweiten Abschnitt diskutiert Weima in grundsätzlicher Weise die Anwendung rhetorischer Methoden im Rahmen der Auslegung paulinischer Briefe und bringt eine Reihe von beachtlichen Argumenten, die Paulus als rhetorischen Amateur erweisen (vgl. 127 ff.).

Der zweite Teil wendet sich der methodologischen Debatte zu, die durch Jan Lambrecht ("Thanksgiving in 1Thessalonians 1-3", 135-162, sowie "A Structural Analysis of 1 Thessalonians 4-5", 163-178) eröffnet wird; hinsichtlich der Struktur des 1. Thessalonicherbriefes plädiert er für "a combination of epistolary and thematic criteria" (164).

Es folgt Johannes Schoon-Janßen ("On the Use of Elements of Ancient Epistolography in 1Thessalonians", 179-193) sowie Frank W. Hughes, der ebenfalls mit zwei Beiträgen vertreten ist: "The Rhetoric of Letters" (194-240) und "The Social Situations Implied by Rhetoric" (241-254). Seine Position in der Debatte formuliert Hughes folgendermaßen: "There is no reason why a methodological synthesis of form criticism of letters and rhetorical criticism of letters cannot be forged" (199). Dem ersten der genannten Beiträge hätten Kürzungen gut getan (Ciceros De oratore 2,49 beispielsweise wird 197 f. ausführlich vorgestellt und begegnet 211 erneut in einer Weise, dass man sich fragt, ob der Autor selbst sich an den Anfang seines Aufsatzes noch erinnert): Wozu die einzelnen partes orationis im Rahmen dieses Aufsatzes auf nicht weniger als 14 Seiten dargestellt werden, erschließt sich diesem Rez. nicht (zumal auf die Frage der brieflichen Anwendung überhaupt nicht eingegangen wird).

Charles A. Wanamaker untersucht die Frage: "Epistolary vs. Rhetorical Analysis: Is a Synthesis possible?" (255-286). Seine Antwort lautet: Im Prinzip schon, aber: "Rhetorical analysis, both of the ancient and the modern varieties, takes us far closer to the issues that really matter: meaning and significance, intention and strategy" (286). Edgar Krentz: "1Thessalonians: Rhetorical Flourishes and Formal Constraints" (287-318) reiht sich in die Gruppe der Skeptiker ein: Lateinische Handbücher sollte man grundsätzlich nicht heranziehen ("This is not just a matter of linguistic Spitzfindigkeit", 316). Im Übrigen gilt: "One should guard against making rhetorical theory a Procrustean bed to which, willy-nilly, texts must conform" (ebd.). Raymond F. Collins beschließt den Band mit der Studie "'I Command That This Letter Be Read': Writing as a Manner of Speaking" (319-339). Seine Frage lautet: "Would not a rhetorical-epistolary analysis of Paul's missive be more fruitful than a rhetorical analysis, an epistolary analysis, or a rhetorical and an epistolary analysis of the text?" (319)

Formalien: Die deutschen Einsprengsel sind sowohl im Text als auch in der Bibliographie (340-362) teilweise fehlerhaft. In der Bibliographie liegt eine Verwechslung zwischen Jürgen Becker und Klaus Berger vor (340 f.): Zwei Arbeiten des ersteren sind irrtümlich beim letzteren rubriziert. Der Mitherausgeber der Festschrift W. Krusche (s. v. Holtz, 347) heißt Martin Onnasch, nicht Omnasch. Die Dissertation von Wolff ist mitnichten unpubliziert (361), sondern 1999 in einer nicht ganz peripheren Reihe im Druck erschienen.3 Die Abkürzung EKK wird fast passim anstelle des im Abkürzungsverzeichnis (XIV) angekündigten EKKNT verwendet. (Die Liste ließe sich fortsetzen.)

Angesichts zahlreicher Wiederholungen und Überschneidungen vor allem in Teil II sowie nicht zu tolerierender Verstöße gegen den Grundsatz der brevitas, der Rhetorikexperten nicht ganz unbekannt sein dürfte (vgl. etwa 224), kann der Rez. abschließend nur mit Cicero fragen: cui bono? (De gustibus non est disputandum- doch was soll das Titelbild? Welchen Zusammenhang soll der geneigte Betrachter mit Thessaloniki herstellen?)

Fussnoten:

1) Vgl. etwa Christoph vom Brocke: Thessaloniki - Stadt des Kassander und Gemeinde des Paulus, WUNT 2/125, Tübingen 2001. Es ist sicher kein Zufall, dass die Inschriften der Stadt (Charles Edson: Inscriptiones Thessalonicae et viciniae, IG X 2,1, Berlin 1972) an keiner Stelle herangezogen werden.

2) Die Gliederung der Studie Donfrieds ist nicht in Ordnung: Auf "3. The Rhetorical Context" (38) folgt "5. Paul, An 'Eschatologic Person'" (54); dem Unterabschnitt "a. 1Thessalonians 2:1-3:10 as Narratio" (43) dagegen folgt kein "b.".

3) Peter Wolff: Die frühe nachösterliche Verkündigung des Reiches Gottes, FRLANT 171, Göttingen 1999.