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Ausgabe:

Oktober/2001

Spalte:

1023–1026

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Grünwaldt, Klaus

Titel/Untertitel:

Das Heiligkeitsgesetz Leviticus 17-26. Ursprüngliche Gestalt, Tradition und Theologie.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1999. X, 439 S. gr.8 = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 271. Lw. DM 218,-. ISBN 3-11-016279-2.

Rezensent:

Eckart Otto

Der Begriff Heiligkeitsgesetz (H) wurde erstmals 1877 von A. Klostermann im Zuge einer Widerlegung der These, dass der Prophet Ezechiel Autor von Lev 17-26 sei (K. H. Graf), auf diese Kapitel angewandt und leitet sich von der Formel "ihr sollt heilig sein, denn ich, JHWH, euer Gott, bin heilig" o. ä. ab. J. Wellhausen hat H als literarisch vom priesterschriftlichen Kontext in Lev 1-16 unabhängiges Gesetz zwischen Deuteronomium (Dtn) und Priesterschrift (P) interpretiert. Erst K. Elliger hat in seinem grundlegenden Leviticuskommentar (HAT I/4) dem auf Wellhausen gegründeten Konsens ein Ende bereitet und H als eine literarisch komplexe postpriesterschriftliche Fortschreibung von P sehen gelehrt, die, wie A. Cholewin'ski (AnBib 66) zeigte, das Dtn im Geiste von P korrigiert. Demgegenüber lenken die drei jüngsten Monographien zu H von J. Joosten (VT.S 67), A. Ruwe (FAT 26) und des Vf.s jeweils unterschiedlich auf einen Forschungsstand vor K. Elliger und A. Cholewi'nski zurück. A. Ruwe interpretiert H als Teil von P und knüpft damit an die wellhausenkritische Auslegung von D. Hoffmann (Das Buch Leviticus, Berlin 1905/06) an.1

J. Joosten und K. Grünwaldt (Vf.) lösen H wieder als literarisch eigenständig von P. Während J. Joosten aber an die Tradition von Y. Kaufmann anknüpfend P und in der Konsequenz auch H vorexilisch datiert2 und die Rezeption des Dtn in H negiert, will der Vf. H "frühnachexilisch" datieren. Er muss dazu alle literarischen Bezüge zwischen H und P, d. h. unter anderem alle Hinweise auf die priesterschriftliche Sinaiperikope und Wüstenüberlieferung als sekundär ausscheiden und einer "priesterlichen Redaktion", die aber post-P arbeite, zuweisen. Dieses Verfahren ist damit belastet, dass der Vf. gleichzeitig mit einer Abhängigkeit des vorredaktionellen H von P rechnet und die literarische Gestalt nicht genauer umreißt. Auch überzeugen die literarkritischen Entscheidungen zur Auslösung eines literarisch vom Kontext unabhängigen H im Detail nicht, was an den Operationen in Lev 17 paradigmatisch gezeigt werden soll. Da der 'ohel mo'ed ("Zelt der Begegnung") Bestandteil der P-Sinaiperikope ist, muss er in 17,4.9 als Zusatz ausgeschieden werden zugunsten von dem miskan JHWH ("Wohnung JHWHs"), der aber mit Num 16,9; 17,28; 19,13; 31,30.47 im Pentateuch nur postpriesterschriftlich belegt ist und also gerade - will man diachron in H differenzieren - zu den jüngsten Motiven zählt. Wenn der Vf. sich auf Jos 22,19.(29) als "ältere Tradition" stützen will, so beweist das gerade das Gegenteil, da Jos 22 insgesamt P und Dtn voraussetzend postpriesterschriftlich ist. Vor allem aber wird man nicht eine miskan-Überlieferung gegen die des 'ohel literarkritisch ausspielen dürfen, ohne das literarisch komplexe Miteinander dieser Motive in Ex 26,7-14 und darauf bezogen in Ex 29,42-46 diskutiert zu haben. Wenn der Vf. schließlich sich auf das Argument einer alten Vorstellung in jungen Wendungen zurückzieht, so verwechselt er die Literarkritik mit der Traditionsgeschichte, deren Unterscheidung gerade die Systematik des Buches ausmachen soll. Mit dem "Zelt der Begegnung" muss auch das Motiv des "Lagers" als sekundäre Historisierung ausgeschieden werden. 17,3b sei ungeschickt an V.3a angefügt, da bei literarischer Einheitlichkeit "innerhalb oder außerhalb des Lagers" formuliert sein müsste. Unter der Hand wird dann aber auch "im Lager" in V. 3ab ausgesondert, so dass der Ergänzer selbst die vermeintliche Verwerfung produziert habe müsste, was das Ausgangsargument für die Abtrennung von V. 3b aushebelt. V. 3b wird ausgeschieden, da vorausgesetzt sei, "daß man außerhalb des Lagers rituell schlachten könnte". Mit dieser Logik müsste auch V. 5aa ("Schlachtopfer, die sie auf dem freien Feld schlachten") abgetrennt werden, was nicht geschieht - zu Recht, denn auch V. 3b will nicht die Erlaubnis, sondern das Verbot, außerhalb des Lagers zu schlachten. Weder das "Zelt der Begegnung" noch das "Lager" können aus Lev 17 als sekundäre Historisierungen literarkritisch ausgeschieden werden. Das gilt gleichermaßen für die folgenden Kapitel. Am Ende des literarkritischen Durchgangs muss der Vf. das gesamte Formelwerk der Redeeinleitungen in H für literarisch sekundär erklären, da es die priesterschriftliche und, so ist zu ergänzen, vor allem postpriesterschriftliche Sinaiperikope voraussetzt. Die Argumentationsfigur des Vf.s ist so einfach wie falsch: Den Gesetzestexten fehle die durch das Formelwerk zu erwartende Anrede. Daraus wird nur ein literarkritisch auszuwertendes Argument, wenn man die durch die Sinaiperikope vorgegebene Theorie mosaischer Offenbarungsmittlerschaft nicht in Rechnung stellt.

