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Ausgabe:

Oktober/2001

Spalte:

1051–1053

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Haehling, Raban von [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Haehling, Raban von [Hrsg.]: Rom und das himmlische Jerusalem. Die frühen Christen zwischen Anpassung und Ablehnung.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2000. XII, 308 S. 8. Lw. DM 98,-. ISBN 3-534-14592-5.

Rezensent:

Gerd Buschmann

Das Forschungsprojekt "Kirche-Staat-Gesellschaft in vorkonstantinischer Zeit" am Lehrstuhl Alte Geschichte der RWTH Aachen stellt in diesem Sammelband erste Erträge in althistorischer und theologischer Perspektive vor. Durch elf facettenreiche Einzelbeobachtungen wird systematisch die gesellschaftliche Interaktion des vorkonstantinischen Christentums mit seiner Umwelt aufgearbeitet, was insgesamt zum besseren Verständnis des Problemfeldes Staat und Kirche beiträgt. Dabei wird insbesondere die ambivalente Haltung - zwischen distanzierter Loyalität und offener Konfrontation mit der paganen Umwelt - frühchristlicher Autoren zu Staat und Herrscher deutlich (vgl. den Titel des Aufsatzbandes): Es darf also nicht von der vorkonstantinischen Kirche gesprochen werden, sondern nur von einem weiten Spektrum an Beziehungen von früher Kirche und römischem Staat zwischen Anpassung und Ablehnung.

