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Ausgabe:

Oktober/2001

Spalte:

1062–1064

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Castan, Joachim

Titel/Untertitel:

Hochschulwesen und reformierte Konfessionalisierung. Das Gymnasium Illustre des Fürstentums Anhalt in Zerbst 1582-1652.

Verlag:

Halle (Saale): Mitteldeutscher Verlag 1999. 340 S. m. 10 Taf. gr.8 = Studien zur Landesgeschichte, 2. Geb. DM 50,-. ISBN 3-89812-016-3.

Rezensent:

Harm Klueting

Die reformierten Hohen Schulen der Frühen Neuzeit sind seit den siebziger Jahren verstärkt in den Blick der Forschung getreten. 1977 erschien die Dissertation von Anton Schindling, "Humanistische Hochschule und freie Reichsstadt. Gymnasium und Akademie in Straßburg 1538-1621". 1978 berichtete Ulrich Im Hof in einem von Peter Baumgart und Notker Hammerstein herausgegebenen Aufsatzband über "Die Entstehung der reformierten Hohen Schule: Zürich (1525) - Bern (1528)- Lausanne (1537) - Genf (1559)", nachdem er schon 1977 in einem Sammelband von Erich Maschke und Jürgen Sydow "Die reformierten Hohen Schulen in schweizerischen Stadtstaaten" vorgestellt hatte. 1981 folgte die Dissertation von Gerhard Menk, "Die Hohe Schule in Herborn in ihrer Frühzeit (1584-1660). Ein Beitrag zum Hochschulwesen des deutschen Kalvinismus im Zeitalter der Gegenreformation". 1988 rückte mit dem Aufsatzband "400 Jahre Arnoldinum. 1588-1988" auch die reformierte Hohe Schule im westfälischen Burgsteinfurt in ein helleres Licht.

Die Straßburger Akademie war noch keine reformierte Hohe Schule, aber die Keimzelle dieses Hochschultyps und das Vorbild der 1559 gegründeten Genfer Akademie. Die älteste dieser Hochschulen in Deutschland war das als Ausweichinstitution für die Heidelberger Universität nach der Wiederherstellung des Luthertums in der Kurpfalz 1578 in Neustadt an der Weinstraße gegründete, aber 1585 wieder geschlossene "Casimirianum". Wichtiger wurde die 1584 gegründete Hohe Schule zu Herborn, auf die 1591 die Hohe Schule zu Burgsteinfurt folgte, während mit der Hohen Schule in Bremen und der Hohen Landesschule in Hanau weitere reformierte Hochschulen entstanden. In den reformierten Hohen Schulen waren Gymnasium und Hochschule organisatorisch verbunden. Doch besaßen diese Hochschulen keinen Universitätsrang und konnten keine akademischen Grade verleihen, weil ihnen päpstliche oder kaiserliche Universitätsprivilegien fehlten. So firmierten sie als "Akademie" oder als "Gymnasium Illustre". Wie Universitäten hatten sie neben theologischen und philosophischen oder artistischen oft auch juristische und medizinische Lehrstühle und konnten sich in die üblichen vier Fakultäten gliedern. Überdies waren sie geteilt in ein Gymnasium, die "schola privata", und die "schola publica", die den Unterricht der Artistenfakultät und die Vorlesungen der drei höheren Fakultäten umfasste. Straßburg erfuhr 1566 einen Reformversuch, mit dem eine deutlichere Abgrenzung dieses universitären Teils der Akademie von ihrem schulischen Unterbau erreicht werden sollte, wozu es aber nicht kam. Genf galt früher als Muster des reformierten Hochschulwesens, was seit Menk anders beurteilt wird. So ging Herborn anscheinend direkt auf die in Straßburg nicht verwirklichten Reformpläne von 1566 zurück und war nach dem Universitätsmodell gestaltet, während Genf dem niedrigeren Typus eines Gymnasiums mit akademischem Oberbau entsprach. Die Herborner Hohe Schule wurde danach selbst zum Modell.

In diesem Zusammenhang wird zumeist auch das Gymnasium Illustre im anhaltischen Zerbst genannt, das Castan zum Gegenstand seiner in Osnabrück angenommenen Dissertation gemacht hat. Der Gründer, der seit 1570 regierende Fürst Joachim Ernst von Anhalt, wird von C. als "typischer Vertreter der philippistischen Irenik" (39) bezeichnet. Seit 1578 war Wolfgang Amling, ein philippistischer Theologe, Superintendent in Zerbst und faktisch Generalsuperintendent von Anhalt. Er begann, die von anhaltischen Kandidaten bis dahin im nahen Wittenberg gesuchte Ordination in Zerbst vorzunehmen, was - so ein nachträglicher Eintrag im Zerbster Ordinationsbuch - mit der "Zwietracht wegen des Konkordienbuches" (44) begründet wurde. Damit aber war der Weg zum Theologiestudium in Wittenberg verbaut. "Entweder mußten fortan philippistische Theologen aus anderen Territorien nach Anhalt kommen, oder anhaltische Theologiestudenten mußten an andere Universitäten ausweichen. Zur Ausbildung eines eigenen akademischen Nachwuchses und der Rekrutierung der kirchlichen Stellen erschien nach 1578 die Schaffung einer eigenen akademischen Ausbildungsanstalt immer dringlicher" (44). So kam es in Zerbst zur Gründung einer Hochschule als "theologische Alternative zu Wittenberg" (53) im Gebäude des ehemaligen Franziskanerklosters an der Stadtmauer - heute Sitz des "Gymnasiums Francisceum".

