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Ausgabe:

Oktober/2001

Spalte:

1090–1092

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Janowski, J. Christine

Titel/Untertitel:

Allerlösung. Annäherungen an eine entdualisierte Eschatologie. 2 Bände.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2000. IX, 670 S. 8 = Neukirchener Beiträge zur systematischen Theologie, 23. Kart. DM 98,-. ISBN 3-7887-1728-9.

Rezensent:

Hartmut Rosenau

Das vorliegende, in zwei Teilbänden erschienene opus magnum ist die gekürzte (!) Fassung der 1994 angenommenen Tübinger Habilitationsschrift der inzwischen in Bern tätigen Professorin für Systematische Theologie. Mit dieser umfangreichen Studie mutet die Autorin sich und den Lesern viel zu. Denn es geht ihr nicht nur darum, auf hohem Reflexionsniveau eine argumentative Lanze für eine häretisierte eschatologische Vorstellung, nämlich für die, besser: für eine bestimmte Fassung der sog. apokatastasis panton oder Allversöhnung zu brechen, ohne jedoch Wahrheitsmomente der "orthodoxen", gegenläufigen Vorstellung von einem doppelten Ausgang (Heil/Unheil; Himmel/ Hölle) aufzugeben. Ein wesentlicher Dreh- und Angelpunkt ist dabei das Problem der Sünde, das bei der apokatastasis-Theorie allzu leicht genommen zu werden scheint, bei der Vorstellung vom doppelten Ausgang dagegen fatalerweise zur Annahme einer "Verewigung der Sünde durch Gott selbst" (11; vgl. auch 283) führt. Darüber hinaus geht es aber auch darum, an diesem Thema, das in der Tat kein Randproblem für nur spekulativ Neugierige, sondern durchaus zentral für die Orientierungskraft des christlichen Glaubens ist, die Problematik einer die Theologie im Ganzen belastenden "mentale[n] Operation des strengen Dualisierens" (22 u. ö.) aufzudecken, die zu einem grundsätzlichen Umbau der Dogmatik nötigt - und übrigens auch erhebliche ethische Implikationen etwa hinsichtlich leitender Kontrastbegriffe von Gut und Böse und ihren diskriminierenden Folgen hat.

Dieses mehrschichtige, anspruchsvolle Vorhaben (8 f.) zwingt in vielen Hinsichten zu genauen begrifflichen Abgrenzungen und Differenzierungen (z. B. zwischen absoluten, strikten bzw. strengen und relativen Dualen), zu historischen Richtigstellungen und Transformationen von tradierten Grundüberzeugungen, auch z. B. des reformatorischen Grundsatzes von der in diesem Fall ganz und gar nicht einhelligen "Schrift" als Prinzip der Theologie. Denn es ist bei weitem nicht so, dass generell "die" apokatastasis-Vorstellung verworfen worden ist, sondern lediglich bestimmte Ausformungen innerhalb nicht akzeptabler Rahmenbedingungen (z. B. die Annahme einer Präexistenz der menschlichen Seelen bei Origenes). So wurde etwa die apokatastasis-Theorie des Johannes Scotus Eriugena im Mittelalter verurteilt, aber die altkirchliche Gregors v. Nyssa interessanterweise nicht. Solche Untersuchungen nimmt die Autorin in beeindruckender Gelehrsamkeit und Belesenheit durch ebenso souveräne Präsentation wie subtile Interpretation von einschlägigem, z. T. frappierendem theologiegeschichtlichen Material - "bis hin zum wohl härtesten Problem: der Kinderhölle" (19) - auch mit Blick auf Philosophie und Literatur bis in die Gegenwart hinein vor. Auf diese Weise soll über den inzwischen überkonfessionell eingebürgerten, aber letztlich doch unbefriedigenden, weil unverbindlichen "dritten Weg" zur apokatastasis ("Hoffnung ja - Lehre nein") zwischen euphorischer Befürwortung und pauschaler Ablehnung hinaus doch erreicht werden, eine "Allerlösung" - wie die Autorin aus nachvollziehbaren, aber nicht zwingenden Gründen lieber sagt (12 ff.) - auch verbindlich (assertorisch) zu lehren, ohne jedoch mit einer abstrakten Kritik des Gegenmodells vom doppelten Ausgang wieder in das tückische Fahrwasser eines strikten Dualisierens zu geraten. Aber ebensowenig will die Autorin einem blassen, Geschichte relativierenden und menschliche Freiheit nivellierenden Monismus verfallen ("all is the same in the end"), der es z. B. nicht mehr erlauben würde, angesichts einer eschatischen Erlösung aller zwischen Tätern und Opfern zu unterscheiden. Daher die Formulierung "entdualisierte" (statt monistische) Eschatologie im Untertitel.

