Recherche – Detailansicht
Ausgabe: | Oktober/2001 |
Spalte: | 1027–1030 |
Kategorie: | Altes Testament |
Autor/Hrsg.: | Mulder, Martin J. |
Titel/Untertitel: | 1 Kings. 1: 1Kings 1-11. Transl. by J. Vriend. |
Verlag: | Leuven: Peeters 1998. XXIX, 604 S. gr.8 = Historical Commentary on the Old Testament. Kart. BEF 2100. ISBN 90-429-0678-2. |
Rezensent: | Walter Dietrich |
Die neue Kommentarreihe, der dieser Band zugehört, richtet sich laut Vorwort der Herausgeber (C. Houtman, W. S. Prinsloo, W. G. E. Watson, A. Wolters) über den Kreis der Fachgelehrten hinaus an "a wide readership". Jede Perikope wird in einem Dreischritt abgehandelt: 1. "Translation" (ohne textkritischen Apparat); 2. "Essentials and Perspectives" (ein kürzerer Abschnitt über den "final shape of the text" sowie dessen Vor-, Nach- und Wirkungsgeschichte); 3. "Scholarly Exposition" (eine ausführliche Einzelversexegese "with the full range of issues raised by modern critical sholarship" einschließlich "the inner-canonical history of interpretation"). Trotz der hoch gesteckten Ziele handelt es sich, jedenfalls im vorliegenden Fall, weitestgehend um ein historisch-kritisches Kommentarwerk. Der zweite der genannten Schritte fällt allermeist sehr kurz aus (durchschnittlich genügt dafür eine halbe Seite), alles Gewicht liegt auf dem dritten Schritt. Dieser freilich wird mit schwer zu überbietender Umsicht und Gründlichkeit unternommen. Eine Fortsetzung über 1Kön 11 hinaus wird es vom gleichen Verfasser nicht geben. Das vorliegende Werk basiert auf einem 1987 auf Holländisch erschienenen Kommentar zu 1Kön 1-7 und einem Manuskript zu 1Kön 8-11, das der Autor kurz vor seinem Tod im Jahr 1994 noch fertigstellen konnte.
Der Kommentierung geht zweierlei voraus: erstens eine Bibliographie (XXI-XXIX; nur die Hauptwerke; in der Exegese und namentlich in den Fußnoten zu Beginn der einzelnen Perikopen finden sich weitere Literaturangaben, sporadisch sogar über 1994 hinaus: 15, Anm. 29: Särkiö; 171, Anm. 3: Fritz; 228, Anm. 2.3: Roger, Van Seters; 318, Anm. 13: Mettinger, de Moor; 388, Anm. 13: Houtman), zweitens eine allgemeine Einleitung (1-31) zur Text- und Literaturgeschichte der Königsbücher. Diese stellt sich M. so vor, dass die deuteronomistische Redaktion (einer bestimmten Deuteronomismus-Theorie mag er sich nicht anschließen) recht viele, teilweise alte Quellen verwendet (u. a. das Buch der Salomogeschichte, Königsannalen, Prophetenzyklen, eine "Ahab-source" in 1Kön 20 + 22), daneben aber auch aus mündlicher Überlieferung geschöpft habe (etwa in den Prophetengeschichten von 1Kön 11-14, was dann für 1Kön 11 lediglich durch das knappe Referat einer Arbeit von H. Weippert begründet wird, 586).
Die Kommentierung hat ihre Stärke in der Fülle und Genauigkeit der Detailinformationen zu historischen Problemen aller Art: zur Textgeschichte (vor allem: LXX-Varianten, aber auch Peschitta u. a.), zur Sprachgestalt (Semantik, Grammatik), zu Textparallelen (namentlich in der Chronik, aber auch bei Josephus, z. T. im Alten Orient), zu den diversen Sachgaben im Text (Orte, Personen, Materialien, Pflanzen, Gegenstände, Vorkommnisse usw.). Das Buch eignet sich als Nachschlagewerk, auch wenn das seiner Lesefreundlichkeit nicht nur zugute kommt. Register fehlen bedauerlichweise (wie meist in Kommentaren). Dafür wird zu den einzelnen Versen die Übersetzung, die zuvor für den Gesamtabschnitt geboten war, noch einmal wiederholt; das erleichtert die rasche Orientierung, nötig wäre es nicht gewesen. Was generell zu kurz kommt, sind die großen erzählerischen und thematischen Bögen; sie werden meist nur angedeutet, um dann bei der Einzelauslegung (und -lektüre!) aus dem Blick zu geraten.
