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Ausgabe:

Oktober/2001

Spalte:

1044–1046

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Menken, Maarten J. J.

Titel/Untertitel:

Old Testament Quotations in the Fourth Gospel. Studies in Textual Form.

Verlag:

Kampen: Pharos 1996. 255 S. 8 = Contributions to Biblical Exegesis and Theology, 15. Kart. hfl 72.-. ISBN 90-390-0181-2.

Rezensent:

Hans Hübner

Die Zitate im Joh waren immer wieder Gegenstand der neutestamentlichen Forschung. Ich nenne hier nur Edwin Freed, Old Testament Quotations in the Gospel of John (NT.S XI, 1965) und Bruce G. Schuchard, Scripture within Scripture. The Interrelationship of Form and Function in the Explicit Old Testament Citations in the Gospel of John (SBL Diss. Series 133, 1992). Schuchard bekennt in der Einleitung seines Buches, dass er von M. beeinflusst ist und ihm vor allem in methodologischer Sicht viel verdankt. Er selbst ist aber nicht Schüler M.s, sein Doktorvater ist Mathias Rissi. In seiner Dissertation setzt er sich mit einer Reihe von Aufsätzen M.s auseinander, die auch in dem hier zu rezensierenden Buch enthalten sind. Es ist eine Aufsatzsammlung, die über die von Schuchard behandelten Studien hinaus fünf weitere enthält und zudem eine Einleitung und eine Konklusion bringt. Alle zunächst in Niederländisch oder Deutsch erschienenen Aufsätze sind ins Englische übersetzt, z. T. geringfügig modifiziert.

In der Einleitung nennt M. die Intention seiner Aufsätze: Er will dem Problem der Textform der alttestamentlichen Zitate im Joh nachgehen, vor allem der "Kombination der Frage nach den Quellen [der Zitate] und der Redaktion [durch den Evangelisten]" (13). Nicht thematisieren will M. diejenigen Zitate, in denen ihr Text mit dem der LXX übereinstimmt oder zumindest weitgehend übereinstimmt. Ebenso übergeht er diejenigen Stellen, in denen der Evangelist zwar eine formula quotationis bringt, aber den alttestamentlichen Text paraphrasiert (7,42; 8,17; 12,34). So bleiben noch 11 Zitate, die M. ausführlich thematisiert (Joh 1,23; 2,17; 6,31.45; 7,38; 12,15.40; 13,18; 15, 25; 19,36.37). Von ihnen seien exemplarisch zwei Beispiele ausgewählt, um an ihnen M.s Vorgehen zu skizzieren und kritisch zu bedenken.

Zunächst zum Zitat Jes 6,10 in Joh 12,40: Der alttestamentliche Text ist, wie so oft im Joh, gekürzt. Statt eporosen in NA 27. Aufl. liest M. mit P66.75 u. a. eperosen. Obwohl diese Lesart von kaum einem anderen Exegeten als ursprünglich beurteilt wird (viele diskutieren diese textkritische Frage noch nicht einmal), hat M. zumindest ihre Diskussionswürdigkeit aufgewiesen. Für die inhaltliche Debatte über Joh 12,40 dürfte diese textkritische Option allerdings wenig austragen. Mit Recht sieht M. in den beiden Indikativen tetyphloken und eperosen, deren Subjekt auch nach meiner Auffassung Gott (und nicht der Satan) ist und die weder mit dem (vokalisierten) hebräischen Text noch mit dem der LXX übereinstimmen, joh Redaktion - auch, weil sie auf Grund des mit ihnen ausgesprochenen Gedankens der negativen Determination zum Unglauben durch Gott gut zur Theologie des Joh passen. Mit ina me im joh Zitat statt mepote in der LXX ist das vom Evangelisten intendierte finale Verständnis der Stelle klarer zum Ausdruck gebracht. Vielleicht trifft auch zu - so mit vielen Interpreten -, dass für iasomai, anders als für tetyphloken und eperosen (bzw. eporosen), Jesus als Subjekt anzunehmen ist (120): "This differentiation of persons fits well into the framework of Johannine theology." M.s Schlussresultat (122): Die Rezeption von Jes 6,10 in Joh 12,40 zeigt klar, wie der Evangelist die Abweisung Jesu seitens vieler in seinem Volk mit Hilfe der in seiner Umwelt geläufigen Mittel der Textinterpretation zu erklären versucht. Dabei sei klar, dass seine Erklärung theologische Fragen zum Verhältnis von göttlicher Determination und menschlicher Freiheit aufwirft. Doch leider wollte M. darauf in diesem Aufsatz nicht eingehen.

