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Ausgabe:

November/2001

Spalte:

1131–1134

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Albani, Matthias

Titel/Untertitel:

Der eine Gott und die himmlischen Heerscharen. Zur Begründung des Monotheismus bei Deuterojesaja im Horizont der Astralisierung des Gottesverständnisses im Alten Orient.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2000. IX, 307 S. m. 16 Abb. gr.8 = Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte, 1. Geb. DM 78,-. ISBN 3-374-01820-3.

Rezensent:

Klaus Koch

Mit diesem wichtigen Beitrag zum gegenwärtig viel diskutierten Monotheismus-Thema, einer Leipziger Habilitationsschrift, eröffnet die Evang. Verlagsanstalt eine neue bibelwissenschaftliche Reihe. A. geht von der heute weithin unter den Exegeten anerkannten Überzeugung aus, dass in Israel der Monotheismus erst während der Exilszeit sich durchgesetzt hat und erstmals durch Deuterojesaja (für A. wohl keine Einzelperson, sondern eine Gruppe im Exil) deutlich formuliert worden ist. Der Vf. vertritt die These, dass dies in intensiver Auseinandersetzung mit der wachsenden Astralisierung der Religion in Mesopotamien während des 1. Jt.s v. Chr., wie sie insbesondere in der babylonischen Marduk-Theologie sich niedergeschlagen hatte, stattgefunden hat. Für den Nachweis wird die Deuterojesaja zugeschriebene Grundschrift von Jes 40-48 herangezogen.

Eine Einleitung gibt eine begriffliche Definition und erklärt die Methode der Untersuchung. Im Anschluss an Bertholet wird unter Monotheismus begriffen "der Glaube an einen einzigen Gott, der im Unterschied zu Monolatrie und Henotheismus den Glauben an die Existenz anderer Götter grundsätzlich ausschließt" (8). Für Deuterojesaja werden dabei als Aspekte wichtig 1) absolute Macht über Geschichte und Kosmos, 2) Einzigkeit der Wirksamkeit, die andern Göttern höchstens eine "auditive Existenz" (bei Streitgesprächen) zubilligt, 3) Universalität unter Ablösung von "Land, Königtum und Tempel" (17 f.).

Reicht aber die Bertholetsche Bestimmung im Blick auf altorientalische Kulturen zu? Entspricht "Glaube" deren Selbstverständnis? Bedenken weckt vor allem, dass die kultische Praxis unberücksichtigt bleibt, also das Problem der Alleinverehrung nicht auftaucht. Spekulationen über eine gemeinsame Substanz aller Götter, die sich unter Umständen in einem Hochgott, Götterkönig oder Göttervater personifiziert, finden sich in vielen Religionen, ohne dass dadurch den Kultgenossen die je eigene Relation zu den verschiedenen Gottheiten und deren teilweise kontroversen Funktionen in Frage gestellt wird. Die Beschränkung von Monotheismus auf Theorie und das Absehen von Praxis dürfte der Grund sein, dass der Vf. im Blick auf die babylonischen Verhältnisse zu keinem völlig eindeutigen Urteil gelangt.

"Monotheistische Tendenzen" und Astralreligion in Mesopotamien ist ein 2. Teil überschrieben. Er zeigt den Vf. als sachkundig im Blick auf die assyriologischen Voten zum Thema. Sie sind 1975 (nach langer Pause) durch Lambert wieder angestoßen worden mit der Behauptung, dass hymnische Göttergleichsetzungstexte (z. B.SAHG 301 f.), welche die großen (männlichen) Götter als Aspekte des Hauptgotts (vor allem Marduks) feiern, den Monotheismus einer Minderheit von Eingeweihten bezeugen. A. neigt dazu, mit K. van der Toorn und F. Stolz einschränkend von einem "inklusiven Monotheismus" zu sprechen, weil die einbegriffenen Gottheiten ihre Existenz nicht verlieren. Er vermag nachzuweisen, dass die zunehmend überragende Rolle Marduks mit der steigenden Bedeutung astraler Divination seit Ende des 2. Jt.s v. Chr. in Beziehung steht. Aufschlussreiche Hinweise liefert das Enuma elisch. Als Herr des Sternenhimmels und als Götterkönig erweist sich Marduk dadurch, dass er ein Sternbild verschwinden und wieder erstehen lässt. Die Art, wie er nach der 5. Tafel des Epos den astralen Himmel organisiert, bedingt eine "astrale Depotenzierung" der übrigen Götter, die ihre Erscheinungsformen in den Sternbildern haben und also von Marduks Schicksalsbestimmung abhängig werden (67). Wenn das Epos mit 50 Prädikaten verschiedener Götter endet, die nun auf Bel-Marduk übertragen sind, geschieht "eine inkludierende Identifikation ... eine Synthese von Polytheismus und Monotheismus" (59). Ähnliches lässt sich aus dem babylonischen Neujahrsritual folgern (TUAT II 217 f.), wo Bel in 15 bedeutsamen Gestirnen angebetet wird; allerdings bedeutet das keinen Monotheismus "im eigentlichen Sinne", da anschließend die göttliche Partnerin als Beltija in andern Sternbildern verehrt wird (69 f. und Anm. 274).

