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Ausgabe:

Oktober/2001

Spalte:

1012–1016

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bovon, François, Brock, Ann Graham, and Christopher R. Matthews [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Apocryphal Acts of the Apostles. Harvard Divinity School Studies.

Verlag:

Cambridge: Harvard University Center for the Study of World Religions 1999. XXIX, 394 S. gr.8 = Religions of the World. Lw. $ 34.95. ISBN 0-945454-1.

Rezensent:

Jens Schröter

Das Interesse an den Apokryphen Apostelakten hat in den zurückliegenden Jahren neuen Auftrieb erhalten. François Bovon, Mitherausgeber und "geistiger Vater" des vorliegenden Bandes, hatte bereits in seiner Genfer Zeit hieran maßgeblichen Anteil. Nach seinem Wechsel an die Harvard Divinity School im Jahr 1993 hat er die Arbeit an diesen Schriften dort fortgeführt und ausgebaut. Seine editorische Tätigkeit und anderweitigen Publikationen weisen ihn als einen der führenden Forscher auf diesem Gebiet aus.1

Die intensivere Zuwendung zu besagten Schriften lässt sich auch daran erkennen, dass sich bei den Annual Meetings der SBL 1980 und 1981 eine Gruppe nordamerikanischer Forscher mit diesen befasste. Hieraus ist der Band "The Apocryphal Acts of the Apostles" (Semeia 38, 1986) hervorgegangen, zu dem Bovon, gemeinsam mit E. Junod, eine Conclusion verfasste. Das SBL Seminar on Intertextuality and Christian Apocrypha hat sich dem Thema dann erneut zugewandt, nunmehr unter einem stärker methodologisch ausgerichteten Blickwinkel. Die Ergebnisse sind in dem 1997 erschienenen Band "The Apocryphal Acts of the Apostles in Intertextual Perspectives" (Semeia 80) dokumentiert. Schließlich ist auf die in den neunziger Jahren erschienenen Studien von Jan Bremmer zu den Paulus- und Thekla- (1996) bzw. den Petrusakten (1998) sowie den von demselben Autor herausgegebenen Band zu den Johannesakten (1995) hinzuweisen. Neben den mehr Aufmerksamkeit auf sich lenkenden Forschungen an der patristischen Literatur und den Nag Hammadi-Schriften haben wir es hier somit mit einem weiteren Bereich zu tun, in dem Neutestamentler und Neutestamentlerinnen daran arbeiten, die frühchristliche Literatur in ihrem eigenen literarischen, kulturellen und religiösen Profil zu erforschen.2

Damit verbunden ist eine bestimmte Perspektive der Erforschung christlicher Glaubensinhalte: Der vorliegende Band ist in der Reihe Religions of the World des Harvard University Center for the Study of World Religions erschienen, um damit zum Ausdruck zu bringen, dass diese von der Kirche nur mit Einschränkungen akzeptierten Schriften zum besseren Verständnis des "broad cultural impact of Christian ideas and practices in history" beitragen, wie Lawrence E. Sullivan, Direktor des Zentrums, im Vorwort ausführt.

Wie Bovon sodann im Vorwort zu dem Band berichtet, geht dieser auf sein erstes doctoral seminar an der Harvard Divinity School zurück und enthält Beiträge von Teilnehmern und Teilnehmerinnen dieses Seminars.

In dem ersten, dem Stil nach zu urteilen offensichtlich für Studierende verfassten Beitrag, der als eine Art Einleitung voransteht ("Editing the Apocryphal Acts of the Apostles"), führt Bovon in die Techniken des Arbeitens mit apokryphen Texten ein. Für an dieser Literatur Interessierte ist dies ein überaus lehrreicher Artikel, in dem man vieles über Textausgaben, Hilfsmittel und Manuskripte der Apokryphen Apostelakten erfährt. Bovons Forschungsschwerpunkt an den Philippusakten entsprechend, orientiert sich der Artikel exemplarisch an der Figur des Apostels Philippus und nimmt die Lesenden mit auf eine Reise durch die verschiedenen Manuskripte (eingehend geschildert wird die Arbeit am Vaticanus graecus 866) bis hin zur an einem anderen Text (Parsinus Graecus 881 f., 342, Abb. S. 30) exemplarisch vorgeführten Erstellung einer kritischen Ausgabe. Die Ausführungen sind somit nicht nur im Blick auf die Philippusakten, sondern für das editorische Arbeiten mit verschiedenen Manuskripten überhaupt erhellend.