Der Vf. verbaut sich selbst den Lösungsweg, um Distanz und Nähe von H zu P wie auch die Verzahnungen mit Lev 11-15 in den Griff zu bekommen, indem er die Alternative von H als Teil von P oder "selbständiges Gesetzbuch" zur alleinigen erklärt und mit einem tertium non datur versieht (123): Sie gibt es sehr wohl seit K. Elligers Lösung, dass H unter Voraussetzung von P und Dtn als Teil der postpriesterschriftlichen Sinaiperikope verfasst wurde. Nun soll nach dem Programm des Vf.s eine konsistente Struktur des literarisch selbständigen H die Gegenprobe zur literarkritischen Aussonderung der Redaktionsschicht sein. Ist aber die Systematik des Formelwerks zerstört, ist eine konzise Gliederung des H gar nicht mehr möglich. So bleibt es bei der allgemeinen Feststellung, dass Lev 19 durch Lev 18; 20 und Lev 24,15b-22*, ein Abschnitt, der nun allerdings kaum Anspruch darauf erheben kann, nicht Zusatz zu H zu sein, durch Lev 23; 25 gerahmt werde, wobei Lev 21 f. ein Zentrum sei. Darin liegt das Hauptproblem der Monographie, dass mit literarkritischer Entfernung des Formelwerks der Redeeinleitungen in H die Möglichkeit, die redaktionelle Strukturierung von H zu erfassen, zerschlagen wird, von der der Vf. doch selbst sagt, sie erst könne als Gegenprobe die Literarkritik verifizieren.

Im zweiten Teil fragt der Vf., "welche Motive und Traditionen den Verfasser des Heiligkeitsgesetzes vorgegeben waren, wie der Verfasser sie aufgenommen und umgeprägt hat" (140) - also nach der Differenz von Tradition und Redaktion des vorpentateuchischen H. In den umfänglichen Analysen, die den Hauptteil des Buche ausmachen, stellt der Vf. eine Reihe von Beobachtungen zusammen, die durchaus die Diskussion lohnen. Das soll wieder paradigmatisch für Lev 17 geschehen. Der Vf. listet als Traditionselemente das Verbot des Blutgenusses (Dtn 12,16.23) in 17,14, das Verbot, Gerissenes und Verendetes zu essen (Ex 22,30; Dtn 14,21a) in 17,15, die Verbindung von karat-Formel und Götzendienst (Ez 14,7 f.) in 17,4.7 auf. Die letztere Ableitung stellt der Vf. selbst wieder durch die These infrage, 17,15 könne auch auf Grund von Ez 4,14 "ein älteres, nicht mehr überliefertes Gebot ähnlicher Gestalt zugrunde liege[n], das schon zur Zeit Ezechiels Ex 22,30 und Dtn 14,21a verbunden hat" (171). Damit werden wie selbstverständlich literarhistorischer Ort und Datierung von Ez 4,14 festgelegt, ohne dass sie begründet werden. Vor allem bleibt unklar, wie sich dazu die direkte Rezeption von Ez 14,7 f. in 17,4.7 verhalten soll.

