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Ausgabe:

Oktober/2001

Spalte:

1035–1037

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Ådna, Jostein

Titel/Untertitel:

Jesu Stellung zum Tempel. Die Tempelaktion und das Tempelwort als Ausdruck seiner messianischen Sendung.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2000. XVII, 502 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 119. Kart. DM 98,-. ISBN 3-16-146974-7.

Rezensent:

Theo K. Heckel

Die Monographie zu der mehrfach überlieferten Tempelaktion (Mk 11,15-19 und Parallelen) und dem Tempelwort (Mk 14,58 und Parallelen) geht auf eine bereits 1994 in Oslo verteidigte Dissertation zurück, die ihre geistige Herkunft aus Tübingen bei Peter Stuhlmacher nie verbirgt. Die "Realien" zum Tempel hat Å. als eigenständige Monographie andernorts bereits veröffentlicht: Jerusalemer Tempel und Tempelmarkt im 1. Jh. n.Chr., ADPV 25, Wiesbaden 1999, vgl. Max Küchler, ThLZ 126, 2001, 36 f. Å. bietet (so 22 A. 68) eine Kurzfassung seines Verständnisses der Tempelaktion in: Beate Ego u. a. [Hrsg.]: Gemeinde ohne Tempel - Community without Temple, WUNT 118, 461-475.

Das Buch eröffnet ein knapper Forschungsüberblick, der klarstellt: Es geht Å. nicht nur um eine redaktionsgeschichtliche Perspektive, sondern um die Rückfrage nach dem Verhältnis des irdischen Jesus selbst zum Jerusalemer Tempel (1-22). Å. hat die Monographie Kurt Paeslers (Das Tempelwort Jesu, FRLANT 184, Göttingen 1999) nicht mehr eingearbeitet (22).

Der Teil II behandelt das Tempellogion Jesu (23-153). Eine Traditionsanalyse (25-89) sammelt frühjüdische Belege, die eine Hoffnung auf einen zukünftigen Tempel mit einer Messiaserwartung verbinden. V. a. in PsSal 17 findet Å. den Gedanken eines Messias, der an der Aufrichtung des endzeitlichen Tempels beteiligt sei. Å. vertritt dabei ein weites Messiasverständnis, das er nicht an die hebräisch/aramäische oder griechische Vokabel für "salben" binden will (74). Å. postuliert einen verbreiteten frühjüdischen Messianismus (33) und stützt sich dabei v. a. auf das Werk William Horburys: Jewish Messianism and the Cult of Christ, London: SCM Press 1998. Eine Auseinandersetzung mit Martin Karrer (Der Gesalbte, FRLANT 151, Göttingen 1991; ders.: Jesus Christus im Neuen Testament, GNT 11, Göttingen 1998) findet nicht statt. Auf die vermeintlich "grundsätzliche Einheitlichkeit des biblisch-frühjüdischen Messianismus" (34) baut Å.s weitere These auf. Nach Å. ist diese Grundlage bereits Voraussetzung für das Verständnis der Tempelaktion. Jesus müsse "fast zwangsläufig" den Eindruck erweckt haben, "der messianische Bauherr des eschatologischen Tempels auf dem Zion zu sein" (143). Diese Einschätzung verdanke sich also nicht erst nachträglicher Deutung. Doch bevor Jesu messianische Absichten weiter verfolgt werden, analysiert Å. detailliert und in breiter Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur die einschlägigen Textstellen. Dabei wären m. E. die Zitate aus der Sekundärliteratur neben den Ergebnisreferaten öfters entbehrlich.

Å. votiert für die Authentizität eines aramäischen Logions Jesu über den Tempel, das in Mk 14,58 sehr treu in griechischer Übersetzung erhalten geblieben sei (111-130; 151-153). Selbst die nur dort im Tempelwort erhaltene Gegenüberstellung "mit Händen gemacht/nicht mit Händen gemacht" gehe auf den irdischen Jesus zurück. Jesus beziehe sich damit auf eine in der Traditionsanalyse herausgearbeitete eschatologische Auslegung von Ex 15,17b und künde von einem durch Gott bereiteten Tempel; die Übertragung des Tempels auf die Gemeinde der Gläubigen sei demgegenüber sekundär (144-147).

Dabei vermisse ich bei Å. eine Behandlung des Begriffspaares bei Paulus in 2Kor 5,1. Schon Paulus überträgt dabei m. E. die Tempelterminologie individualisierend auf die christliche Gemeinde. D. h. aber, schon Paulus hätte die angeblich jesuanische Deutung des zukünftigen Tempels am Zion nicht mehr gekannt. Der Weg des Begriffspaares führt schwerlich vom irdischen Jesus exklusiv zu Mk 14; eher teilen 2Kor 5,1 und Mk 14 eine nachösterliche Adaption des Tempelwortes. - Die Verkündigung des irdischen Jesus zeichnen nicht nur die Evangelisten als durch und durch messianisch; im Gefolge von Stuhlmacher sieht Å. hier ein historisch zuverlässiges Bild (137-142).