Der erste Hauptteil des Bandes ("Performance and Rewriting") versammelt drei Beiträge, die sich mit vorausliegenden Traditionen, deren Verarbeitung in Texten sowie der Wirkungsgeschichte der letzteren beschäftigen.

Christine M. Thomas befasst sich in ihrem Beitrag mit den Petrusakten ("The 'Prehistory' of the Acts of Peter"). Sie fragt insonderheit danach, ob die frühesten Manuskripte dieser Schrift Informationen über die Vorgeschichte des Textes, speziell dessen Form im 1. und frühen 2. Jh., enthalten. Es versteht sich von selbst, dass eine derartige Fragestellung auf erhebliche methodische Schwierigkeiten stößt, da die ältesten Handschriften aus dem 6./7. Jh. stammen. Thomas ist sich dieser Problematik bewusst, auch der Tatsache, dass sich die altphilologische und die neutestamentliche Forschung in neuerer Zeit stärker auf die Interpretation der vorliegenden Texte als auf die Herausarbeitung möglicher Vorstufen konzentriert haben. Die Berechtigung für ihre Fragestellung sieht sie jedoch dadurch gegeben, dass bei den Petrusakten "the only existing early witness is a document that, even on prima facie evidence, represents multiple acts of redaction spanning a number of centuries" (40 f.). Dies bedeutet natürlich einen gravierenden Unterschied zu dem Befund der neutestamentlichen Handschriften, wenngleich das methodische Prinzip, die Schriften als Zeugnisse für die Zeit ihrer Entstehung auszulegen und nicht mit dem Datum der ältesten Handschrift zu beginnen, hier wie dort das gleiche ist. Die Frage, ob bzw. inwiefern es möglich ist, eine mehrere Jahrhunderte ältere Fassung einer Schrift aus vorhandenen Manuskripten zu rekonstruieren, ist damit freilich noch nicht beantwortet.

Diesbezüglich unternimmt es Thomas, Indizien zusammenzutragen, die es ermöglichen sollen, hinter die lateinische Version des Codex Vercelli zu einer früheren Fassung zurückzugelangen. Zum einen identifiziert sie spätere Interpolationen bzw. Redaktionen älterer Textfassungen, zum anderen versucht sie, auf dieser Basis eine Überlieferungsgeschichte der Petrusakten nachzuzeichnen. Dabei geht sie mit neueren Forschungen zum Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit davon aus, dass "each separate version of the same story results from a separate retelling for another audience". Des Weiteren setzt sie bei den in Frage stehenden Texten - sicherlich zu Recht - keine strikte Trennung zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit voraus. Das methodische Reflexionsniveau des Beitrags ist ansprechend. Dass sich über eine "prehistory of the Acts of Peter" angesichts des zur Verfügung stehenden Textmaterials tatsächlich viel erheben lässt, erscheint mir dagegen eher zweifelhaft.

Allan Dwight Callahan befasst sich mit den Markusakten, einer Schrift, die normalerweise nicht zum engeren Kreis der Apokryphen Apostelakten gerechnet wird. Auf der Grundlage einer Untersuchung der verschiedenen mittelalterlichen Manuskripte der Schrift entwickelt er die Hypothese, durch einen Vergleich der arabischen mit den griechischen, koptischen, äthiopischen und lateinischen Versionen lasse sich eine koptische Vorlage rekonstruieren, auf die die Unterschiede in den einzelnen Übersetzungen zurückzuführen seien. Die arabische Version sei deshalb als "linguistic pivot" anzusehen, der Einblick sowohl in die koptische Vorgeschichte als auch in diejenige der späteren Übersetzungen gewähre. Die Bedeutung, die dieser Text für die koptische Christenheit besaß, könnte dies bestätigen. Auch hier findet sich großes Zutrauen in die Möglichkeit, Schlussfolgerungen auf Hypothesen über nicht vorhandene Texte zu gründen. Methodisch ist zur Vorsicht zu raten, weil sich über nur vermutete Texte zwar trefflich, aber nicht unbedingt mit Gewinn streiten lässt.

Im dritten Beitrag identifiziert Bovon Spuren der Benutzung der Apostelakten in byzantinischen Texten hagiographischer, liturgischer und homiletischer Art, die ein starkes Interesse an den Personen der Apostel in dieser Zeit (9./10. Jh.) belegen. Exemplarisch vorgeführt wird dies an der Darstellung des Apostels Jakobus in der Oratio octava des Nicetas von Paphlagonien (geb. 885).

