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Ausgabe:

Oktober/2001

Spalte:

1060–1062

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Blückert, Kjell

Titel/Untertitel:

The Church as Nation. A Study in Ecclesiology and Nationhood.

Verlag:

Frankfurt/Main-Berlin-Bern-Bruxelles-New York-Oxford-Wien: Lang 2000. 363 S. 8 = European University Studies. XXIII: Theology, 697. DM 98,-. ISBN 3-631-36168-8.

Rezensent:

Georg Lämmlin

Bei dieser englischsprachigen Studie handelt es sich um die Dissertation eines katholischen Theologen (vgl. 17) an der Theologischen Fakultät der Universität Uppsala aus dem Jahr 2000, teilweise auch am Europäischen Institut für Geschichte in Mainz verfasst. Die im Titel angezeigte Ekklesiologie wird im uvre zweier evangelischer schwedischer Bischöfe aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jh.s, J. A. Eklund und N. Söderblom, auf ihren nationalen Hintergrund hin untersucht. Es soll am exemplarischen Beispiel Schwedens gezeigt werden, wie die parallel verlaufende Entwicklung von modernem Nationalismus und Konfessionalismus aus der Vorstellung von Nationalstaaten und -kirchen resultierte.

Die Untersuchung ist in 8 Kapitel gegliedert, wovon das erste die inhaltliche und methodologische Einleitung und das letzte die Diskussion der Ergebnisse unter der Perspektive "The Swedish Church as Superideology" bietet. Die übrigen sechs Kapitel bilden zwei Teile, wovon der erste die theoretische und methodologische Grundlage, der zweite die materiale Analyse liefert. In den Kapiteln 2-4 referiert Blückert die neuere Theoriediskussion zu den Komplexen "Nation", "Kirche" und deren Zusammenhang. In den Kapiteln 5-7 folgt eine Untersuchung dieser drei Komplexe an Eklunds schwedischer Kirchengeschichte, der von ihm komponierten Hymne "The Fathers Church" und von Reden Söderbloms.

Mit seiner These will er die geläufige Entgegensetzung zwischen Eklund als dem Vertreter eines nationalistischen Kirchen- und Gesellschaftsverständnisses und Söderblom als dem Vertreter einer internationalen Perspektive für Kirche(n) und Gesellschaft widerlegen: "In the literature there has been a misleading polarisation between Nathan Söderblom and J. A. Eklund. The icons of the internationalist Söderblom and the nationalist Eklund have deceived the interpreters. Both of them were convinced nationalists with international perspectives" (310). Bei Söderblom sollen daher die nationalen Limitierungen, bei Eklund eine internationale Perspektive offengelegt werden.

Die historiographische und politologische Basis für seine Untersuchung findet B. in einem modernisierungstheoretischen Verständnis des Komplexes von Nation und Nationalismus, wie es insbesondere von Eric Hobsbawm und Ernest Gellner entwickelt worden ist und wie es im Umkreis der Zeitschrift "Nations and Nationalism" seit 1995 in interdisziplinären Studien vertieft und konkretisiert wird. Den Kerngesichtspunkt bildet die Einschätzung, dass die Nationen (oder Nationalstaaten) ein neuzeitliches Phänomen darstellen, die mit dem Aufkommen des einerseits revolutionären, andererseits romantischen Nationalismus im Rückgriff auf ein nationalistisch gesteuertes Traditionsverständnis "rekonstruiert" und "imaginiert" werden (vgl. 26 f., 57, 84 u. ö.).

B. rekonstruiert die Verhältnisbestimmung von Kirche und Nation im Kontext des nationalen Diskurses so, dass im Rahmen des modernen ekklesiologischen Denkens in Schweden die Kirche zum sichtbaren Ausdruck für die unsichtbare Nation werde (vgl. 133, 274 u. ö.): Die konfessionelle "Nationalkirche" stelle die "Superideology" dar.

In der Kirchengeschichte Schwedens von J. A. Eklund identifiziert B. im 5. Kapitel im Rahmen einer national-konservativen Kritik des modernen-säkularen Nationalstaates, die dessen religiöse Dimension zur Geltung bringen will, ohne weiteres einen durchgängigen Bezug auf den nationalistischen Diskurs. Die Kirchengeschichte kann geradezu als dessen Medium angesehen werden, wie B. resümiert: "The sleeping nation of the Swedish nationalistic discourse was slept in the church. Through church history the memory ... was awakend" (221). Im folgenden Kapitel zeigt B. an der von Eklund für eine Jugendkonferenz 1911 komponierten (vgl. 153 f.) und 1937 (!) ins Schwedische Gesangbuch aufgenommenen Hymne "The Fathers Church", wie die schlafende Nation des nationalistischen Diskurses in der Kirche geistesgegenwärtig werden soll. Die internationale Perspektive in seiner national-konservativen Grundorientierung sei darin zu sehen, dass die Subjektivierung der schwedischen Nation zur Nationalkirche in einer universalen Friedensbitte zur Völkergemeinschaft hin geöffnet werde (vgl. 242).

