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Ausgabe: | Oktober/2001 |
Spalte: | 1037–1039 |
Kategorie: | Neues Testament |
Autor/Hrsg.: | Culpepper, R. Alan |
Titel/Untertitel: | John, the Son of Zebedee. The Life of a Legend. |
Verlag: | Edinburgh: Clark 2000. XIX, 376 S. m. 2 Abb. 8 = Studies on Personalities of the New Testament, 5. Kart. £ 14,95. ISBN 0-567-08742-5. |
Rezensent: | Titus Nagel |
Der gut gewählte, doppelsinnige Untertitel der Untersuchung, die bereits 1994 bei The University of South Carolina Press erschien und nun auch bei T&T Clark als Paperback verlegt ist (erweitert wurde nur das Vorwort um Hinweise auf seither erschienene Literatur, XV), beschreibt treffend den Inhalt und die Absicht des Buches. Es bietet nicht nur eine einzigartige kommentierte und chronologisch geordnete Sammlung von Notizen, Berichten und Erzählungen über den Zebedaiden und Apostel, die Johannes zur Legende - und C.s Buch zu einer kleinen Handbibliothek zum Thema - machen. Darüber hinaus geht es darum, die Vitalität und das kreative Potential, das den Johannes-Legenden innewohnt, darzustellen und zu würdigen. Der Vf. wagt dazu den Brückenschlag vom Ertrag der Exegese über die Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte (die ihren Niederschlag auch in der bildenden Kunst und der Literatur findet) hin zur Forschungsgeschichte der joh. Frage, deren Lösungsversuche dem Verfasser eben auch als Ausweis der ungebrochenen Lebendigkeit der Legende gelten.
Die ersten vier Kapitel des Buches sichten den kompletten neutestamentlichen Befund zur Person des Zebedaiden und zu den Gestalten, die in der christlichen Tradition mit ihm in Verbindung gebracht bzw. identifiziert wurden: zum Lieblingsjünger (LJ) des JohEv, zum Presbyter der Briefe und zum Seher der Offenbarung. Das legendarische Weiterleben des Apostels nimmt seinen Ausgangspunkt in den spärlichen neutestamentlichen Nachrichten über ihn. Historisch zutreffen dürften von diesen sein Name, seine Herkunft vom Nordufer des Sees Genezareth und sein Beruf als Fischer (22). Ob er der Sohn der Salome, einer Schwester der Mutter Jesu, und damit ein Cousin Jesu war (Joh 19,25 in Verbindung mit Mk 15,40 und Mt 27,55 f.), bleibt Spekulation (7-9). Seine herausragende Rolle im Jüngerkreis belegen sowohl die Hinzuzählung zu den "inner three" (31- Petrus, Jakobus, Johannes) bei den Synoptikern als auch das Zeugnis des Paulus in Gal 2,9 (50).
Die Identifikation des "Lieblingsjüngers" aus dem JohEv (als historische Person aufgefasst von C. unter Hinweis auf Joh 21, 20-23 [84]) mit dem Zebedaiden scheitert vor allem daran, dass der LJ nicht zum Zwölferkreis gehörte (Joh 19,26 vs. Mk 14,50par [62 f.]) und wohl Judäer war (Joh 19,27 [65]).
Die Versuche, den/die Verfasser der Briefe mit dem Apostel zu identifizieren, sind stets gekoppelt an die Annahme, dass letzterer auch der Evangelist sei (95). - Der altkirchlichen Identifikation des Sehers der Offb mit dem Apostel (Justin, Irenäus) wurde schon früh widersprochen (Dionysius von Alexandrien, 98 f.), und die Differenzen in Sprache, Stil und Theologie zwischen den einzelnen joh. Schriften machen deutlich, dass sie von unterschiedlichen Verfassern stammen (102).
