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Ausgabe:

November/2001

Spalte:

1136–1138

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Oeming, Manfred

Titel/Untertitel:

Das Buch der Psalmen. Psalm 1-41.

Verlag:

Stuttgart: Katholisches Bibelwerk 2000. 230 S. 8 = Neuer Stuttgarter Kommentar. Altes Testament 13/1. Kart. DM 44.-. ISBN 3-460-07131-1.

Rezensent:

Rainer Albertz

An Psalmenkommentaren ist zur Zeit kein Mangel. Doch anders als die jüngst erschienenen wissenschaftlichen Kommentare von K. Seybold (1996) und F.-L. Hossfeld/E. Zenger (Ps 50-100; 2000) wendet sich M. Oeming - dem Ziel der Neuen Stuttgarter Kommentare gemäß - bewusst an ein gebildetes Laienpublikum. Das hindert ihn nicht, in der gegenwärtigen Psalmenforschung dezidiert Position zu beziehen: Der Vf. konzentriert sich ganz auf die Endgestalt und legt die Psalmen auf dem Hintergrund der späthellenistischen Zeit aus. Er neigt somit wie weiland B. Duhm einer extremen Spätdatierung zu; der Psalter als Buch stammt für ihn aus der Zeit um 100 v. Chr. oder noch etwas später (34). Wohl leugnet der Vf. eine ältere Herkunft mancher Psalmen nicht, doch er hält deren literarkritische Rekonstruktion für zu unsicher und möchte nicht in den Fehler verfallen, theologische Sachkritik literarkritisch zu verbrämen (16 f.). Der Vf. betrachtet jeden Psalm für sich und distanziert sich damit explizit von den kompositions- bzw. redaktionsgeschichtlichen Ansätzen, wie sie zur Zeit von M. Millard und Hossfeld/Zenger entwickelt werden; die Anordnung der Psalmen geschah seiner Meinung nach "weitgehend zufällig" (19 f.). Der Vf. reiht sich unter die Forscher (H. Spieckermann u. a.) ein, die sich offen von der formgeschichtlichen Psalmenforschung Gunkels und Mowinckels distanzieren: "Der vorliegende Kommentar bricht mit diesem methodischen Ansatz und versteht sich als eine Kritik der Formkritik" (22). Generell stellten die Psalmen "eine Mischung aus Elementen ganz unterschiedlicher Gattungen dar" (22 f.), sie seien "literarische Produkte auf der Ebene der Schriftlichkeit" (23) und hätten sich längst vom kultischen Hintergrund gelöst (23). Nach dem Vf. sind sie von intellektuell hochstehenden Weisen bzw. Schriftgelehrten gedichtet worden: "der Psalm als ganzer ist eine Mischgattung, die zur Vermittlung einer Lehre, zur Unter- und Einweisung in die theologische Weltklugheit diente" (23). Schließlich möchte der Vf. trotz des begrenzten Raumes sowohl die christliche als auch die jüdische Rezeptionsgeschichte der Psalmen mit einbeziehen. "Christologische Auslegungen haben daher das Recht gehört zu werden, - zumal in einer christlichen Kommentarreihe" (19).

Weniger deutlich wird, welche methodische Richtung der Vf. selber einschlagen will. Wenn er fordert, dass die Auslegung dem "anthologischen ... Charakter" der Psalmen gerecht werden müsse (23), dann fühlt man sich am ehesten an die "anthologische Methode" von A. Deissler (1989) erinnert. Daneben betont der Vf. stark den weisheitlichen Charakter der Psalmen. Ihren Verfassern ging es darum, "allgemein gültige Wahrheiten, die auf die Lebenssituationen vieler Menschen anwendbar sind, zu erheben; die diversen ,Bausteine' aus dem kultischen Leben dienen dazu, der Weisheit ein Haus zu bauen" (37).

Allerdings bricht der Vf. in der Auslegung dann noch nicht so radikal mit den o. g. Forschungsrichtungen, wie man auf Grund der Einleitung vermuten könnte. Er kennt durchaus noch Psalmengattungen (34-36), allerdings in einer etwas unscharfen Abgrenzung und Formbestimmung (Klagelied, Loblied [Hymnus], Danklied, Bittgebet, alle offenbar individuell und kollektiv). Hinzu kommen dann die üblichen, mehr inhaltlich bestimmten Gruppen (Königspsalmen, Zionslieder, Wallfahrtslieder etc.). Nur die Zahl der Weisheitslieder will der Vf. höher als üblich veranschlagen, ohne dies darzulegen. Daneben erkennt er durchaus auch kompositionelle Anordnungen (Ps 1 und 2) und Strukturelemente (Doxologien) an.

Die Auslegung der Einzelpsalmen, soweit in dem ersten Teil erkennbar, verbindet Beobachtungen zum Aufbau, forschungs- und auslegungsgeschichtliche Diskussionen und eigene exegetische und theologische Bemerkungen in einem bunten Gemisch. Häufig werden verschiedene Auslegungsmöglichkeiten nebeneinander stehen gelassen, z. T. auch theologische Sachkritik geübt (z. B. zu Ps 2, der hasmonäisch datiert wird). Die wissenschaftliche Distanz wird offenbar bewusst nicht gewahrt; die Sprache ist munter, z. T. flapsig (Ps 18 "königliches ,Protzlied'" 125). Hilfreich und für den Laien informativ sind eine Vielzahl von kurzen, eingestreuten Exkursen zu Themen, die mit den Psalmen berührt werden ("Krankheit und Leid im AT" u. ä.).

In einer solchen Besprechung sind die Einzelauslegungen unmöglich zu würdigen. Bei den vielen bedenkenswerten Einsichten und teilweise überraschenden Anregungen, die dieser Kommentar vor allem dem Laien liefern kann, habe ich doch den Eindruck, dass die Abwertung der formkritischen Methode keineswegs durchweg zur genaueren Einschätzung des Einzelpsalms führt, sondern nicht selten Unschärfen in der Einteilung und Formbestimmung begünstigt; dass die Fixierung auf die Endgestalt dem Verstehen oft nicht gerade förderlich ist, weil die Schwierigkeiten im vorliegenden Text nicht erklärt werden, und dass die einseitige Spätdatierung zusammen mit der breiten Einbeziehung der Rezeptionsgeschichte den zeitgeschichtlichen Bezug der Psalmen so stark ausdünnt, dass der Vf. zu einer mehr oder minder zeitlosen Psalmenauslegung gelangt. Sollte dies das Ergebnis von 250 Jahren historisch-kritischer Psalmenauslegung sein? Aber was noch gravierender ist: Mit der einseitigen Betonung der lehrhaften Ausrichtung der Psalmen verflüchtigt sich unter der Hand ihr Charakter als Gebet. Dass in den meisten Psalmen primär nicht der Leser belehrt, sondern Gott bewegt oder erhoben werden soll, tritt in der Auslegung des Vf.s, obwohl er die Psalmen als "Schule des Betens" (45) bezeichnen kann, merkwürdig in den Hintergrund. Schade!