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Ausgabe:

November/2001

Spalte:

1138 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Otto, Eckart

Titel/Untertitel:

Krieg und Frieden in der Hebräischen Bibel und im Alten Orient. Aspekte für eine Friedensordnung in der Moderne.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1999. 188 S. gr.8 = Theologie und Frieden, 18. Geb. DM 48,90. ISBN 3-17-016265-9.

Rezensent:

Rainer Kessler

Die Stärke von O.s Darstellung - der Ausarbeitung eines Vortrags von 1998 - liegt darin, dass sie deutliche Profile herausstellt und klare Linien aufzeigt. In einer kurzen "Einführung in das Thema" formuliert O. den Anspruch, die Frage nach den "bellizistischen oder pazifizierenden Impulsen" der christlichen Tradition "sollte weder denunziatorisch noch apologetisch sein, sondern analytisch" (9), worunter zu verstehen ist, dass "diese Monographie sich religionshistorisch dem Problem nähern" will (10). Damit ist die Hauptgliederung gegeben: Teil II behandelt den Alten Orient, Teil III die Hebräische Bibel.

Aus dem Alten Orient thematisiert O. die "Fälle" Ugarit, Ägypten und Assyrien, von denen die beiden letzten für das Alte Testament wirkungsgeschichtlich wichtig werden. In beiden Kulturen dominiert nach O. der dualistische Grundgedanke, dass der Staat, verkörpert in der Gestalt des Monarchen, die Aufgabe hat, das Chaos in Schranken zu halten. Da die Fremdvölker per se das Chaos repräsentieren, gehört es somit zur Uraufgabe der Könige, Krieg zu führen, um das Chaos zu bändigen, so dass "nicht Krieg und Frieden Gegensätze sind, sondern Krieg und Chaos" (52). Grundlage dieses Denkens ist im Neuen Reich Ägyptens "eine imperiale Expansionspolitik mit dem Ziel, eine Weltherrschaft zu errichten" (37), bzw. in Assyrien seit dem 8. Jh. ein "expansiver Imperialismus" (71).

Indem Israel ab dem 8. Jh. selbst zum Opfer v. a. des assyrischen Imperialismus wird, gelingt es ihm, in Verarbeitung dieser Erfahrung eine Position zu überwinden, in der der Krieg geradezu zur creatio continua wird. Zusammenfassend lässt sich die im Lauf der Überlieferung erarbeitete Alternative so kennzeichnen: "Selbst zum Opfer geworden, überwindet prophetische Überlieferung der Hebräischen Bibel die neuassyrische Staatsideologie in der Substanz. An die Stelle des triumphalen Chaoskämpfers tritt der sich selbst überwindende Gott, der in der Dialektik von Zorn und Liebe seinen Zorn überwindet. Damit werden bis dahin ungedachte Möglichkeiten gewaltfreier Konfliktlösung eröffnet, die die Spirale von Gewalt und Gegengewalt überwinden" (153).

Stufen auf diesem Weg sind "das Wort vom Herzensumsturz Gottes in Hos 11" (78), die subversive Rezeption assyrischer Texte im Deuteronomium, die "die Begrenzung staatlicher Macht zugunsten der Loyalität gegenüber JHWH" proklamiert (86), "eine fundamentale Kritik an der mesopotamischen Königsideologie" in den Psalmen ("Der Krieg ist nicht ein Mittel der Gottesherrschaft im Kampf gegen das Chaos ... Vielmehr ist der Krieg das Chaos ...", 116) und schließlich der Gedanke vom stellvertretenden Leiden in Jes 53 und die Utopie von der Völkerwallfahrt zum Zion in Jes 2.

In seinem "Epilog" insistiert O. darauf, dass über die Frage bellizistischer oder pazifizierender Impulse in den Religionen "das jeweilige Gottesverständnis" "entscheidet" (152). Mit der von Hosea an greifbaren Entwicklung von der Monolatrie zum Monotheismus ist klar, dass in Israel eine dualistische Lösung wie in Ägypten oder Mesopotamien nicht offen steht. Mit der "Alleinverehrung JHWHs als des einen Gottes Israels ... verbunden ist ein tiefgreifender Umbau der Götterfunktionen, die aus dem Pantheon herrühren. Die Überwindung von Chaos mit dem Ziel, eine Friedensordnung durchzusetzen, wird in die Gottesgestalt als Selbstüberwindung von Zorn durch Liebe verlagert und damit der Projektion urzeitlich-mythischen Geschehens des Kampfes im Pantheon auf die politische Ebene, die den Krieg zur creatio continua werden lässt, ein Riegel vorgeschoben" (85). Das lässt sich durchaus als implizite Auseinandersetzung mit Assmann lesen, für den gerade der Monotheismus mit seiner "mosaischen Unterscheidung" die Wurzel des Unfriedens ist.

Die Stärke der Darstellung O.s hat freilich ihren Preis. Indem die Linien klar herausgearbeitet werden, erscheint der Alte Orient als die dunkle Folie, vor der sich die Gewaltüberwindung der Texte der Hebräischen Bibel licht abhebt. Das Gewaltpotenzial des Monotheismus, auf das Assmann zu Recht aufmerksam macht, kommt dabei arg kurz weg. Vor allem fehlt die gar nicht so gewaltüberwindende Rezeptionsgeschichte der biblischen Texte im zur Staatsreligion gewordenen Christentum. O. schließt sehr optimistisch: "Es gibt einen Forschritt in der Geschichte, der der einer zunehmenden Einwohnung Gottes in diese Welt in Gestalt ihrer ethischen Substanz ist ... Wir sind auf dem Weg zu einer Weltinnenpolitik, New York" - als Sitz der Vereinten Nationen - "ist auf dem Weg nach Jerusalem"- als Ziel der Völkerwallfahrt (155 f.).

Vielleicht muss man etwas Wermut in den Wein gießen. Denn New York ist auch die Metropole der größten Militärmacht der Welt, und die von USA und NATO garantierte pax americana kommt manchen Völkern nicht viel anders vor als einst die pax assyriaca. Es wird noch etlicher Debatten bedürfen, bis klar ist, worin die friedenstiftenden Menschen- und Völkerrechte bestehen, im freien Kapitalverkehr oder in der sozialen Grundsicherung. Dennoch hat O. schön herausgearbeitet, worin der Beitrag der jüdisch-christlichen Tradition zu diesen Debatten bestehen muss: Krieg ist kein Mittel, das Chaos zu bannen. An seine Stelle haben "Möglichkeiten gewaltfreier Konfliktlösung" zu treten, "die die Spirale der Gewalt und Gegengewalt überwinden" (153). Und er hat Recht: Die Zeit, "in der die Völker universal befriedet sein werden ..., liegt noch vor uns" (156).