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Ausgabe:

Oktober/2001

Spalte:

1093–1095

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Roelofsen, Abraham

Titel/Untertitel:

Das Predigtnachgespräch in der Gemeinde als Element der Gemeindebildung. Eine empirische Untersuchung zur kommunikativen und theologischen Kompetenz in der Gemeinde.

Verlag:

Würzburg: Seelsorge Echter 2000. 359 S. gr.8 = Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge, 43. Kart. DM 48,-. ISBN 3-429-02263-0.

Rezensent:

Frank Thomas Brinkmann

Die Praktische Theologie, insbesondere auch die Homiletik, hat sich seit den sechziger Jahren zunehmend um (technische) Verbesserungen ihrer theologischen bzw. pastoralen Praxis bemüht; die entsprechenden Debatten und Erörterungen zielten u. a. darauf ab, den Reputationsverlust institutionell verkündigter und gepflegter Religion sowie den Bedeutungsschwund traditionell-kirchlicher Kommunikation einzuholen. Mit Hilfe neu- und wiederentdeckter wissenschaftlicher Gesprächspartner wurden empirische Untersuchungen angestrengt, die ermittelten Daten ausgewertet und auf alternative Methoden und Strategien hin formuliert. So entstanden Theoriedesigns und Praxisratgeber, die in auffälliger Weise um einen Abgleich mit geistes-, human- und sozialwissenschaftlichen Richtigkeiten bemüht waren. Damit freilich ging auch ein gewisser Zwang zur Perfektion der Orthopraxie einher. Die den Akteuren quasi übertragene und (von den Predigenden) als Belastung empfundene Alleinverantwortung wurde vor allem im jüngsten Jahrzehnt wieder stärker relativiert, als - insbesondere im Zusammenhang mit der Prüfung des Axioms "Predigt als offenes Kunstwerk" sowie mit der Diskussion um die Verhältnisbestimmung von Homiletik und Rezeptionsästhetik - die pneumatologischen und ekklesiologischen Dimensionen des Predigtgeschehens deutliche Akzente erhielten.

Von diesen jüngsten Entwicklungen und Debatten nahezu völlig unbeeinflusst erscheint die 1997 in Würzburg angenommene katholische Dissertationsschrift von R.: Zwar soll die detaillierte und hochaggregierte wissenschaftliche Auswertung von Predigtnachgespräch-Gesprächsprozessen (142-333) nicht nur zu einem Ratgeber werden, was Prediger und Predigerin besser machen könnten, sondern ein Beleg für die Tatsache sein, dass Gemeindeglieder bzw. Predigthörende durchaus in der Lage sind, über ihre subjektive Hoffnung, Gestimmtheit, Religiosität (usw.) Rechenschaft abzulegen und darüber zu kommunizieren (18). Doch genau der Nachweis dieser Tatsache, die als "Mündigkeit" des Christenmenschen (73 f.) diagnostiziert werden kann, wird zu einer schweren Hypothek; indem R. eine neue Kompetenz der Predigenden einklagt (83 f. 106 f. 336 f.) bzw. sie kräftig ermutigt, "das Predigtnachgespräch als ein Element im Aufbau der Gemeinde zu begreifen und zu nutzen" (19), lehnt er sich mit seiner Studie an die bisherigen "empirisch gestützten" Anforderungskataloge an.

Dieser Eindruck findet sich bestätigt bei der Lektüre der theoretischen Grundlegung, deren Umfang sich schon im Inhaltsverzeichnis (7-17) mit immerhin sieben Seiten (7-13) zum Ausdruck bringt: Zu den scheinbar unabdingbar wissensnotwendigen Voraussetzungen, die hier harmlos als "Prämissen der Untersuchung" (41-85) eingeführt werden, gehören Dekrete und Konstitutionen des Zweiten Vatikanischen Konzils (wie das Laienapostolat, die ekklesiologische Wertigkeit der Ortsgemeinde und die dialogische Verfasstheit der Kirche), gesellschaftliche Wandlungen (wie die sogenannte 68er Aufklärung hin zur Diskurskultur, das Demokratiewagnis von Willy Brandt und die aufkommenden Trends zur Bürgerbewegung) sowie ideologie- und systemkritische Randnotizen zur Medien- und Erlebnisgesellschaft. Ebenfalls unter den "Prämissen" werden die "Antworten der Wissenschaften" (57 f.) vorgestellt; ihre Präsentation hat schon fast Handbuchcharakter, erfasst sie doch neben etablierteren Forschungsrichtungen und -methoden auch abgelegenere Verfahrensweisen und Modelle: Von einer Kurzdarstellung quantitativer und qualitativer Verfahren in der Soziologie (59 f.) über klientenzentrierte Gesprächsführung (62) und themenzentrierte Interaktion (64) bis hin zu Transaktionsanalyse (65), textlinguistischer Analyse und "Sprecherziehung als theoretische Grundlegung" (71 f.) findet sich hier alles wieder, was in den vergangenen 30 Jahren debattiert und in Anspruch genommen wurde.

