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Ausgabe:

Oktober/2001

Spalte:

1092 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Kranemann, Benedikt, Richter, Klemens, u. Franz-Peter Tebartz-van Elst [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gott feiern in nachchristlicher Gesellschaft. Die missionarische Dimension der Liturgie.

Verlag:

Stuttgart: Kath. Bibelwerk 2000. VI, 123 S. 8. Kart. DM 32,-. ISBN 3-460-33046-5.

Rezensent:

Karl-Friedrich Wiggermann

Mit einem Aufsatz von Klemens Richter "Liturgie in nachchristlicher Gesellschaft?" beginnt in Teil 1 des vorliegenden Buches der Abschnitt "Vergegenwärtigung". Der Vf. geht von der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils aus und plädiert für eine Inkulturation der Liturgie auch in kleinen Gruppen. Er konstatiert mit Angelus Häussling, dass wir in "eine unerhörte Krise des Gottesverständnisses geraten sind, und damit stehen Gebet, Gottesdienst, Liturgie von Grund auf in Frage" (zit. Teil 1, 18). Richter weist auf Wege der Liturgie, ein Voneinander-Lernen, das zu einem neuen Miteinander führe. Es müsse eine neue Feiergestalt der Liturgie und eine neue missionarische Dimension in ihr geben. Interessant ist es, wie Richter eine neue Vielfalt der Liturgie in der Einheit der Kirche als römisch-katholischer Liturgiewissenschaftler sieht: in einer oft nur zaghaften und doch wegbereiten Zuversicht auf Gottes Gegenwart.

Einen weiteren Beitrag legt der evangelische Liturgiewissenschaftler Karl-Heinrich Bieritz vor: "Erlebnis Gottesdienst. Erlebniskultur und gottesdienstliche ,Kultur des Lebens'". Bieritz diskutiert gottesdienstliche Erlebnisräume und liturgische Traditionen, einen Milieuethnozentrismus und die Erinnerungs- und Erzählgemeinschaft der christlichen Gemeinde. Erlebnisse und die Selbstverpflichtung immer neuer Erlebnisse - gerade in der Religion - führten zu einem entwerteten und bedrohten Leben schlechthin. Jenseits von Recycling und Simulation gehe es um richtiges Leben, vor allem aber um das neue Alte, das es erlaubte, "der entfesselten, aus dem Bannkreis des ,Heiligen' ausgebrochenen Erlebnismaschine mit Gegen-Spielen zu begegnen" (Teil 1, 44). Der erste Teil des Buches legt missionarische Dimensionen dar - in gottesdienstlicher Sprache, im Kirchenjahr, im Kirchenraum, sogar im schweigenden Reden in Bildern (Thomas Sternberg).

Der zweite Teil des Buches beginnt mit einem Aufsatz des römisch-katholischen Liturgiewissenschaftlers Eduard Nagel: "Nicht jede Feier ist Liturgie. Von neuentdeckten alten und von erfundenen neuen Ritualen". Christliches Feiern dürfe in der Sorgfalt und Intensität dem profanen Feiern nicht nachstehen. Für Laien müssten aber neue liturgische Feiern möglich werden- in einer Communio-Ekklesiologie. "Es wäre traurig, wenn ausgerechnet die Kirche, die wie wohl keine andere Einrichtung das Brauchtum dieser Gesellschaft geprägt hat, den heutigen Hunger nach verläßlichen Feierformen nicht auch zum Nutzen ihrer Botschaft und Aufgabe zu nutzen wüßte" (Teil 2, 15).

Es folgen dann Beiträge zum Thema: "Wo Sakramente noch nicht möglich sind". Eindrucksvoll ist der Aufsatz des Erfurter Dompfarrers Reinhard Hauke: "Die Feier der Lebenswende. Eine christliche Hilfe zur Sinnfindung für Ungetaufte". In einem zweiten Beitrag fasst er liturgiewissenschaftliche Erwägungen und praktische Erfahrungen zusammen: "Nächtliches Weihnachtslob für Nichtchristen". Der Vf. zitiert seinen Erfurter Bischof Joachim Wanke, der von einer "präkatechumenalen Feier" (Teil 2, 101) spricht. "Es darf gehofft werden, daß das ,Nächtliche Weihnachtslob' für manche ein Anstoß wurde, sich den verschütteten oder doch unbekannten Wahrheiten des christlichen Glaubens zu nähern" (zit. Teil 2, 102). Damit sind die Leserinnen und Leser des Buches in dem Abschnitt, der mir der wichtigste zu sein scheint: "Gotteslob in nachchristlicher Gesellschaft". Gotteslob ist mehr als notwendig. Es erklingt noch, wenn menschliches Leben bedroht wird, wenn Menschen- wie Friedrich Nietzsche klagte - "ihre Gründe vergessen". Wenn das Gotteslob erklingt, hat Gott selbst eine missionarische Dimension der Liturgie eröffnet. Das vorliegende Buch ruft Christen in ein neues Lauschen - auf das Unmögliche und dennoch Mögliche, das alle Sinne öffnet.