Die 1582 eingerichtete, 1584 rechtlich ins Leben getretene Hohe Schule war mit Professoren besetzt, die dem Konkordienbuch ablehnend gegenüberstanden, und wurde von Amling dominiert, aber auch von Kaspar Peucer, einem der Inspektoren der Anstalt, beieinflusst. Sie blieb ein Hort des Philippismus, als Anhalt nach dem Tod des 1586 gestorbenen Fürsten Joachim Ernst - 1606 - in Anhalt-Dessau, Anhalt-Bernburg, Anhalt-Plötzkau und Anhalt-Zerbst geteilt wurde und die Söhne, darunter der in Zerbst regierende Johann Georg I., für das Reformiertentum optierten, nachdem Christian von Anhalt(-Bernburg) in kurpfälzische Dienste getreten war und 1595 eine Tochter des Pfalzgrafen Johann Casimir geheiratet hatte - C. spricht vom "Nebeneinander von Zerbster Irenik und fürstlicher, reformierter Konfessionalisierung" (93). 1606 wurde in Anhalt nicht nur der Heidelberger Katechismus eingeführt; 1606 starb auch Wolfgang Amling. Sein Tod "war das Ende einer Ära: Über die Jahre starben auch die übrigen Philippisten an der Hochschule, so daß der Widerstand gegen eine reformierte Konfessionalisierung immer schwächer wurde" (95). Die Wende kam 1612 mit der Einsetzung Friedrich Wendelins als Rektor der Hochschule durch Fürst Johann Georg I. Wendelin bereitete dem irenischen Philippismus ein Ende und brachte das Reformiertentum in die Hochschule. Dennoch wurde Zerbst nicht die Hochburg reformierter Theologie in Mitteldeutschland. 1616 wurde zu Einsparungszwecken die Professorenzahl von acht auf fünf reduziert und das Studienangebot auf Theologie und freie Künste beschränkt. Im Dreißigjährigen Krieg führten die Eroberung von Zerbst durch Truppen des Grafen Ernst von Mansfeld, Plünderung und Verwüstung der Schulgebäude und die anschließende Besetzung der Stadt durch Kaiserliche unter Wallenstein 1626 zur Einstellung des Lehrbetriebs und zum Aufhören der Immatrikulationen. 1628/29 setzte zwar der Wiederaufbau ein, doch kam 1642 wegen des kriegsbedingten Fehlens aller Geldmittel erneut der Zusammenbruch, auch wenn die kaum noch finanzierbare Institution notdürftig aufrechterhalten wurde. Nach der Wiedereinführung des Luthertums unter dem seit 1642 regierenden Johann III. von Anhalt-Zerbst spielte die Hochschule dann die Rolle einer reformierten Hohen Schule in einem lutherischen Territorium, die sich vom Ende des Dreißigjährigen Krieges bis zur Schließung 1798 auf dem Niveau einer besseren Lateinschule mit Ausbildungsfunktion für die einheimische Pfarrerschaft, mit geringer Studentenzahl und mangelhafter finanzieller Ausstattung bewegte.

C. bietet eine solide Darstellung der Geschichte des Zerbster Gymnasiums Illustre für die Zeit von 1582 bis 1652 und geht auch auf die Struktur der Hochschule und auf Lehrangebot und Unterrichtsmethode - Auseinandersetzungen um den Ramismus um 1600 und Versuche einer Verbindung von melanchthonischem Aristotelismus und Ramismus zu einem Philippo-Ramismus - ein, worauf hier nur hingewiesen werden kann. Auch Einzelheiten bis hin zu in der Mensa angebotenen Mahlzeiten finden Beachtung. C. leistet einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Universitäts- und Hochschulgeschichte des Konfessionellen Zeitalters in Deutschland und besonders des Typus der reformierten Hohen Schule. Zugleich verdient sein Buch Beachtung in der Debatte um die reformierte Konfessionalisierung. Hier und da müssen in dieser gut recherchierten Arbeit aber doch Fragezeichen angebracht werden. Bisweilen scheint der Gegensatz zwischen Philippismus und Reformiertentum zu starr gesehen und das Reformiertentum, wie es in Anhalt in Erscheinung trat, zu monolithisch verstanden zu werden, auch wenn Wendelin eine "streng calvinistische Auffassung der Prädestination" (265) vertrat. Fraglich scheint mir, ob Melanchthons "Loci" tatsächlich in der Fassung von 1521 gelehrt wurden (262) und nicht vielmehr in der von 1559. Klärungsbedürftig ist, was C. mit seiner Unterscheidung zwischen dem "großen Heidelberger Katechismus" und dem "kleinen Heidelberger Katechismus" (94, 100, 121) meint. Tatsächlich gibt es nur einen Heidelberger Katechismus, der, 129 Fragen und Antworten umfassend, Aufnahme in die kurpfälzische Kirchenordnung von 1563 fand (BSRK Nr. 35; EKO 14, 342-375). Daneben gibt es die in der Forschung als "Catechismus Major" - 323Fragen - bezeichnete lateinische "Summa Theologiae" von 1562 und den deutschen "Catechismus Minor" - 108 Fragen, beides von Zacharias Ursinus verfasste Entwürfe zum Heidelberger Katechismus (dazu in Kürze H. Klueting, Art. Zacharias Ursinus, in: TRE). Die "Bibliothek der Großen Kirche" (303) in Emden heißt heute "Johannes a Lasco Bibliothek". Leider hat C. auf ein Register verzichtet.