Mitunter ist es allerdings schwierig, bei allen je für sich überzeugenden - engagiert, wenn auch manchmal unnötig polemisch, manchmal doch contra intentionem in recht "hermetischem" Sprachgestus (26) vorgetragenen - Abgrenzungen und Negationen von eschatologischen "Modellen" eine in sich konsistente oder identifizierbare Position der Autorin zu finden. Die in langen Anläufen oft gediegen, hin und wieder aber auch verstiegen hergeleiteten Thesen bleiben manchmal noch im Programmatischen bloßer systematischer Andeutungen und Absichtserklärungen stecken.

Worin z. B. soll der sicherlich nicht zu nivellierende Sinn von Geschichte hier und jetzt angesichts einer futurischen Allerlösung konkret bestehen (280)? Wie ist eine sicherlich im Blick auf die Vorstellung von einem "Gericht" nötige Unterscheidung zwischen Person und Tat anthropologisch zu begründen, ohne in eine irreführende Hypostasierung von Taten oder Eigenschaften zu geraten (622)? Soll nun für eine "annihilatio", eine schließliche Vernichtung von gottlosen Menschen (18) in kritischem bzw. modifiziertem Anschluss an E. Hirsch (226) oder von gottlosen Taten (621 ff.) im Sinne einer Verbindung der Allversöhnungsvorstellung mit Wahrheitsmomenten der Vorstellung vom doppelten Ausgang plädiert werden oder nicht? Hier bleiben noch Unklarheiten über die inhaltliche Füllung von durchaus klar herausgearbeiteten Strukturen oder Rahmenbestimmtheiten, wie es vielleicht bei einer "indirekten" Argumentationsstrategie auch nicht anders sein kann. Die Autorin spricht ja auch von vornherein von "Annäherungen" (Untertitel), die noch nicht das ausgearbeitete Konzept selbst zu sein beanspruchen, aber doch mehr sind oder sein sollten als nur eine noch so umfänglich elaborierte Problemanzeige.

So aber bleibt die Frage, ob denn das u. a. intendierte und wünschenswerte Ziel, die Allerlösung verbindlich lehrbar zu machen, auf dem Boden von indirekten Argumentationen (22) und dem kumulativen Beibringen von (sympathisch bescheidenen) "Konvenienzgründen" (24 f.621) aus reformatorischen Prämissen ohne Letztbegründungsansprüche (286) erreicht werden kann. Dazu müsste m. E. konsequenterweise auf vermeintliche Wahrheitsmomente der Vorstellung vom doppelten Ausgang einschließlich der Transformation zur "annihilatio" verzichtet werden, die auch nicht um der Profilierung durch Kontrastbegriffe willen (Spinoza: omnis determinatio est negatio) zu beerben sind (620). Wir brauchen nicht die Hölle als kontrastierenden Erkenntnisgrund für den Himmel - die Erde reicht dazu völlig aus. Eine z. B. an differenzierten Konsens-Modellen orientierte Explikation dessen, was Allerlösung oder Allversöhnung heißen kann, ist daher schon in sich selbst kontrastreich genug (etwa im Sinne einer positiven Übereinstimmung auch in negativen Urteilen über sich selbst). Und die Befürchtung, hier eine ungute mentale Operation des strikten Dualisierens fortzuschreiben, wenn eine gegenläufige Theorie ausgeschlossen wird, ist dann unbegründet, wenn man eine Vermischung ganz unterschiedlicher Ebenen (von Objekt- und Metasprache hinsichtlich der Allversöhnungstheorien) vermeidet.

Das vorliegende Buch "anregend" zu nennen, wie es in wohlwollenden Rezensionen üblich ist, wäre zu wenig gesagt. Wer sich die Mühe macht, es im Ganzen durchzuarbeiten, wird durch eine Überfülle von "Anregungen" theologiegeschichtlicher wie systematischer Art einschließlich einer minutiösen Auseinandersetzung mit einschlägiger, umfassend herangezogener Sekundärliteratur in den reichhaltigen Anmerkungen belohnt. Das leserfreundlich gestaltete Inhaltsverzeichnis bietet aber auch für eine erste, schnelle Orientierung über die Grundgedanken des Buches eine Hilfe an. Zu lesen wären dann sinnvollerweise die "Einleitung" (3-27), die "Folgerungen" (225-227.279-289) sowie die abschließenden "Konvenienz- und Inkonvenienzthesen" (620-626).

Insgesamt gesehen kann man nur hoffen und dem Buch wünschen, dass es zumindest im Blick auf das Lehrstück der Eschatologie zu einer Revision tradierter, aber mehr als problematischer Vorstellungen von "Gericht" und "doppeltem Ausgang" zu Gunsten einer in sich konsistenten Allerlösungs-Lehre beiträgt. Diese Intention teilt der Rezensent mit der Autorin ganz und gar, und ein Blick in neueste dogmatische Lehrbücher stimmt hier zuversichtlich.