A. gelingt es, den Zusammenhang der wachsenden Astralisierung der Religion mit monotheistischen Tendenzen im Mesopotamien des 1. Jt.s v. Chr. überzeugend nachzuweisen. Die Thesen von S. Parpola über einen Monotheismus in neuassyrischer Zeit (State Archives of Assyria IX. Assyrian Prophecies, 1998) vermochte er leider nicht mehr zu berücksichtigen. Zu fragen bleibt, ob nicht weitere Differenzierungen des dargestellten Überblicks hinsichtlich des Urteils, ob Monotheismus oder nicht, angebracht sein könnten. Die einfache Entgegensetzung Polytheismus-Monotheismus dürfte für den Alten Orient zu grobmaschig gedacht sein. Es handelt sich bei "Vielgötterei" nicht um ungeordnete Götterhaufen, sondern jeweils um ein hierarchisch gegliedertes Pantheon, das in der Regel eine (oder mehrere) kompetente Spitze(n) hat, was sich in der politischen (zumeist monarchischen) Verfassung der menschlichen Gesellschaft widerspiegelt. Das lässt in Mesopotamien einen Summodeismus aufkommen, dem es auf den Vorrang des Götterkönigs gerade auch in der kultischen Praxis ankommt. So entsteht im 7. Jh. v. Chr eine Assur-Marduk-Rivalität, die unter Sanherib bei der Zerstörung Babels eine wichtige Rolle spielt. Gut 100 Jahre später wird unter Nabonid der Marduk-Sin-Gegensatz erneut zu einem gewaltigen politischen Problem (A. geht darauf an späterer Stelle ein, 113-118, ohne Konsequenzen für die Monotheismus-Definition zu ziehen).

Zur Begründung des Monotheismus bei DtJes im Horizont der ,Marduk-Theologie', so lautet der 3. Teil. Jene geschieht hauptsächlich auf zwei Argumentationsebenen, dem Weissagungs- und dem Schöpfungsbeweis. Beide berühren zentrale Inhalte der Marduk-Verehrung.

Der Weissagungsbeweis (76-122) artikuliert sich im Gegensatz zu der astrologisch fundierten Omenliteratur, die zukünftiges Geschehen auf Marduks Schicksalsbestimmung mittels der Keilschrift des Himmels zurückführt, was im Zweistromland in den unruhigen Zeiten vor dem Persereinfall besonders aktuell war. Deuterojesajas Abrechnung mit Babel in Kap. 47 polemisiert ausdrücklich gegen das Vertrauen auf die, die den Himmel deuten und die Sterne schauen, sowie, was babylonisch dazu gehört, diejenigen, die durch Beschwörungen das Unheil wegzuzaubern behaupten (11-13). Zuvor war Kap. 46 die Wegführung der Statuen von Marduk und Nabu, der für Omina zuständigen Mächte, geweissagt worden. Das spielt vielleicht auf die in babylonischen Texten festgehaltenen und als außerordentlich unheilvoll angesehenen mehrfachen Deportationen der Mardukstatue an, vielleicht auch auf die jährliche Prozession mit der Mardukstatue am Akitufest, mit der die Proklamation von dessen universaler Macht verbunden war (79-83).

Besonders nahe stehen sich die prophetischen und die babylonischen Aussagen über den Perserkönig Kyros und seinen kometenhaften Aufstieg. Die verblüffende Verwandtschaft in den Formulierungen ist schon häufig bemerkt worden. A. fügt dem ein neues Licht hinzu mit dem Hinweis, dass die babylonischen Astrologen während der Nabonidzeit über Kyros' positive oder negative Wirksamkeit uneins waren. Deuterojesaja schließt sich einerseits der "propersischen Propaganda der Mardukpriesterschaft" im Gegensatz zur Nabonid-Partei an, verkündet andererseits aber JHWH statt Marduk als Lenker der Geschichte (96), denn "nur ein Gott kann die Zukunft wirklich bestimmen" (113). Kap. 47 (das nicht erst in persischer Zeit entstanden sein kann, als Babel gewaltig wieder aufblühte) stellt "in mancher Hinsicht das iraelitische Pendant zum Strophengedicht der Feinde Nabonids" dar (105). A. gelingt es in der Tat, einen bisher noch nicht anschaulich gewordenen Hintergrund der deuterojesajanischen Weissagungen herauszustellen. "DtJes' monotheistischer Weissagungsbeweis ist also im historischen Kontext des Religionskonflikts der Nabonid-Ära zu verstehen" (116).