Die Tempelaktion Jesu behandelt der Teil III der Arbeit (155-430). Ein wiederum kundiger und behutsamer Vergleich der einschlägigen Belegstellen aus allen vier Evangelien ergibt, dass für eine historische Rekonstruktion v. a. Mk 11,15-17 zu Grunde zu legen ist (159-190).

Joh 2,13-22 nach Å. auf literarischer Ebene noch unabhängig von den Synoptikern (189), enthält in 2,16b eine zwar vorjoh, aber nachösterliche und v. a. gegenüber Mt 11,15* jüngere Deutung der Tempelaktion.

Für die historische Rückfrage sind nach Å. folgende Beobachtungen bedeutsam: Mk verknüpfe historisch zutreffend Tempelwort und Tempelaktion, die zeitlich in großer Nähe zum Todespassa Jesu stehen. Jesus beginnt seine Aktion nach Mk 11, 15 nur (170; 214 f); es handelt sich um eine Zeichenhandlung in der königlichen Säulenhalle an der Südseite des Tempelgeländes (251). Å. vertritt also eine "Minimallösung" (309.332), nicht eine "Maximallösung", nach der Jesus und seine Anhänger den riesigen Tempelplatz okkupieren wollten (301-306). Den vielumrätselten Vers Mk 11,16, Jesus verbiete, "Geräte" durch das Heiligtum zu tragen, deutet Å. als Verlängerung von Mk 11,15: Mit dem Verbot ziele Jesus darauf, den Tempelkult zu stören (264 f.). Ausdrücklich widerlegt Å., dass die Aktion nur Kommerz am Tempel anprangere, da der Geldwechsel und Taubenverkauf für den Sühnekult am Tempel konstitutiv sei. Nach Å. unterstütze die in 11,17 "alludierte" (372) härteste Tempelkritik des Alten Testaments, nämlich Jer 7,11, diese Sicht (267). So ziele Jesu Wort und Tat letztlich nicht nur auf Störung, sondern auf Beendigung: Angesichts der hereinbrechenden Basileia sei der Kult obsolet, es sei "eine Transformation zur eschatologischen Wirklichkeit" nötig, die stattfinde in einem "neuen bzw. qualitativ erneuerten Tempel" (383, vgl. 386; 412).

Å. meint, Jesus habe seinen Tod bewusst einkalkuliert, um seinen Tod als endgültiges Sühnopfer dem Sühnopfer des Zweiten Tempels entgegenzustellen (427). Hier wird m. E. eine steile nachträgliche Deutung auf Jesu Verständnis zurückprojiziert, die tatsächlich lange unverstanden geblieben wäre, hätte sie Jesus gehegt. Zum Thema Messiasverständnis gesteht Å. ein, Jesus habe sich zwar vorgeformter Vorstellungen bedient, diese aber so umgeprägt, dass nicht einmal die engsten Jünger Jesu diese akzeptiert und verstanden hätten (417). Der Rez. muss eingestehen, hier eher die Ratlosigkeit der engsten Jünger Jesu zu verstehen als die eng an Stuhlmacher angelehnten Thesen über die messianische Zeichenhandlung Jesu.

Wer die synoptische Darstellung für so historisch zuverlässig hält wie Å. (etwa in Mt 16,18, dem Petrus-Fels-Wort, findet Å. die "Redeweise Jesu", 446), muss erklären, warum Paulus so eigene Wege geht und warum in wesentlichen Fragen der Christologie bis zu der Zeit der Evangelisten so lange gerungen wurde. Die Menschensohnfrage - um ein Beispiel zu wählen - ist eines von mehreren Gebieten, bei denen Å. sich nicht lange mit abweichenden Positionen auseinandersetzt, sondern nur das Ergebnis seines Tübinger Lehrers referiert (140 f.). Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit einer profilierten abweichenden Sicht, etwa der Jürgen Beckers oder Anton Vögtles, hätte den Thesen gut angestanden.

Für Å. ist die Tempelaktion Hauptzeuge einer messianischen Gesamtdeutung Jesu und die messianische Gesamtdeutung zentrale Voraussetzung für seine Deutung der Aktion. M. E. setzt Å. in beiden Fällen mehr Eindeutigkeit voraus, als er nachweisen kann: Die Tempelaktion Jesu war von Anfang an für mehrere Deutungen offen.

Die einschlägigen Exegesen im analytischen Teil des Werkes werden unverzichtbar für jede weitere Diskussion bleiben, der synthetische Teil über das messianische Bewusstsein Jesu auch bei seiner Tempelaktion dürfte mehr Widerspruch erfahren.

In dem mit Registern gut erschlossenen Buch (465-502) fand ich nur wenige Druckfehler: S. 3 lies William Wrede, S. 63 Anm. 129: die ruach; 141: begnügt; 172 Anm. 47: Griesbach; 441 Anm. 26: Trennung: Apo-phthegma.