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Ausgabe:

Oktober/2001

Spalte:

1084 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Boomgaarden, Jürgen

Titel/Untertitel:

Das Verständnis der Wirklichkeit. Dietrich Bonhoeffers systematische Theologie und ihr philosophischer Hintergrund in ,Akt und Sein'.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 1999. 620 S. gr.8. Kart. DM 98,-. ISBN 3-579-02637-2.

Rezensent:

Christiane Tietz-Steiding

Die anzuzeigende Dissertation beschäftigt sich mit dem bislang nur beiläufig rezipierten und wohl am schwersten zugänglichen Buch Dietrich Bonhoeffers: seiner Habilitationsschrift "Akt und Sein" von 1931, die - wie dem Untertitel von Bonhoeffers Werk zu entnehmen ist - "Transzendentalphilosophie und Ontologie in der systematischen Theologie" zur Sprache bringen will. Der Vf. hat für seine Beschäftigung mit diesem Text das "eher seltene Projekt eines Kommentars" (13) gewählt und unterzieht dazu die gesamte Schrift Bonhoeffers nahezu Satz für Satz einer erläuternden, detaillierten Paraphrase. Damit geht er über die bisher in der Forschung unternommene Skizzierung der Grundzüge von "Akt und Sein" ein großes Stück hinaus. Die Lektüre der Arbeit wird durch die jeweils zu Beginn eines Paragraphen vorgestellte Gliederung, dessen abschließende Zusammenfassung und ein ausführliches Register erleichtert.

In der Regel folgt der Vf. dem Aufbau von "Akt und Sein". Um sich ganz auf diesen Text, den er als "Bonhoeffers kleine ,Systematische Theologie'" (34) versteht, zu konzentrieren, verzichtet der Vf. fast völlig auf andere Schriften Bonhoeffers und bringt nur in der Einleitung Sekundärliteratur zu Bonhoeffers Theologie ins Gespräch.

Im Einleitungsteil (15-60) werden zunächst die Bedeutung von "Akt und Sein" für Bonhoeffer selbst sowie die bisherige Erforschung und Rezeption des Textes dargestellt. Dann wird eine erste Bestimmung der Begriffe "Akt" und "Sein" versucht. Weil es Bonhoeffer um die "Suche nach einem christlich verantworteten Wirklichkeitsverständnis" gehe, müsse er die "Erkenntnismöglichkeit und Erkenntnisweise dieser Wirklichkeit" (49) thematisieren. Der Vf. arbeitet heraus, dass das damit bezeichnete Erkenntnisproblem am Besten durch ein Begriffspaar zu beschreiben sei, "dessen Elemente sich einerseits gegenseitig ausschließen, um dem gegenseitigen Transzendenzcharakter von Erkennen und Erkanntem gerecht zu werden, aber die auch irgendwie sich zusammenschließen, um die Einheit von Erkennen und Erkanntem im Begriff der Erkenntnis festzuhalten" (52). Genau diese Bedingungen erfülle das Begriffspaar "Akt" und "Sein": "Akt" bezeichne eine "Beziehung, die uns angeht", "Sein" indessen "das, was in sich bleibt, ,das Bewußtseinstranszendente'" (41). "Akt" solle dabei als "seinsfremd" gedacht werden, aber doch nur im Sinne einer "vorläufigen" Ausschließlichkeit, weil "beide Begriffe auf Einheit hin konzipiert sind" (53).

Im zweiten Teil der Arbeit ",Akt' und ,Sein' in der Kritik der Theologie" (61-306) führt der Vf. anhand der Begriffe "Akt" und "Sein" Bonhoeffers Transzendentalismus-, Idealismus- und Ontologie-Begriff vor. Dabei fragt er, inwiefern Bonhoeffer den jeweiligen Konzeptionen von Kant, Fichte, Hegel, Husserl, Scheler und Heidegger gerecht wird. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Bonhoeffer diese - "ausgehend vom Akt- oder Seinsbegriff" - jeweils "vielschichtig" und "differenziert" ausarbeite (300). Bonhoeffers in "Akt und Sein" ebenfalls unternommene Auseinandersetzung mit Erich Przywara, Karl Barth, Rudolf Bultmann, Reinhold Seeberg und Eberhard Grisebach lässt der Vf. unberücksichtigt, weil s. E. Bonhoeffers Debatte mit den genannten philosophischen Konzeptionen ein größeres Gewicht für dessen eigenen Entwurf zukommt (37).

Der dritte Teil der Darstellung mit dem Titel ",Akt' und ,Sein' im Dienst des kirchlichen Denkens und Wissens" (307-584) präsentiert "Akt und Sein" als dogmatischen Gesamtentwurf: Das Verhältnis von Theologie und Philosophie, der Offenbarungsbegriff, Ekklesiologie, Anthropologie, Erkenntnislehre, Trinitätslehre, Sünden- und Gnadenlehre sollen durch die Begriffe "Akt" und "Sein" neu konzipiert werden.

Die Originalität der vorliegenden Darstellung ist darin zu sehen, dass ihr Vf. Bonhoeffers Buch ganz und gar anhand der beiden Begriffe "Akt" und "Sein" zu interpretieren sucht. Durch diesen begriffsorientierten Ansatz versucht der Vf. jedoch, das Anliegen von Bonhoeffers Werk zu stark auf die "Klärung des Akt-Seins-Problems" (309) zu focussieren. Zwar hat der Vf. für diesen Versuch etliche Formulierungen Bonhoeffers auf seiner Seite. Die sachliche Durchführung in "Akt und Sein" lässt aber erkennen, dass Bonhoeffer die Auseinandersetzung mit dem philosophischen Begriffsverständnis von "Akt" und "Sein" nur dazu benötigt, um - derart geschult - diese Begriffe für die Beschreibung von durch die Offenbarung bestimmten, theologischen Sachverhalten zu benutzen. Sie sind ihm Mittel, nicht Selbstzweck. Würde sich nicht von der Sache der Offenbarung und des Glaubens her die Beschreibung der Offenbarung und des Glaubens mit den Begriffen "Akt" und "Sein" als angemessen und notwendig erweisen, dann müsste und könnte das "Akt-Seins-Problem" gar nicht zum Gegenstand einer theologischen Studie gemacht werden. Zwar versucht Bonhoeffer in seiner Studie zu zeigen, dass nur von der Offenbarung her ein wirklicher Aktbegriff gedacht werden kann (weil nur in der Offenbarung von einer wirklichen Transzendenz, auf die sich der Akt bezieht, geredet werden kann) und nur in der Offenbarung ein wirklicher Seinsbegriff vorkommt (weil nur in der Offenbarung der Mensch das Sein denken kann, ohne sich seiner zu bemächtigen - ist es doch Gottes Sein, das sich in der Offenbarung selbst dem Menschen erschließt).

Diese Behauptungen lassen sich jedoch nicht philosophisch einsichtig machen, sondern höchstens mit philosophischen Begriffen beschreiben. Nur in diesem Sinne lässt sich nach Bonhoeffers Überzeugung "eine philosophisch verantwortete Theologie" (207) treiben.