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Ausgabe:

Oktober/2001

Spalte:

1067–1069

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Stallmann, Edith

Titel/Untertitel:

Martin Stallmann - Ein westfälischer Pfarrer im Kirchenkampf (1934-1948).

Verlag:

Bielefeld: Luther 1996. 357 S. gr.8 = Beiträge zur Westfälischen Kirchengeschichte, 11. Kart. DM 62,-. ISBN 3-7858-0380-X.

Rezensent:

Vicco von Bülow

Joachim Mehlhausen benannte als erstes Desiderat für die Erforschung der Geschichte der Kirchen in den Jahren 1933-45 die Erstellung von "Biographien der Hauptbeteiligten aus allen kirchenpolitischen Lagern". In diesem Sinne hat der vorliegende zweite Teil der Biographie des westfälischen Pfarrers Martin Stallmann seine Bedeutung, auch wenn Stallmann wohl nur bedingt zu den "Hauptbeteiligten" der damaligen Zeit zählte. Der zu besprechende Band behandelt vor allem die Jahre 1934 bis 1945, auf S. 331 zusätzlich die im Titel genannten Nachkriegsjahre seines Lebens.

Edith Stallmann, Ehefrau von Martin Stallmann (1903-1980), konzentriert sich auf die theologischen und kirchlichen Bezüge ihres Mannes, wobei ihr Blick auf die Alltagsgeschichte von Pfarrern und Gemeinden im Sinne einer Konfliktgeschichte durchaus überzeugt (vgl. 14). Speziell auf ihren Mann bezogen weist sie nach, dass seine kirchenpolitische Existenz von seinen theologischen Grundüberzeugungen bestimmt war, eine Haltung, die sie in Westfalen sowohl bei den Deutschen Christen (DC) wie auch bei der - von ihr konsequent "radikal" genannten - bruderrätlichen Bekennenden Kirche (BK) vermisst.

Statt einer chronologischen Gliederung ordnet die Autorin die sechs Hauptkapitel thematisch in drei Komplexen an, so dass Gleichzeitiges nacheinander und zum Teil recht weit getrennt voneinander behandelt wird.

Erstens: Nachdem Martin Stallmann im Januar 1934 als einer der Pfarrer der von einem mehrheitlich bekenntniskirchlichen Presbyterium geleiteten Dortmunder Petri-Nicolai-Gemeinde eingeführt worden war, bestimmte vor allem "der tägliche Kleinkrieg" (67) mit den DC den Alltag; im Mai 1935 erhielt er Redeverbot durch die Gestapo. Seine Haltung zur BK war divergent. Zum einen betonte er: "sich von der Bekenntnisfront trennen, heißt effektiv, sich von der Kirche trennen" (84; schade, dass der Brief vom 26.10.1935 versteckt in einer Fußnote zitiert wird). Zum anderen sprach er mehrfach der BK sowohl das "Kirche"-Sein wie auch das "Bekenntnis" ab (vgl. 82.171.309). Der Grund dafür lag in seiner von Georg Merz und Friedrich Gogarten geprägten lutherischen Theologie. Edith Stallmann wendet sich gegen den Vorwurf, ihr Mann sei ein konservativer Konfessionalist gewesen. Demgegenüber zeigen aber m. E. dessen kirchenpolitisch-theologische Stellungnahmen immer wieder auf, wie sehr er gerade durch konfessionalistische Denkstrukturen im lutherischen Sinne geprägt war (vgl. 72.79.125.130 f.).

Die Theologische Erklärung von Barmen konnte Martin Stallmann nicht als Bekenntnis verstehen und sah dort nur den Dünkel der BK, die glaube, durch die (berechtigte) Abwehr der DC schon den (s. E. noch zu bewältigenden) Aufbau der Kirche zu betreiben. Neben den theologischen sieht Edith Stallmann auch menschlich-allzumenschliche Konflikte zwischen den rivalisierenden BK-Pfarrern, wobei sie vor allem den dahlemitisch orientierten Mitgliedern des Bruderrats "in den Männerspielen des Kirchenkampfes" (158) vielfach Diffamierungen des Gegners vorwirft. Besonders mit Karl Lücking geriet Martin Stallmann mehrfach in Konflikt.

