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Ausgabe:

Oktober/2001

Spalte:

1075 f

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Halbmayr, Alois

Titel/Untertitel:

Lob der Vielheit. Zur Kritik Odo Marquards am Monotheismus.

Verlag:

Innsbruck-Wien: Tyrolia 2000. 457 S. 8 = Salzburger Theologische Studien, 13. Kart. öS 540.-. ISBN 3-7022-2255-3.

Rezensent:

Andreas Friese

Vorliegende Arbeit, die von der Salzburger theologischen Fakultät als Dissertation angenommen wurde, versucht anhand der Überlegungen des Philosophen Odo Marquard (M.) erstmals wesentliche Inhalte "gegenwärtiger (kultur)philosophischer, politischer und postmoderner Kritik am Monotheismus" zu präsentieren und zu diskutieren. Im Zentrum steht das Gottesverständnis M.s, das auf seine theoretische Tragfähigkeit und praktische Relevanz befragt werden soll. Ziel der Untersuchung ist es, "die tatsächlichen oder vermeintlichen Schwachpunkte im christlichen Monotheismuskonzept aufzuspüren, um von der Außenperspektive her neue Impulse für eine plausible und sachgemäße Rede von Gott in unserer modernen Welt zu erhalten" (16).

Kapitel 1 setzt ein mit einer Darstellung der Grundzüge und Methoden der Philosophie M.s, deren zentrale Motive, der Usualismus, die Betonung der Endlichkeit und die Bedeutung der Erfahrung, auf eine "lebenspraktische Ausrichtung" (32) verweisen. Die "multipositionale Skepsis" des "interimistischen Skeptikers" (44, 50) stehe in der pyrrhonischen Tradition und habe ihren Ort in der modernen bürgerlichen Gesellschaft gefunden. Im Kapitel 2 wird das erkenntnisleitende Interesse M.s erläutert. In der Kritik der Geschichtsphilosophie schwinge "eine verdeckte Anthropologie mit", deren Grundeinsichten - der Mensch als Mängelwesen, als homo compensator, und die Überzeugung der vita brevis -, "die Philosophie der menschlichen Freiheit" (381) konstituieren. Das konsequente anthropologische Interesse manifestiere sich im unbedingten Ja zur bürgerlichen Gesellschaft. Die Kompensationsthese als theoretisches Herzstück wird ausführlich auf ihre anthropologische und modernitätsapologetische Funktion hin reflektiert. Der sorgsamen Rekonstruktion und Interpretation dieser Abschnitte schließt sich eine Kritik am erkenntnisleitenden Interesse an, die den "ideologischen Verkürzungen", "fragwürdigen Annahmen", den Einseitigkeiten und defizitären Analysen M.s nachgeht (122 ff.).

Damit ist der Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen in Kapitel 3 die These vom "Lob des Polytheismus" als Kehrseite der Kritik am Monotheismus entfaltet wird. Der Vf. zeigt zunächst, dass sämtliche Kritik M.s am biblischen Monomythos (fehlende Pluralität, ungenügender Freiheitsspielraum), dessen "erstes Gebot lautet: Du sollst keine anderen Positionen, Geschichten, Philosophien etc. neben mir haben", letztlich auf den Einwand der mangelnden Toleranz hinauslaufe (145). Im Anschluss daran bündelt der Vf. die wichtigsten Fragen dieser Auffassung und arbeitet vor dem Hintergrund der Monotheismus-Kritik der Neuzeit von Hume bis hin zu Blumenbergs kulturanthropologischer Version deren Probleme präzise heraus. In dieser Perspektive kommt der Polytheismus in seiner Funktion als "Anti-Allmacht" (215) zu stehen, als Garantie gegen die Wiederkehr des Einheitsdenkens mit seiner Tendenz, menschliche Freiheit zu verhindern. Der Explikation des in dieser Auffassung verborgenen Gotteskonzepts widmet sich das Kapitel 4. Der Vf. unterscheidet bei M. zwischen dem "Gott der Theodizee" und dem "Gott der Geschichtsphilosophie". Der Gott der Theodizee interessiere bei M. nur noch unter ideengeschichtlichen und aitiologischen Aspekten; als Postulat oder als Metapher sei er eine Erklärungshilfe für die Entstehung der Geschichtsphilosophie. Der "Gott der Geschichtsphilosophie" bleibt weitgehend unthematisch, stattdessen folgt ein souveräner Überblick über die geistesgeschichtlichen Zusammenhänge der Geschichtsphilosophie M.s. Kapitel 5 fasst in 20 prägnanten Thesen M.s unsystematische Kritik am Monotheismus zusammen und rekapituliert deren Leistungen.