Einen Kommentar - und schon gar einen wie diesen - umfassend vorzustellen, ist schwierig. So können im Folgenden nur einige Besonderheiten und markante exegetische Entscheidungen hervorgehoben werden.
Für 1Kön 1 f. rechnet M. wie selbstverständlich damit, dass dies der Abschluss einer alten Thronfolgegeschichte sei (86). Die ausgedehnte Debatte um eine Mehrschichtigkeit des Textes (Veijola, Langlamet - obwohl in der Bibliographie aufgeführt) wird nicht wirklich aufgenommen. Recht überraschend wird ein Passus wie 2,26b.27 als "a redactional (dtr.?) expansion" bezeichnet (115), während etwa der Rückbezug auf die sog. Aufstiegsgeschichte Davids in 1,37 (Mitseinsformel!) nicht notiert wird (70). Kaum zur Geltung kommt die hintergründige Ambivalenz der Erzählung: etwa das brüchige Davidbild in 1,1-4 oder die zweifelhafte Legalität der Liquidation Schimis in 2,42-46. Referiert und kommentiert werden hingegen die LXX-Zusätze in 2,35a-o (122: "an assortment of glosses, interpolations, and midrash-like elaborations which make the text ... murky") und 2,46a-l (128 f., mit ähnlichem Urteil).
Für 1Kön 3,4 ff. postuliert M. eine vor-redaktionelle, kürzere Textfassung, die in 2Chr 2,1 ff. noch zu greifen, freilich auch dort nicht mehr in der Urform erhalten sei (137 ff.: eine komplizierte Theorie, für die sich M. auf Auld beruft). Zum Salomonischen Urteil wird zwar der breite motivgeschichtliche Hintergrund angedeutet, nicht aber erklärt, warum in der biblischen Fassung die streitenden Frauen gerade Huren sein müssen: weil sonst nämlich die rechtsfähigen Väter nicht übergangen werden könnten (154 f.).
Die Berichte über Salomos Regierungstätigkeit in 1Kön 4 f. und 9 f. seien hier zusammengefasst. Zur Ministerliste 4,1 ff. vertritt und begründet M. die interessante These, dass Salomo in der Staatsorganisation ägyptischen Vorbildern gefolgt sei (164). Für die Liste von "Präfekten" 4,7 ff. bietet M. außer einer Karte (170) präzise onomastische und geographische Informationen, die ihn zu dem Schluss führen, eine Kurzform des Textes gehe auf die Salomozeit selbst zurück (186). Das Summarium 4,20-5,8 hingegen hat, wie allein die abweichende Reihenfolge in LXX zeigt, erst nachexilisch seinen jetzigen Platz und seine jetzige Form gefunden; namentlich die phantastischen Zahlen sind jung, doch dürfte Salomos Entourage tatsächlich nicht nur von familiärer Größenordnung gewesen sein (190). 5,5 sei ironisch gemeint (193) und 5,12 bar jeder historischen Grundlage (203); beides muss man nicht zwingend finden. Die Hiram-Erzählung 5,15-26 sei einheitlich, nämlich "a composed narrative rooted in traditional materials" (207 - wo sich doch hier eine Grund- und eine redaktionelle Erweiterungsschicht unschwer voneinander abheben lassen). Die widersprüchlichen Nachrichten über die Fronarbeit in 5,27 und 9,15 ff. will M. dahingehend vereinheitlichen, dass tatsächlich nur die Kanaaniter lebenslang versklavt worden seien (219.490 f.): eine Interpretation, die den Ergänzer von 9,15 ff. zufriedengestellt haben dürfte. Für 9,1-28 (und 10,14-29) sei "probable, that also in these summaries we encounter notes from public annals as well as from narrative cycles concerning Solomon ... a (final) redactor ordered and united all the material, but it is not certain, if he was a dtr. or a post-dtr. redactor" (472). Oft liegen über Ausführungen des Kommentars solche Schleier von Unklarheit. Die archäologischen und topographischen Informationen zur Städteliste 9,15ff. sind einigermaßen auf dem Stand der Zeit; im Prinzip hält M. die Angaben für authentisch (479-488).