Zu fragen bleibt bei diesem Nachweis, ob die Entgegensetzung von intuitiver prophetischer Weissagung und babylonischer induktiver Omendeutung, wie A. sie im Anschluss an den Rez. vornimmt, nicht zu schematisch ist. Immerhin gibt es in Mesopotamien zu jener Zeit, wie die neuassyrischen Texte erweisen (s. die oben erwähnte Arbeit von Parpola) auch Prophezeiungen, die alttestamentlichen viel näher stehen als die eigentlichen Omina. Jene erinnern sogar in besonderer Weise an Deuterojesaja, weil es sich um Erhörungsorakel mit "Fürchte-dich-nicht"-Aufrufen handelt, die mit Motiven der persönlichen Gottesnähe begründet werden, wie sie in Jes 40-48 ihre Entsprechung finden (TUAT II 56-65).

Dem Schöpfungsglauben als zweitem Beweisgrund ist nach der Überschrift mehr als die Hälfte des Buches gewidmet (123-255), wobei allerdings nur knapp 40 Seiten auf Deuterojesaja oder Babylonien und die Schöpfung überhaupt entfallen. Die Grundlage bildet für A. Jes 40,12-26, wo anders als im vorexilischen Schrifttum die Schöpfung zum zentralen Merkmal für das Gottesbild (122) und diese zugleich so universalisiert wird, dass der astrale Bereich beherrschend hervortritt. Das erklärt sich am ehesten aus einem Impuls der babylonischen Religion.

Das babylonische Gegenüber lässt sich schon in V. 12 erahnen. Denn Marduk wird im Hymnus (DT 109) gepriesen als der, "der über den Himmel geht, der die Erde überblickt, die Wasser des Meeres auslotet". Was der babylonische Gott misst (madadu) - JHWH tut es mit der hohlen Hand! Marduk durchschreitet den Himmel - Israels Gott erfasst ihn mit der Spanne einer Hand (130)! Von Marduk verlautet immer wieder, dass er von seinem Vater Ea belehrt wird; welcher Ratgeber aber könnte JHWH belehren (V. 13)? So wird "die Demonstration der Erhabenheit und Macht JHWHs polemisch an Marduk orientiert" (132). Deuterojesajas Gott thront über dem Kreis der Erde, was wahrscheinlich die Stellung im Zenit meint (135, Anm. 535.142), Marduks Thron wird ebenso im Zentrum des Kosmos vorausgesetzt.

Betont wird die Unvergleichlichkeit JHWHs, in V. 25 durch den Blick nach oben, zum geordneten Heer der Sterne, also genau dem Bereich, der für die Gegenseite die Schicksalsmacht ihres Gottes begründet. Unvergleichlichkeitsprädikate tauchen während der Nabonid-Ära mehrfach für Marduk (und Sin) auf. In V. 18 wird die Behauptung der Unvergleichlichkeit mit der Frage verbunden: "Was für eine demut wollt ihr von ihm aufstellen?" Das zielt auf die Unmöglichkeit eines konkreten Abbilds des israelitischen Gottes. Wird hier auf die babylonische Auffassung von den Gestirnen als Abbildern der Götter bzw. an entsprechende astrale Göttersymbole gedacht, so schließt sich die Götterbilderpolemik in V. 19 sinnvoll an und braucht nicht als sekundär ausgeschieden zu werden (159-164.175-183). Am Ende des Abschnitts wird mit dem Hinweis, dass JHWH die Gestirne in seiner einzigartigen Weise geschaffen habe (bara') ein grundsätzlicher Unterschied markiert: Marduk erschafft sie nicht, sondern weist ihnen nur ihre Funktion zu (239 f.) Deutlicher wird der Abstand noch durch die Aussage von 45,7, dass Israels Gott selbst das Unheil erschafft; dazu lässt sich babylonisch nichts an Parallele finden.

Demnach bietet Deuterojesaja gleich am Eingang seiner Schrift einen Gegenentwurf zu maßgeblichen Ideen des babylonischen Neujahrsfestes, bei dem das Enuma elisch rezitiert und die Macht Marduks über das Universum gefeiert wurde (137).