Anschließend unterzieht der Vf. im Abschnitt "Theologische Perspektiven" den Polytheismus einer historischen Prüfung. Er zeigt, dass es "im Grunde keine befriedigende Theorie der Vielheit ohne Verweis oder Hinordnung auf ein Eines" (402) gibt. M.s Rückgriff auf das humane polytheistische Potential, das durch Gewährung von Freiheit den Menschen als Einzelnen sich zu konstituieren erlaubt, erscheine als ein reprojizierter Polytheismus, der sich aus der romantischen Tradition speise (389). Angestrebt werde nicht die Restitution der antiken Götterwelt, sondern die Bewahrung der dem Polytheismus zugeschriebenen positiven Funktionen. Gegen den Haupteinwand des fehlenden gewaltenteiligen Innenlebens im Monotheismus entwickelt der Vf. nun seine These, wonach "in der christlichen Trinität ein Modell gelungener Vermittlung von Einheit und Vielheit" (410) vorliege, dass aber die praktische Rezeption die Wirksamkeit der pluralen Dimension verhindere (warum das so ist, bleibt undiskutiert).

Die Trinitätslehre, so das Ergebnis, "ist im Monotheismus jenes Modell, das genau diese Gewaltenteilung, dieses große humane Prinzip des Polytheismus verkörpert." (419). Abschließend nennt der Vf. "Konsequenzen und Postulate" für eine Auseinandersetzung der Theologie mit M., für die er das reiterative Universalismuskonzept (428) Michael Walzers empfiehlt, da es der christlichen Tradition gestatte, "Wahrheitsansprüche aufrechtzuerhalten und zugleich zu relativieren", und somit dem Vorwurf eines theologischen Absolutismus wirksam zu begegnen vermag.

Die umsichtig und nachvollziehbar argumentierende, auch die berechtigten Vorwürfe M.s würdigende und gut lesbare Studie beeindruckt durch die Kompetenz des Vf.s., durch Präzision, fundierte Kritik und die um aktuelle Orientierung bemühte Zielsetzung. Kritisch sei angemerkt: Die Großzügigkeit, mit der sich M. die philosophische und theologische Tradition so zurechtlegt, stellt die Frage nach dem Verhältnis von historischer Betrachtung und systematischem Philosophieren bei M.; in dem Zusammenhang hätten Überlegungen zum erkenntnistheoretischen Status Marquardschen Philosophierens vertieft werden können (21.159, Anm. 56). Vermisst wird hier eine hermeneutisch-methodische Reflexion des eigenen Ansatzes. Und obwohl der Vf. in seiner These viele wichtige Aspekte sorgfältig behandelt, bringt er kaum neue Einsichten zur Geltung. Meist schließt er sich an vorliegende Sekundärliteratur an, die ein ausführlicher Anmerkungsteil kommentiert. Der Wert der Untersuchung liegt daher weniger in der Originalität der von ihr vertretenen These als vielmehr in der kenntnisreichen theologischen Aufarbeitung der Philosophie M.s, so dass diese Arbeit auch als kompetente Einführung in dessen Denken empfohlen werden kann.