Zweitens: Innerhalb des lutherischen Konvents erfuhr Martin Stallmann am meisten Rückhalt, allerdings zerbrach der Konvent Anfang 1936 an der unterschiedlichen Haltung zu den Reichskirchenausschüssen (RKA). Denn während Georg Merz und andere den RKA ablehnten, befürwortete Stallmann ihn von Anfang an. Während des Jahres 1936 arbeitete er als theologischer Hilfsarbeiter und persönlicher Assistent des Ausschussvorsitzenden Wilhelm Zoellner im RKA mit und wurde auch in dessen Theologische Kammer berufen. Seine Tätigkeit als Geistlicher Konsistorialrat beim Konsistorium der Kirchenprovinz Westfalen in Münster (von Oktober 1936 bis Oktober 1937) war wenig befriedigend.

Drittens: Am 1.11.37 wurde Martin Stallmann durch das Konsistorium kommissarisch zum Pfarrer im ostwestfälischen Westkilver ernannt, einen Monat später auch ordentlich berufen. Er reduzierte die dortigen Konflikte zwischen der BK-Mehrheit und der DC-Minderheit, u. a. indem er einen DC-Prediger in der Kirche predigen ließ und Ende 1938 selbst einen DC-Gottesdienst hielt (298 f.; 302; Letzteres hätte von der Autorin kommentiert werden sollen). Wie in Dortmund, so war Stallmann auch in der Herforder Pfarrkonferenz mehr und mehr isoliert. Obwohl er der BK näher stand als den DC, fühlte er sich "kirchenpolitisch nicht gebunden" (308), sondern nur seiner Gemeinde verpflichtet. Hier leistete er engagierte Arbeit, umging in den Jahren 1939-41 mit einem persönlichen Gemeindebrief das bestehende Publikationsverbot und verteidigte energisch den schulischen Religionsunterricht (vgl. 313 ff.). Wie in Dortmund wandte er sich auch in Westkilver gegen die antichristlichen Elemente der NS-Ideologie und warnte vor den Deutschgläubigen.

Zusammen mit Gustav von Bodelschwingh, Wilhelm Bartelheimer und Hans Stock konzipierte Stallmann ab April 1937 ein lutherisches Sammelvikariat in Dünne bei Bünde. Ein kirchenpolitisch neutraler Typ von Predigerseminar war ihr gemeinsames Ziel, methodisch stand eine ganzheitlich-handlungsorientierte Ausbildung im Mittelpunkt. Der EOK in Berlin unterstützte das Projekt, während der Herforder Superintendent Niemann es ebenso ablehnte wie Georg Merz und Präses Koch. Edith Stallmann sieht demgegenüber die "Dünner Linie" (260) gerade als BK im NS-Staat und versucht sich damit gegen Ulrich Rottschäfers These zu wenden, das Sammelvikariat sei als Spitze gegen die BK intendiert worden. Ihr Mann war dort ab Januar 1938 Kuratoriumsmitglied und als Dozent für exegetische, dogmatische und kirchenrechtliche Kurse zuständig.

Im Sommer 1941 meldete sich Stallmann als Soldat und wurde im Rahmen seiner Offiziersausbildung Ende 1942 kurzzeitig an der Front in Rußland eingesetzt; laut seinem Kriegstagebuch erhielt er hier Mitteilung von Judenvernichtungen (vgl. 327). Einige Predigten aus dieser Zeit werden von der Autorin analysiert, wobei sie in Bezug auf die Predigt zum Heldengedenktag 1944 erstmalig Kritik am Verhalten ihres Mannes übt, der den Unterschied zwischen Tätern und Opfern individualethisch nivelliert habe (vgl. 320). Nach kurzer Gefangenschaft kehrte Martin Stallmann im Mai 1945 nach Westkilver zurück, wo er noch bis Ende 1948 amtierte.

Im Resümee des Buches fallen die "Bausteine und Desiderate für eine Beschreibung des Kirchenkampfes in Westfalen" (340 f.) auf. Weitere biographische und regionalgeschichtliche Untersuchungen sind tatsächlich erforderlich, um eine weitere innere Differenzierung vornehmen zu können. Allerdings ist das vorliegende Buch hierfür nur eingeschränkt als Exempel zu nennen: Zu stark erscheint die Bindung der Autorin an ihr "Thema", zu gering die wissenschaftlich notwendige Distanzierung der Ehefrau von ihrem Mann. Dies gibt dem Buch ein oft unnötig polemisches Gepräge, durch das die eigentlich gute Quellenerschließung zu sehr in den Hintergrund gedrängt wird.

Ein knappes Quellen-, Literatur- und Personenverzeichnis (344-357) schließt die Arbeit ab.