Kapitel 5-7 zeichnen die Entstehung und Entwicklung der kirchlichen Tradition vom Apostel Johannes als dem Verfasser der fünf Johannes-Schriften nach und verfolgen das Wachstum und die Vielfältigkeit der Legenden um den Apostel von der Zeit der Alten Kirche bis ins Mittelalter. In der ersten Hälfte des 2. Jh.s herrscht Schweigen über den Apostel Johannes; eine scheinbare Ausnahme bildet Papias' (nach Ansicht C.s einer Dittographie geschuldete, 111) Bezeichnung des Presbyters Johannes als "Jünger des Herrn". Um die Mitte des 2. Jh.s dann gilt er als Seher der Offenbarung einerseits (Justin), und andererseits als Evangelist (Ptolemäus, Theodot). Die zweite Hälfte des 2. Jh.s zeigt die zunehmende Akzeptanz des JohEv in heterodoxen wie orthodoxen Kreisen, und gegen Ende des 2. Jh.s steht die Rolle des Apostels als Verfasser von Evangelium, Briefen und Offenbarung fest (Irenäus). Insgesamt wird hinter dieser Entwicklung als funktionales Schema sichtbar, dass "the claim of apostolic authorship ... seems to have functioned as apologetic for the use of the Gospel where it had already found acceptance" (131), und bei Irenäus wird dieses Schema auf die übrigen joh. Schriften übertragen.
Die im 2. Jh. erfolgte Zuweisung der joh. Schriften an den Apostel sorgt dafür, dass das Interesse an seiner Person in den folgenden Jahrhunderten nicht abreißt, sondern vielmehr die vorhandenen Legenden ausschmückt sowie neue hervorbringt. In zwei eigenen Kapiteln wird dieser Entwicklung auf der kirchlich-autorisierten (Kap. 6) wie auf der volkstümlich-apokryphen Linie (Kap. 7) nachgegangen. Dabei zeigt sich vor allem auf letzterer Linie, wie die Johannes-Legenden (Acta-Literatur) mehr und mehr zum Vehikel spezifischer theologischer und ethischer Vorstellungen ihrer Trägerkreise werden.
Im 8. Kapitel wird Johannes (als der Evangelist, der Apostel und der Seher) als Thema der bildenden Kunst und der Literatur in den Blick genommen, und zwar je vor dem Hintergrund der alten Johannes-Legenden einerseits und des erwachenden historisch-kritischen Bewusstseins der Neuzeit andererseits, wobei Letzteres der herkömmlichen Legendenfortschreibung ein Ende setzt.
Kapitel 9 und 10 zeigen dann die Wandlungen im Johannes-Bild der historisch-kritischen Forschung vom 19. Jh. bis in die Gegenwart auf und nehmen eine Bestandsaufnahme der drei wesentlichen Positionen im Hinblick auf die Verfasserfrage des JohEv und der übrigen joh. Schriften vor (Presbyter, joh. Schule, Apostel). Der Vf. selbst sieht im nicht weiter identifizierbaren LJ den Begründer der joh. Schule (310), der im JohEv als "an idealized and legendary description of the role attributed to a significant member of the Johannine Community" (70 f.) sichtbar wird.
Die beeindruckende Fülle des zusammengestellten Materials bringt es mit sich, dass Angaben gelegentlich nur ohne erneute Prüfung aus der Sekundärliteratur übernommen werden konnten. Dies betrifft z. B. den parakletischen Selbstanspruch des Montanus (120), von dem die Reste der montanistischen Originalliteratur jedoch noch nichts mitteilen (vgl. R. E. Heine: The Montanist Oracles and Testimonia, Macon GA 1989, 2-6), und die angebliche Notiz des Ephraem Syrus über den antiochenischen Ursprung des JohEv (157), die sich ausweislich der kritischen Edition des fraglichen Textes auf Lukas bezieht (vgl. St. Ephrem: Commentaire de l'Evangile concordant, version armenienne ed. L. Leloir, CSCO 137, Louvain 1953, 349,24 f. [lat. Übersetzung ders., CSCO 145, Louvain 1954, 248,8-10]). Andererseits bietet der Vf. etliche, sonst schwer zugängliche Texte erstmals in englischer Übersetzung (z. B. aus den Prochorus-Akten [206-222]; dem Menologium Basilii [172 f.] vel Graecorum [235], der Chronik Michaels des Syrers [ebd.] und aus Pseudo-Chrysostomus [236-240]).
Der gut lesbare, streckenweise sogar spannende Band wird abgerundet durch eine reichhaltige Bibliographie und einen leicht benutzbaren, da einfach alphabetisch geordneten Index. Er ist unentbehrlich für jeden, der sich - gleich aus welchen Gründen- über die Legenden um den Apostel Johannes informieren möchte. Das in den Gemeinden und darüber hinaus vorhandene Interesse an biblischen Persönlichkeiten könnte vielleicht sogar eine deutsche Übersetzung rechtfertigen.