Im 7. Kapitel werden vornehmlich Vortragstexte von Söderblom auf die Verhältnisbestimmung von Kirche und (schwedischer) Nation hin analysiert. Im Unterschied zu einer konservativen National-Ideologie seien sie durch einen politischen Pragmatismus gekennzeichnet (302), der die "Nation" als Kontext für das geschichtliche und empirische Kirchenverständnis wahrnehme, ohne damit eine nationalistische Programmatik zu verbinden. B. betont zwar die Kontinuität seines Denkens über den (ersten) Weltkrieg hinweg, dennoch erscheint m. E. in seiner Darstellung eine gewisse Verschiebung hin zu einer kritischeren Sicht der Nation und zumal des Nationalismus nach 1918. Gleichwohl zeige sich die Hervorhebung einer nationalen Ebene in der Kirche, wogegen die Parochie kaum in den Blick komme (vgl. 306). Das Kirchenverständnis werde aber eingebunden in die Wahrnehmung der internationalen Völker- und Kirchengemeinschaft, in der die "Nationalkirche" ausbalanciert wird (307).

Die Untersuchung gibt, aus deutscher Sicht, einen differenten Einblick in das spezifische Selbstverständnis der lutherischen schwedischen "Nationalkirche", der durch die (katholische) Fremdwahrnehmung sein besonderes Profil gewinnt. Erstaunlich ist zumal, dass sich der konservative wie der liberale Bischof in der hypertrophen Stilisierung von Gustav Adolf II. zum defensor confessionis, zum Gründungsvater von protestantischer Kirche und schwedischer Nation, einig sind (vgl. 319), ohne dass kritische Gesichtspunkte religiös legitimierter Herrschaft und ihrer Expansion eine Rolle spielen. Die eigentliche These scheint mir allerdings überzogen zu sein (was sich dann auch in einer etwas ermüdenden Redundanz bemerkbar macht, in der sie immer wieder angeführt wird). Die pragmatische Bezugnahme auf einen "nationalen" Horizont von kirchlicher Praxis bei Söderblom sehe ich auf einer anderen Ebene als die religiös vermittelte Funktionalisierung von Kirche für den nationalistischen Diskurs bei Eklund. Hier trägt auch das umfangreiche Referat der Nation-Nationalismus-Theorien wenig aus, weil es im Falle Eklunds mehr oder weniger Erwartbares bestätigt, ohne dass sehr viel weitergehende Einsichten erreicht werden, im Falle Söderbloms aber trotz ständiger Behauptungen m. E. nicht zu einem überzeugenden Ergebnis führt.

In B.s Darstellung von Söderbloms Ekklesiologie anhand der vier notae ecclesiae des Apostolikums und unter den drei Perspektiven leitourgia - diakonia - martyria erkenne ich eher eine modernistische Variante traditioneller lutherischer Volkskirchen-Ekklesiologie, als eine nationalistische Staatskirchenideologie. Das gilt erst recht für sein ökumenisch perspektiviertes Konzept von "evangelischer Katholizität" (290 ff.). Die Schlussfolgerung, mit der B. dieses Konzept auf den nationalistischen Diskurs zurückbezieht, die unsichtbare supranationale Kirche werde sichtbar in den nationalstaatlichen Strukturen (286), erscheint mir überzogen und, gemessen an Söderbloms Engagement für internationale ökumenische Strukturen, undifferenziert. Insgesamt scheint mir die Sicht B.s einer These von Holmström aus dem Jahr 1937 (!) zu erliegen, wonach für Söderblom die nationalen Zwischenglieder der Offenbarung direkter Ausdruck religiöser Unmittelbarkeit sein sollen (263, vgl. 308). Diese These weist viel offensichtlicher die Züge des nationalistischen Diskurses auf, als Söderbloms Ekklesiologie selbst. B.s Studie kann in dieser Hinsicht nur als eine, begrenzte Sicht im Rahmen der Literatur zu Söderblom, die er auch nur ausschnittsweise anführt, gelten.

Dass B. aber als katholischer Theologe im evangelischen Kirchenverständnis die Relevanz des Wortes anmahnt (242. 301), halte ich im Blick auf neuere "kommunitaristische" Perspektiven in der Ekklesiologie für bedenkenswert. Darin könnte ein Zug ans Licht treten, den B. im Mittelpunkt von Eklunds national-konservativer Orientierung sieht: eine Gemeinschafts-Perspektive in der modernen "Gesellschafts-society" (232) wiederzugewinnen, worin transformierte Aspekte des nationalistischen Diskurses, die Orientierung an nationaler, kultureller und politischer, Identität und Einheit dekonstruiert werden könnten.