Der zweite Teil ("Language") rückt linguistische Fragen ins Zentrum.

David H. Warren unternimmt eine an Ausführungen von Nigel Turner und Loveday Alexander3 orientierte Stiluntersuchung der Apostelakten, in der er die Komplexität des Satzbaus, den Stil der Vorworte, die Stellung des Verbs im Satz sowie Eigentümlichkeiten des Ausdrucks als heuristische Kriterien verwendet. Er gelangt auf diese Weise zu interessanten Beobachtungen über die literarischen Fähigkeiten der einzelnen Autoren und leitet daraus Folgerungen im Blick auf deren sozialen und Bildungshintergrund ab. Die Andreasakten sind demnach von einem Autor verfasst, der in griechischer Philosophie und Rhetorik unterrichtet war, wogegen die Johannesakten in einem schlichten Stil geschrieben sind. Die Thomasakten weisen Warren zufolge semitische Stilelemente auf und gehen möglicherweise auf einen syrischen Autor zurück.

Evie Zachariades-Holmberg untersucht "Philological Aspects of the Apocryphal Acts of the Apostles". Dabei konzentriert sie sich auf die Andreas-, Petrus- und Paulusakten. Sie entdeckt Differenzen zwischen den Manuskripten der jeweiligen Akten sowie unter diesen selbst. Innerhalb der Manuskripte der Andreasakten etwa sei zwischen diesen selbst und den späteren, mit diesen thematisch zusammengehörigen Akten des Andreas und Matthias eine deutliche Differenz zu erkennen. Die Petrusakten lassen sich mit den erstgenannten, stilistisch höherstehenden vergleichen, wogegen die Paulusakten eher mit den Letzteren, einfacher geschriebenen in eine Gruppe gehören.

Teil 3 beinhaltet "Literary and Religious Studies".

Ann Graham Bock vergleicht die Petrus- und die Paulusakten unter dem Gesichtspunkt der Darstellung politischer Autoritäten, der Rolle von Frauen, familiärer und sozialer Verantwortlichkeiten sowie kirchlicher Organisationsstrukturen. Die linguistischen Analysen werden so durch eine Betrachtung der jeweils entworfenen sozialen Realitäten vertieft. Dabei arbeitet Bock heraus, dass die beiden Schriften in einigen Punkten "ideologically incompatible" seien. Die Paulusakten sind demnach, etwa durch die Figur der Thekla, aber auch durch die Darstellung des Paulus selbst, gegenüber der Führungsrolle von Frauen wesentlich positiver eingestellt, als dies in den Petrusakten der Fall ist, wo männliche Gestalten wie Petrus, Marcellus und Simon Magus die Szenerie dominieren. Bock bezieht dieses Ergebnis auf die Untersuchung von MacDonald, der einen Streit um die apostolische Autorität des Paulus zwischen den Pastoralbriefen und den Paulusakten herausgearbeitet hatte.4

Caroline Johnson untersucht zwei Epiklesen der Thomasakten in deren literarischem Kontext christlicher liturgischer Texte. Anhand des Vergleiches der Vorstellungen von der Wirkung der Gebete, deren sprachlicher Struktur sowie des Gebrauches von Symbolen stellt sie eine Nähe der Texte aus den Thomasakten zu magischen Beschwörungen fest.

Der Beitrag von Christopher R. Matthews geht den sprechenden Tieren als einem häufigen, zu unterschiedlichen Zwecken eingesetzten Topos der Apostelakten und dessen motivgeschichtlichen Hintergründen nach.

Laura Nasrallah und David W. Pao befassen sich mit den Andreasakten. Erstere untersucht deren Ende im Blick auf die Rolle des impliziten Lesers. Die auffällige Verwendung der 1. Person am Ende des Textes lässt den (impliziten) Autor hervortreten, der die Leser auf die Autorität seines Textes verpflichten möchte. Auffällig im Vergleich mit analogen Einschaltungen des Autors in seinen Text sei im Falle der Andreasakten die Betonung des rechten Hörens und Aufnehmens des in dem Text Gesagten. Nasrallah deutet dies im Anschluss an Jean-Marc Prieur als ein Motiv aus der Sokrates-Tradition, insofern auch dieser durch seine Worte unsterblich geworden sei. Andreas werde hier demnach zu einer Art "neuer Sokrates", freilich als christlicher Lehrer und Apostel.