Für 17,11 konstatiert der Vf. zwar die Parallelität der Verbindung der Themen Blutgenuss und Götzendienst, zieht aber ebensowenig den Schluss der literarischen Abhängigkeit wie in Bezug auf Gen 9,4 und Dtn 12,23.27. Vielmehr setze 17,11 nur "traditionelle Vorstellungen voraus, ist aber in seiner vorliegenden Fassung und Bedeutungsfülle singulär". Das Verständnis des Blutes als Sühnemittel soll "Neuschöpfung des Heiligkeitsgesetzes" sein. Dazu werden Ex 25,10 ff.; 26,31 ff.; Lev 8; 9* unter Verweis darauf, dass "eine ausführliche Exegese ... hier nicht geleistet werden kann", zusammen mit Lev 4-5 PS zugeschrieben und damit der Wirkungsgeschichte von H. Lev 16 wird, obwohl einem älteren Stratum als Lev 11-15 zugeschrieben, ganz übergangen. Offen bleibt, was die These begründen soll, PG gehe H voraus und PS sei von H abhängig. Das hätte des Nachweises bedurft. In der Konsequenz seiner These kann der Vf. nicht angeben, warum überhaupt in Lev 17 Dtn 12 neu gefasst werden sollte, obwohl er mit der Bemerkung in Dtn 12,27 bleibe im Gegensatz zu H unklar, wer das Blut ausgießen solle (151), selbst einen Hinweis gibt. In 17,11 "denn die nps des Fleisches ist im Blut" und in 17,14 "denn die nps allen Fleisches ist sein Blut" wird Dtn 12,23, "denn das Blut ist die nps" rezipiert und ausgelegt, wobei Gen 9,4 als hermeneutischer Schlüssel dienend radikalisiert und die Blutausgießung in Dtn 12 kultisch geregelt wird. Der Grund dafür ist die dem Dtn fremde Sühnefunktion des Blutes, die nicht in H erfunden wurde, sondern in PS verankert Anlass zur Revision von Dtn 12 war. Die Verbindung von Götzendienst und karat-Sanktion wird aus Ez 14,7 f. in diese schriftgelehrte Vermittlung von P und Dtn in H eingeführt. H rezipiert P wie Dtn und Ez und gehört in den Horizont der postpriesterschriftlichen Redaktion des Pentateuch. Jes 6,7 und Jes 52,12-53,13 sind also nicht so einlinig als Quellenüberlieferungen der kultischen Sühnetheologie des Pentateuch in Anspruch zu nehmen, wie der Vf. suggeriert, nachdem er selbst den literarischen und theologischen Horizont für Lev 17 im Pentateuch eskamotiert hat.

Ein wesentliches Problem dieses Teils der Monographie liegt darin, dass der Vf. an keiner Stelle Auskunft darüber gibt, was er unter Traditionsrezeption versteht. Wurden Motive als Wissensgut aufgenommen oder Texte ausgelegt? Hinzu kommt, dass der Vf. nicht nur in Bezug auf den literarischen Kontext von H im Pentateuch unbestimmt bleibt und weder Auskunft über P und die vor- und vor allem post-P-Redaktionen gibt und also auch in der Definition von Rezeptionsverhältnissen schwimmt, sondern gleichermaßen pauschal die Prophetenbücher einführt. Wiederholt stößt der Leser auf Formulierungen derart, H sei vom "Buch des Profeten Ezechiel" (250 u. ö.) abhängig. Wo der Vf. literaturhistorisch differenziert, wird der Leser belehrt, H habe Verbindung zu sek. Partien in Ez oder Jer. Was aber bedeutet das angesichts der komplexen Literaturgeschichte dieser Bücher? Zumindest für die Arbeit des Vf.s bedeutet es, dass er die neuere Literatur zum corpus propheticum nicht ausreichend zur Kenntnis genommen hat. Damit aber hat er nun auch den Schlüssel zur Lösung der entscheidenden Problemstellung seiner Monographie aus der Hand gelegt. Mit der literarischen Isolierung von H geht der "Sitz in der Literatur" im Kontext der Sinaiperikope verloren, den der Vf. durch einen hypothetischen "Sitz im Leben" des Gesetzbuches H als direkter Gottesrede ersetzen muss.