Was A. zu 40,12-26 als Vergleichstexte anführen kann, ist in der Tat beeindruckend. Der Abschnitt ist der "dichteste" und überzeugendste in der Studie. Gleichwohl bleibt ein Bedauern, dass das Schöpfungsthema an anderen Stellen in Jes 40 ff. nur gestreift wird (so 43,10; 44,24; 45,12; S.246-248). Nach dem Enuma elisch beginnt Marduk mit der Aufrichtung der Weltordnung (genau besehen ist es keine Schöpfung, Himmel und Erde bestehen längst), indem er den Chaosdrachen Tiamat erschlägt, und es endet mit dem Beginn des göttlichen Weltkönigtums von Babel als universalem Zentrum aus. Wäre dazu nicht ein Vergleich mit 51,9 f. und 52,9-12 reizvoll? Vielleicht endet die "Grundschrift" doch nicht mit Kap. 48.

Unter der Überschrift: Der ,militärische' Aspekt in Jes 40,26 werden Exkurse angeschlossen (183-239), die weit von dieser Stelle und überhaupt von Deuterojesaja und Babyloniern abführen. Um die Eigenart des Heeres des Himmels näher zu ergründen, löst sich der Vf. von breiteren textlichen Kontexten und setzt zu einem Höhenflug durch Hypothesen an, wie sie heutzutage auf Grund vieldeutiger ugaritischer Texte im Schwang sind. Am Ende steht die These, dass unter jenen Sternen als Heer des Himmels auch in Israel vornehmlich divinisierte königliche Ahnen begriffen worden sind und sogar der Gottestitel JHWH Zebaot in diesen Zusammenhang gehört.

Schon vorher war in einem eingestreuten Exkurs zu Am 5,26 (164-175) - de Moor folgend - behauptet worden, die Rede von einem sikkut malkekäm, den die Israeliten in einer Prozession vor sich hertragen, parallel zum "Stern eures Gottes", beziehe sich auf Bilder von Königsahnen. Dazu muss freilich das mehrdeutige skwt mit ugar. skn "Stele" gleichgesetzt und dies in verengter Bedeutung als "Totenstele" verstanden werden. Dem war ein Abschnitt vorausgegangen (145-152) mit der These, dass nach ugaritischer Überzeugung der verstorbene König sowohl als einer der ilm in der Unterwelt wie als Stern am Himmel weiterexistierte (146); wie die Ugariter das sich räumlich vorstellen konnten, wird allerdings nicht erörtert. (Auf Ägypten als Parallele darf man sich nicht berufen; denn dort wird die Multivolenzpräsenz des toten Pharao daraus erklärt, dass seine Ach-Seele nach oben steigt, sein Ka auf der Erde bleibt und die Mumie in der Unterwelt ruht; das setzt eine besondere Anthropologie voraus, die es in Vorderasien nicht gibt.)

Auf diesem Hintergrund werden dann durch A. eine Reihe von alttestamentlichen Stellen durchmustert. Dabei werden die kämpfenden Sterne von Ri 5,20; Jos 10,12 f. als "verstorbene astralisierte Heroen Israels" gedeutet, analog zum ugaritischen "Heer der Sonne". Gleiches meine die wohl älteste Erwähnung eines Heers des Himmels in 1Kön 22,21, obwohl weder von Sternen noch von Heroen ausdrücklich die Rede ist; wohl aber von einer ruah, die weder zur einen noch zur andern Gruppe passt. Entsprechend werden Jer 8,1 f.; 2Kön 23; Zef 1 vom Königstotenkult her erklärt, wo zumindest der astrale Zusammenhang hervortritt; aber auch das Geschick Elijas und Elischas, wo das nicht der Fall ist. Schließlich wird die These aufgestellt, dass das Prädikat "JHWH der Heerscharen" nichts anderes als die Herrschaft über jenes Heer des Himmels meine. Allerdings wundert sich A. dann, warum Deuterojesaja den Gottestitel nicht bei Hinweisen auf die Sterne, wohl aber anderswo benutzte.

Das Buch erweist eine Kenntnis der assyrisch-babylonischen Religion und Geschichte einschließlich der von assyriologischer Sekundärliteratur, wie sie nur selten bei Alttestamentlern zu finden ist. Dadurch gelingt es, eine religionsgeschichtliche Brücke zu schlagen und der Deuterojesajaexegese neue Perspektiven zu geben, die fortan zu bedenken sein werden. Die lebendige Auseinandersetzung der Schrift mit babylonischen Konzeptionen bestärkt die Annahme, dass sie während der Exilszeit entstanden ist. Durch die Einbeziehung der "Gegenseite" wird anschaulich, dass der biblische Monotheismus sich nicht in ghettohafter Abschottung entwickelt hat, sondern im intensiven Austausch mit den Kulturen der Umwelt. Damit hat der Vf. ein Ergebnis vorgelegt, dem angesichts der heute meist "binnenalttestamentlich" verlaufenden Monotheismusdebatte eine weit über die Exegese einzelner Kapitel hinausreichende Bedeutung für jede Biblische Theologie zukommt.