Ist also M.s Auslegung dieser Stelle weitgehend zuzustimmen, so bleibt doch eine für die Problematik der theologischen Konzeption des Evangelisten essentielle Frage unbeantwortet: Durch das unmittelbar voranstehende Erfüllungszitat Jes 53,1 mit der bezeichnenden formula quotationis ina o logos Esaiou tou prophetou plerothe in Joh 12,38 partizipiert das Zitat in 12,40 am Gedanken der Erfüllung. Mit Joh 12,37 f. beginnt aber der für das Joh höchst charakteristische Abschnitt, der theologisch vom Erfüllungsgedanken her bestimmt ist. Wie steht es aber dann mit Joh 12,39 f. in diesem theologischen Zusammenhang? Schade, dass M. dieser Frage nicht mehr nachgegangen ist!

Eine crux interpretum ist Joh 7,37 f. In diesem Vers ist fast alles umstritten: Wie ist zu interpunktieren? Wer ist autou in V. 38? Welche alttestamentliche Stelle ist gemeint? Ist überhaupt an eine ganz bestimmte Stelle gedacht? M.s Lösung: Hinter pineto, nicht aber hinter pros ist ein Punkt zu setzen. Dann aber läge es nahe, autou auf den Glaubenden, nicht aber auf Jesus zu beziehen. Doch M. tut Letzteres (wie z. B. auch R. Schnackenburg, HThK IV/2, 209 ff.). Nun ist M. darin zuzustimmen, dass sich ein Bezug auf den Glaubenden gegen die gesamte theologische Argumentation in Joh wendete. Dann aber ist diejenige Interpunktion die natürlichste, die pineto zu o pisteuon eis eme zieht.1 Das Argument, man könne o pisteuon eis eme gut als casus pendens erklären, weil im Joh auch sonst diese grammatische Eigenheit begegnet, vermag nichts gegen den Tatbestand, dass sich die von M. abgelehnte Interpunktion aus inhaltlich theologischen Gründen bestens zur Aussage des Zitats fügt. M. sieht in V. 38 ein nicht wörtliches Zitat von ph 7,16.20 und im Wort "lebend" eine Anspielung auf Sach 14,8. Dies ist sicherlich eine der möglichen Erklärungen. Ich möchte allerdings annehmen, dass mit kathos eipen e graphe ein Satz eingeleitet wird, der einen zentralen Gedanken der Schrift in wenigen Worten zusammenfasst.2 Positiv ist zu vermerken, dass M. hier mehr als in seinen Ausführungen zu Joh 12,40 die Theologie des ganzen Joh zur Argumentation herangezogen hat.

In seinem Schlusskapitel "Conclusion" stellt M. zunächst noch einmal heraus, dass die LXX die Bibel des Vierten Evangelisten war, aber dieser zuweilen auch auf den hebräischen Urtext zurückgriff. Wichtig ist ihm vor allem, dass der Evangelist an bestimmten Stellen aus christologischen Gründen den alttestamentlichen Text änderte (207 f.):

"The basic conviction behind these textual operations is, as I already hinted at when discussing the quotation in 12:40, the conviction that Scripture has a hidden meaning that is revealed in the application of the text to Jesus as God's eschatological envoy, a conviction that we find in general terms in Jesus' saying in John 5:39: '... and it is they [the Scriptures] that testify on my behalf' (see also 1:45)".

Geben wir dem Autor noch ein letztes Mal das Wort, und zwar für die letzten Sätze seines Buches (212):

"... his quotations constitute the most explicit way to convey the idea that Jesus' ministry, death and resurrection were 'according to the Scriptures' ... It means that he is rooted, with all the singularity he may have possessed, in early Christian tradition of reading and interpreting the OT. Standing within this tradition and at the same time transforming it,3 he and his community have interpreted their religious heritage, the Scriptures, in the service of their faith in Jesus as the Christ, the Son of God (cf. John 20:31)".

M. hat mit seinen Aufsätzen einen wichtigen, einen substantiellen Beitrag zur Joh-Forschung geleistet. Es ist zu begrüßen, dass seine in unterschiedlichen Publikationen veröffentlichten Joh-Studien nun in Buchform gesammelt vorliegen. Diese Aufsätze sind auch ein nicht zu unterschätzender Beitrag zur Biblischen Theologie, verstanden als gesamtbiblische Theologie. Denn an den einzelnen Studien lässt sich bestens das Problem des Verhältnisses von Vetus Testamentum und Vetus Testamentum in Novo receptum ablesen, und zwar unter dem Gesichtspunkt von Kontinuität und Diskontinuität (!). Es wäre zu wünschen, dass M. diese Aufsätze in ein Werk integrierte, in dem er auch die hier nicht behandelten Zitate und Anspielungen brächte, und das Ganze im Rahmen einer Biblischen Theologie des Vierten Evangeliums thematisierte. Aber vielleicht hat er diese Aufgabe schon geplant. Für den nun bereits vorliegenden Aufsatzband sei Maarten Menken sehr herzlich gedankt!

Fussnoten:

1) So neuestens auch U. Schnelle, ThHK 4, Leipzig 1998, 147 ff.

2) Zur Begründung H. Hübner, Biblische Theologie des Neuen Testaments, 3. Band, Göttingen 1995, 179 f.

3) Kursive durch H.H.