Für ein angemessenes Verständnis der weiteren Untersuchungsdarstellung - oder gar für eine spätere praktische Inanspruchnahme - werden diese Kenntnisse jedoch keineswegs benötigt; auch R. hat sich bereits in seiner Einleitung festgelegt: "Als Analysemethode wird ein sprechwissenschaftlicher Ansatz gewählt. Dazu werden Methoden aus der Gesprächsforschung hinzugezogen, wie sie besonders in der Pragmalinguistik entwickelt wurden" (19). Offensichtlich ist dieser Ansatz am ehesten mit seinem Interesse kompatibel, nämlich zu beschreiben, "wie die Gruppe ihren Gesprächsinhalt, ihren Glauben konstituiert" (18). Und genau damit wird es interessant.

Denn immerhin werden zwei Fragestellungen miteinander kombiniert: Zum einen wollen die austauschförderlichen und -hinderlichen Regel(mechanisme)n erkannt und verstanden werden, denen das Predigtnachgespräch als besondere (religiöse) Anschlusskommunikation folgt, zum anderen will die religiöse Anschlusskommunikation selber begriffen und erfasst sein - und zwar focussiert auf dasjenige, was diese Anschlusskommunikation überhaupt zu einer religiösen macht! Eine durchaus moderne und zeitgemäße praktisch-theologische Forschungsaufgabe also, die mit einer bislang außerordentlich kontrovers debattierten Frage korrespondiert: Was macht eine beliebige Anschlusskommunikation zu einer religiösen? Ist es dasjenige, worauf sie sich primär bezieht (Predigt), oder die besondere Art unmittelbarer Bezug- und verzögerter Stellungnahme (Hören und Reden), also das, was bei der subjektiven Objektbemächtigung in erster (Vernehmen) und zweiter (Austauschen) Instanz, im Modus von Kommunikation, Interaktion und (Selbst-)Reflexion entsteht?

R. zumindest scheint sich schon vor seiner Untersuchung entschieden zu haben: Anders, als man zunächst vermuten durfte, ist für ihn nicht der Gesprächskonstituierungsprozess, "dessen Resultat dann das Gespräch als dialogischer Text ist" (19), als religiös (über)zubewerten; die Frage, wodurch das Gespräch zu seiner religiösen Qualität gelangt, ist nur im Einklang mit jener anderen zu klären, nämlich der nach dem sich durchhaltenden Evangelium. In einer späten Präzisierung seines Forschungszieles erklärt er sich diesbezüglich deutlicher: "Die Untersuchung konzentriert sich darauf, was die offene Kommunikationsform Predigtnachgespräch aus der Predigt und dem hinter ihm liegenden Evangelium macht. ... In dem dialogischen Geschehen, das von der Predigt ausgelöst wurde, muss sich zeigen, ob das hinter ihr liegende Evangelium tiefer entdeckt wird" (39 f.). Vom Text zur Predigt zum Nachgespräch also?

Gleichwohl, wer R. an solchen Stellen zu oberflächlich liest, läuft sicher Gefahr, ihn misszuverstehen. Natürlich will sein verbessertes Instrumentarium dazu beitragen, dem Evangelium unter Predigthörenden mehr Geltung zu verschaffen. Die angestrebte Kompetenzsteigerung weist jedoch letztlich über das rein kirchlich-theologisch Zweckdienliche hinaus (336 f.); ganz grundsätzlich gilt: "Das Ziel eines gelingenden Predigtnachgespräches ist es, gemeinsam Sinn zu konstituieren" (106). Ein löbliches Ziel, das in der Aufbereitung der Studie freilich nicht durchgängig erkennbar bleibt; sie enthält möglicherweise zuviel Ballast an Informationen, die interessant, wissenswert - aber belanglos sind. Steckt eine Überschätzung der wissenschaftlichen Methoden- und Analysenapparate dahinter, eine Hochschätzung der Empirie? Zumindest wohl eine Unterschätzung derjenigen Sprachlosigkeit, mit der es Predigende hierzulande zu tun bekommen. "Wat soll dä Quatsch?" - diesem auf dem Klappentext des Buches zitierten Einwand eines in solcher Hinsicht "Sprachlosen" kann vielleicht mancherorts mit der gescheiten empirischen Untersuchung von R. begegnet werden. Aber sicherlich nicht überall.