Fast die Hälfte des Kommentars (226-459) ist der Auslegung der Tempelbauperikope 1Kön 6-8 gewidmet. Was den Bericht über Bau und Ausstattung des Heiligtums (c. 6 und 7,13 ff.) betrifft, bietet M. ungemein sorgfältige Abklärungen zu zahllosen sprachlichen und architektonischen Einzelheiten; man wird für die Baugeschichte des Salomonischen Tempels künftig an dieser Untersuchung nicht vorbeigehen können! Im Gefolge von R. J. van Pelt (Tempel van de Wereld; de cosmische symboliek van de tempel van Solomo, Utrecht 1984) weist M. immer wieder darauf hin, dass sich viele Einzelelemente im salomonischen Tempel kanaanitischem Erbe verdanken. (Leider wurde der wichtige Aufsatz von H. Weippert über die Kesselwagen Salomos in ZDPV 1992 offenbar übersehen.) Die zu Beginn (228 f.) aufgeworfenen großen Fragen indes - Gab es ein jebusitisches Vorgängerheiligtum? Wie verhalten sich Erster und Zweiter Tempel? Wie kam der jetzige Text zustande? - werden zwar beiläufig hier und da aufgenommen, nicht aber einer schlüssigen Antwort zugeführt. Der Bericht von der Tempelweihe 8,1-13 verrät wiederum kanaanitischen Einfluss (381 f.: das Datum von 8,2 f. fällt auf das kanaanitische Neujahrsfest im Herbst; 389: die urisraelitische Lade verliert an Bedeutung; 398: durch Übernahme eines kanaanitischen Tempels wird die Jhwh-Religion an die Bedürfnisse der davidischen Dynastie angepasst). Im gegenwärtigen Text hingegen "many elements of P may be present" (376). Für das Tempelweihgebet 8,14-61 stützt sich M. sehr weitgehend auf die einschlägige Arbeit von E. Talstra (Solomon's Prayer, Kampen 1993) mit ihrer These eines konzentrischen Aufbaus: Ein doppelter Rahmen (V. 14-21/54-61 und V. 22-30/52-53) legt sich um das zur Hauptsache vor-deuteronomistische Mittelstück V. 31-50. Wenn dann in V. 42 mit ausländischen Wallfahrern zum Tempel gerechnet wird, dann ist dabei nicht an (nachexilische) Proselyten, sondern an Personen wie die Königin von Saba oder den General Naëman zu denken (436).
Die gesamte Passage 9,26-11,10 "could be entitled: 'Solomon's violation of Deut. 17:14-17'" (504, mit Brettler). Freilich, nicht alles hier ist deuteronomistisch. M. sieht "a historical core in the story of the queen of Sheba and Solomon, a story primarily based on the diplomacy, economic advantage and trade relations which Solomon pursued" (507). Man erfährt einiges über die Wirkungsgeschichte der Erzählung (508 f.). Saba meint möglicherweise die nordarabischen Sabäer, die freilich erst ab 720 v. Chr. belegt sind. Auch die nachfolgenden Nachrichten über Salomos Handelstätigkeit sind "a mixture of ,Dichtung und Wahrheit'" (545). Ähnliches gilt für das Schlusskapitel über Salomo. 1Kön 11 enthält vermutlich zutreffende Nachrichten über eine gezielte Heiratspolitik wie auch über politische Widersacher Salomos, doch hat erst die deuteronomistische Redaktion beides aufeinander bezogen und auf die letzten Regierungsjahre Salomos begrenzt (547 f.). - Die Wiedergabe derartiger Thesen wird dem eigentlichen Charakter des Buches wenig gerecht. Dessen großer Wert liegt, wie gesagt, in der ungemein sorgfältigen Detaildiskussion. Wer über eine bestimmte Perikope oder einen bestimmten Vers innerhalb von 1Kön 1-11 präzise Sachinformationen sucht, wird in diesem Kommentar fündig werden.