Paos Beitrag untersucht die Funktion der Heilungswunder innerhalb des theologischen Konzeptes der Andreasakten. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Verhältnis des Leib-Seele-Dualismus zu den Heilungen. Dem anthropologischen Ansatz entsprechend werde das Augenmerk vor allem auf den Kampf zwischen Andreas und dem Satan sowie die Rettung der Seele durch die physische Heilung gelenkt. Eine weitere in den Heilungswundern begegnende Strategie sei die ethische Ermahnung, insofern ein Zusammenhang zwischen der Krankheit und der Sünde des Betroffenen behauptet wird. Eine tabellarische Übersicht über die Heilungswunder der Andreasakten schließt den Beitrag ab.

Richard N. Slater schließlich widmet sich der ersten Wundererzählung der Philippusakten mit besonderem Blick auf die Änderungen in der jüngeren gegenüber der älteren Textfassung (Vaticanus graecus 824 bzw. Xenophontos 32). Die Tilgung der Höllenfahrt des Philippus sowie die Reduzierung seiner übernatürlichen Macht in der Darstellung des Wunders lassen nach Slater Rückschlüsse auf Differenzen zwischen den Trägergruppen beider Fassungen zu. Während der ursprüngliche Text dem Ideal eines enkratitischen Christentums verpflichtet sei, lasse die Bearbeitung bereits eine "großkirchliche" Ausrichtung erkennen, für die dies keine aktuelle Option mehr war.

Den Band beschließen zwei Appendizes, die bisher unedierte Texte erstmalig zugänglich machen. Zachariades-Holmberg und Bovon präsentieren eine Einführung sowie Text (einschließlich kritischem Apparat) und englische Übersetzung des Martyriums des Ananias, Yuko Taniguchi, Bovon und Athanasios Antonopoulos in gleicher Weise ein hypomnema des Theologen Johannes.

Mit seinem breiten Spektrum bietet der Sammelband einen instruktiven Werkstattbericht aus den Forschungen des Kreises um Bovon an den apokryphen Apostelakten. Etliche Beiträge vermitteln interessante Einblicke in wenig beachtete Texte, die einen wichtigen Teil der Wirkungsgeschichte urchristlicher Traditionen über die Apostel darstellen. Ob sich alle aufgestellten Thesen bewähren werden, wird der Gang der Forschung aufzeigen. Skepsis gegenüber allzu großem Zutrauen in die Möglichkeiten, Textgeschichte durch literarkritische und traditionsgeschichtliche Operationen aufzuhellen, erscheint hier, ebenso wie auf anderen Gebieten, angebracht. Insofern sind die Expertinnen und Experten der Texte gut beraten, von methodischen Einsichten, die in vergleichbaren Forschungsbereichen gewonnen wurden, zu profitieren. Einige der vorgelegten Beiträge lassen das durchaus erkennen.

Des Weiteren ist zu begrüßen, dass sich die Forschungsgruppe um Bovon nicht darauf fixiert hat, die Forschung an den Apostelakten mit fragwürdigen Thesen über alte Traditionen und Quellenschriften zu belasten, sondern sie als das interpretiert, was sie tatsächlich sind: ein überaus spannendes, obgleich immer noch eher ein Schattendasein führendes Stück Wirkungsgeschichte urchristlicher Texte. Man wünscht dem Band, daß er dazu verhelfen möge, die Forschung an diesen Schriften zu intensivieren. Genügend Anregungen hierfür enthält er zweifellos.

Fussnoten:

1) Vgl. etwa ders. [Hrsg.], Les Actes apocryphes des apôtres. Christianisme et monde païen, Genf 1981; ders., New Testament Traditions and Apocryphal Narratives, Allison Park, 1995; ders., Acts of Philip, Turnhout 1999. Vgl. auch seinen Artikel "Apostelakten", RGG4 1, 1998, 640 f.

2) Vgl. Bovons Bemerkung auf S. XV des zu besprechenden Bandes: "It is actually not so much the relation between canoncial and apocryphal literature which should be attended to, but the question of the early Christian heritage." Das Verhältnis der Apokryphen Apostelakten zur kanonischen Apostelgeschichte wurde von der Luke-Acts Group beim Annual Meeting der SBL 1999 in Boston thematisiert.

3) J. H. Moulton/N. Turner, A Grammar of New Testament Greek, Volume 5: Style (by N. Turner), Edinburgh 1976; L. Alexander, The Preface to Luke's Gospel. Literary Convention and Social Context in Luke 1.1-4 and Acts 1.1, Cambridge 1993.

4) D. R. MacDonald, The Legend and the Apostle. The Battle for Paul in Story and Canon, Philadelphia 1983.