Exemplarisch am Anfang steht der Titel von Joachim Lehnen, Zwischen Abkehr und Hinwendung. Äußerungen christlicher Autoren des 2. und 3. Jahrhunderts zu Staat und Herrscher (1-28): Neben Ablehnung von Militärdienst und Kaiserkult beobachtet der Vf. in Kaisergebet und Metaphorik auch eine christlich fundierte Hinwendung zum Staat, in der der Christ seine Rolle als Bürger zu erfüllen bereit ist. Der Vf. stellt vier Positionen heraus: a) Der Christ als Fremder in der Welt (1Petr), b) Der Christ in absoluter Abkehr vom Staat (Apc), c) Der Christ als römischer Bürger (Röm 13), d) Der Christ als Bürger und Fremder (Diognet). Bei aller Distanz der Christen zu Bereichen des Staates, vor allem dem Kult, bleiben die Bemühungen um Nähe unübersehbar. - Der Dortmunder Theologe Detlev Dormeyer bekräftigt seine (umstrittene) These aus dem Jahr 1984, wonach die Gattung Evangelium eine Sondergattung der Biographie darstellt und damit die Beeinflussung frühchristlicher Literatur durch hellenistische Gattungen deutlich wird: Plutarchs Cäsar und die erste Evangeliumsbiographie des Markus (29-52) weisen eine verblüffend gemeinsame Struktur auf. - Der Althistoriker Karl Leo Noethlichs greift die häufig diskutierte paulinische Bürgerrechtsfrage auf: Der Jude Paulus - ein Tarser und Römer? (53-84), ohne das von Act behauptete römische Bürgerrecht des Paulus für wahrscheinlich zu halten. - Die geistige Annäherung der Christen an das römische Imperium wird nach Claus Bussmann in den neutestamentlichen Apokryphen deutlich, insbesondere fällt die positive Einschätzung des Pilatus auf: "Josef, der Freund des Pilatus und des Herrn" (Petrus-Evangelium 2). Ein Blick auf das Verhältnis Ecclesia-Imperium in den sogenannten Apokryphen zum Neuen Testament (85-96). - Eine rigoristische Haltung von christlichen Selbst-Auslieferern zum Martyrium macht der Düsseldorfer Althistoriker Anthony R. Birley besonders an Sondergruppen wie Montanisten und Novatianern fest: Die "freiwilligen" Märtyrer. Zum Problem der Selbst-Auslieferer (97-123). Er konvergiert damit mit einer These des Rez. (vgl. Gerd Buschmann, Das Martyrium des Polykarp, KAV 6, Göttingen 1998/ Gerd Buschmann, Martyrium Polycarpi 4 und der Montanismus, Vigiliae Christianae 49, 1995, 105-145). Das Hindrängen zum Martyrium (voluntary martyrdom) war kein generelles christliches Verhalten. - Die Verteidigung des christlichen Glaubens gegen die paganen Anschuldigungen thematisiert Klaus Rosen und weist ein immer größeres Selbstbewusstsein der Christen nach, die die Lehre des gekreuzigten und auferstandenen Herrn als die allein wahre Philosophie werten: Von der Torheit für die Heiden zur wahren Philosophie. Soziale und geistige Voraussetzungen der christlichen Apologetik des 2.Jahrhunderts (124-151), nachdem das Neue Testament und die Apostolischen Väter sich massiv gegen die heidnische Weisheit verwahrt hatten. - Nicht nur am Beispiel des Arnobius belegt Wolfram Kinzig in seinem Beitrag Überlegungen zum Sitz im Leben der Gattung Pros Ellenas/Ad nationes (152-183) seine These, die apologetischen Verfasser der Gattung Ad nationes/Pros Ellenas hätten ihre Schriften primär aus dem Grund abgefasst, um ihren Übertritt zum christlichen Glauben zu rechtfertigen. - Welchen Standort nahmen die Christen gegenüber der römischen Vergangenheit ein? Nach Meinung des Herausgebers Raban von Haehling, Die römische Frühzeit in der Sicht frühchristlicher Autoren (184-204) ist das Interesse der christlichen Autoren eher gering; die römische Frühzeit wird für apologetische Zwecke instrumentalisiert, die Terminologie wird auf Christus übertragen (rex, princeps). Eine verklärende Geschichtsauffassung der römischen Frühzeit lehnt z. B. Augustin in "De civitate Dei" ab. - Richard Klein befasst sich dann mit dem Bild des Augustus in der frühchristlichen Literatur (205-236): Auch das christliche Augustusbild entsteht keineswegs geradlinig, sondern schwankt wie die Einstellung der Christen zum Imperium Romanum; wie die Gegenpole Origenes und Hippolyt von Rom zeigen. - Am Beispiel des Antinoos, des Günstlings Kaiser Hadrians, zeigt Peter Nadig eine literarische Kontroverse zwischen Christen und Heiden auf, wenn heidnische Autoren dem christlichen Bekenntnis von der Auferstehung des Gottessohnes die Apotheose des Antinoos entgegenhielten und die christlichen Autoren wiederum Antinoos und den Kaiserkult diffamierten: Antinoos - Ein Paradigma der heidnisch-christlichen Auseinandersetzung (237-256). "Die göttliche Verehrung eines verstorbenen Gefährten des Kaisers, der zu Lebzeiten ein umstrittenes Verhältnis zu diesem hatte, diente dem Unverständnis der frühen Christen als Mittel zum Zweck, um eine indirekte Kritik am Kaiserkult in Verbindung mit Antinoos zu bringen. Der Liebling Hadrians diente ihnen als ein treffendes Beispiel für die Absurdität der heidnischen Religion und für die wahren Ursachen des Götzendienstes." (256) - Josef Rist schließlich kontrastiert innerchristlich das Wirken zweier Bischöfe: Cyprian von Karthago und Paul von Samosata. Überlegungen zum Verständnis des Bischofsamtes im 3.Jahrhundert (257-286).

Ein umfangreiches Stellenregister (287-308) beendet den sorgfältig edierten Sammelband, aus dem wichtige Anregungen entnehmen kann, wer sich mit dem Verhältnis von Christentum und Staat in vorkonstantinischer Zeit beschäftigt. Gerade die Kombination theologischer und althistorischer Perspektivierung erscheint lohnend!