Der Vf. notiert zu Recht die enge Beziehung zwischen Lev 21 und Ez 44,6ff.*, wovon T. Rudnig3 jüngst erneut festgestellt hat: "Eindeutig sind Zadokiden als Trägerkreise von Ez 44,6 ff.* ... zu identifizieren". Der Vf. aber will H einem "Laien oder einer Laiengruppe" (385) als Autor zuweisen und dies gerade mit Lev 21 begründen, indem er weqiddasto (21,8) nicht wie für qds (Pi.) sonst üblich bezogen auf die Priesterweihe ästimativ ("für heilig halten") deutet, sondern faktitiv ("in den Zustand der Heiligkeit versetzen") und daraus schließt: "Der Gemeinde (wird) anbefohlen, daß sie den Priester in den Zustand der Heiligkeit versetzen soll.4 Die Heiligkeit des Priesters ist also eine durch die Gemeinde vermittelte!" (277). Damit widerspricht der Vf., der in diesem Zusammenhang der Gemeinde die Rechte eines protestantischen Presbyteriums zuerkennt, direkt dem Text in 21,8. Die Aufforderung, die Priester heilig zu halten, begründet 21,8 nicht nur mit ihrer Funktion, Opfer darzubringen ("weil der die Speise deines Gottes darbringt"), sondern expliziert die ästimative Bedeutung von weqiddasto in diesem Sinne: "Heilig soll er für dich sein". Erheben die Zadokiden aus der Gola in Ez 44,7 den Vorwurf der Entheiligung des Heiligtums durch die im Lande Ansässigen und entwerfen in Ez ein Programm der Heiligung, so ist Lev 17-26 dessen Einbringung in die Tora, so dass sich die vom Vf. vorgeschlagene frühnachexilische Datierung von H ins 6. Jh. angesichts der in die zweite Hälfte des 5. Jh.s zu datierenden priesterlichen Bearbeitung in Ez ausgeschlossen ist. Da auch das Bundesbuch, das erst die Pentateuchredaktion in die Sinaiperikope einfügte, neben dem Dtn ausgelegt wird,5 kann H nicht älter sein.

Wenn der Vf. den Nachweis führen will, dass die Forschung mit und seit K. Elliger einen Irrweg beschritten hat, wenn sie H als Teil des literarischen Kontextes interpretierte, so ist dieser Nachweis nicht gelungen. Der Wert der Monographie liegt in der umfänglichen Dokumentation parallelen Materials zu H, die der Forschung dienlich ist. In der Deutung der Parallelen aber wird sie andere Wege als die vom Vf. vorgeschlagenen gehen müssen.

Fussnoten:

1) Vgl. dazu die Rez., Das Heiligkeitsgesetz zwischen Priesterschrift und Deuteronomium. Zu einem Buch von Andreas Ruwe, ZAR 6, 2000, 330-340.

2) Vgl. dazu die Rezension des Rez. in ThLZ 123, 1998, 129-132.

3) S. Heilig und Profan. Redaktionsgeschichtliche Studien zu Ez 40-48, BZAW 287, Berlin/New York 2000, 295.

4) Vgl. dagegen auch R. Achenbach, Das Heiligkeitsgesetz im nachpriesterschriftlichen Pentateuch. Zu einem Buch von Klaus Grünwaldt, ZAR 6, 2000, 341-350.

5) Vgl. Rez., Innerbiblische Exegese im Heiligkeitsgesetz Levitikus 17-26, in: H.-J. Fabry/H. W. Jüngling [Hrsg.], Levitikus als Buch, BBB 119, Berlin 1999, 125-196.