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Ausgabe:

September/2001

Spalte:

976–978

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Rothe, Ariberth

Titel/Untertitel:

(1) Evangelische Erwachsenenbildung in der DDR und ihr Beitrag zur politischen Bildung.
(2) Quellenband: Exemplarische Quellentexte und Themendokumentationen zur evangelischen Jugend- und Erwachsenenbildung.

Verlag:

(1) Evang. Verlagsanstalt. Leipzig 2000. IV, 361 S., Lit.-Verz.: XXX S.
(2) Evang. Verlagsanstalt. Leipzig 2000. IV, 188 S. gr.8. Geb. Zus. DM 68,-. ISBN 3-374-01830-0.

Rezensent:

Gottfried Orth

Unter westlichen Kriterien war die ostdeutsche evangelische Erwachsenenbildung nicht leicht als eine solche identifizierbar (353); so resümierte eine westdeutsche Praktikerin und Theoretikerin evangelischer Erwachsenenbildung 1987: "... aber die EEB in der DDR? Gibt es so etwas dort überhaupt, hat man je davon gehört? Ich nicht." (G. Hefft) Doch nicht nur dies, auch der als westlich konnotierte Begriff der politischen Bildung "wurde tunlichst vermieden" (359); auch eine solche war also für den westlichen Besucher nicht leicht ausmachbar. Um so erfreulicher ist es, dass nun ein "Insider" die evangelische Erwachsenenbildung in der DDR und ihren Beitrag zur politischen Bildung im Rahmen einer "bildungsgeschichtlichen Untersuchung" nicht nur ausführlich darstellt und analysiert (die Arbeit geht auf eine mit dem Promotionspreis ausgezeichnete Dissertation an der Universität Jena aus dem Jahre 1999 zurück), sondern dieser Untersuchung auch einen Band mit ausgewählten Quellentexten beigibt (deren Exemplarität zwar im Titel behauptet, deren Auswahlkriterien aber leider nicht erläutert werden).

Um das Ergebnis der Arbeit thetisch vorwegzunehmen: Es gab- entgegen der Außenansicht und "trotz terminologischer Unschärfen" (351) - nicht nur eine teilnehmerorientierte und lebensweltbezogene evangelische Erwachsenenbildung in der DDR, sondern sie erbrachte auch einen (für die "Wende" möglicherweise entscheidenden) Beitrag für Prozesse politischer Bildung.

Der Weg zu dieser Aussage war für den Autor freilich ein mühsamer Suchprozess! Denn "die publizierte bzw. die öffentlich zugängliche Quellenlage Evangelischer Erwachsenenbildung in der DDR ist dürftig" (14). Spurensuche in unterschiedlichen Archiven und bei kirchlichen Trägern ganz verschiedener Ebenen war also ebenso angesagt wie die Arbeit mit Zeitzeugen. Doch beides hat einen erstaunlichen Materialbefund zu Tage gefördert, mit dem der Autor seine Thesen gut belegen kann. Der inhaltliche Weg der Arbeit zeichnet sich durch folgende Stationen aus:

Die beiden ersten großen Abschnitte der Arbeit gelten gleichsam den historischen Herkünften und den zeitgeschichtlichen Rahmenbedingungen evangelischer Erwachsenenbildung in der DDR, indem die Ansätze für evangelische Erwachsenenbildung in der protestantischen Tradition - die biblische Ebenbildaussage und das Motiv der Volksbildung - nachgezeichnet und der gesellschaftspolitische Rahmen für Erwachsenenbildung in der DDR - das einheitliche staatliche Bildungssystem mit seiner staatsideologischen Ausrichtung im Rahmen der wissenschaftlichen Weltanschauung des Sozialismus - dargestellt werden. Dabei wird zum einen deutlich, wie gesellschaftsbezogene Theorieansätze evangelischen Bildungsdenkens durch die ordnungspolitischen und ideologischen Vorgaben des Staates erfolgreich zurückgedrängt werden. Zum andern sucht Rothe zu zeigen, wie die staatlichen Entwicklungen die kircheninstitutionelle Tendenz verfestigen, "bekenntnistheologisch verengte Vorstellungen zu verabsolutieren und die gesellschaftspolitische Ausgrenzung der Kirche zu theologisieren" (354); ob dies freilich die einzig mögliche Sichtweise hinsichtlich der theologischen Entwicklung des Kirchenbundes ist, wäre m. E. zu diskutieren.

Nach einem vergleichsweise kurzen Blick auf die "eigentümlich schleppende Bearbeitung des Erwachsenenbildungsthemas auf Kirchenbundebene" (116) kommt die Arbeit zu ihrem offensichtlichen Hauptteil (118-351), der Darstellung der "Praxisformen evangelischer Erwachsenenbildung in der DDR". Hier legt der Autor den eindeutigen Schwerpunkt auf die Ebene der Kirchengemeinde bzw. der Bildungsformen und -strukturen auf Ortsebene. Kirchengemeinde (118 ff.), gemeindeständische Werke (143 ff.), Studentengemeinden (183 ff.) und stadtbezogene Einrichtungen (266 ff.) werden als wesentliche Orte erwachsenenbildnerischen Handelns dargestellt. Die Arbeit der Evangelischen Akademien, mit Jungakademikern, Kunstdienste, Kirchentagsarbeit und die Informations- und Bildungseinrichtungen des Kirchenbundes sowie landeskirchliche Einrichtungen evangelischer Erwachsenenbildung werden deutlich kürzer dargestellt.

Dass über die "offene Arbeit" insbesondere hinsichtlich Jugendlicher nur wenig ausgeführt wird, nimmt angesichts der staatlichen Gegebenheiten nicht Wunder. Erstaunlich aber erscheint mir der nahezu völlige Ausfall Berlins aus der Darstellung des Autors, so begegnen weder die Akademie noch im Abschnitt zu den stadtbezogenen erwachsenenbildnerischen Einrichtungen Gemeinden oder Werke aus Berlin. Das ist für die westdeutsche Leserschaft zum einen erhellend - die DDR bestand nicht nur aus Berlin -, zum andern irritierend, hatte doch beispielsweise gerade die Evangelische Akademie in Berlin/Ost ein spezifisches und durchaus nicht unumstrittenes Profil! Auch verwundert hier - wie in der gesamten Arbeit - die Auswahl der Beispiele, nicht angesichts ihrer Inhaltlichkeit und dessen, was hier dokumentiert wird, sondern angesichts der nicht offen gelegten methodischen Kriterien für die Auswahl der dargestellten Beispiele. So wären beispielsweise auf Gemeindeebene die Gemeindepartnerschaften zwischen Gemeinden aus der DDR mit solchen aus den Niederlanden, Polen oder Mocambique unter erwachsenenbildnerischen Gesichtspunkten durchaus spannend zu untersuchen (vgl. dazu: Chr. Berger u. a., Lernerfahrungen in der einen Welt, Rothenburg 2000).

Recht unvermittelt folgen nach der Darstellung evangelischer Erwachsenenbildung hinsichtlich ihrer Bildungsorte und Zielgruppen sozialethische Themengruppen, die sich an den Begriffen des konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung orientieren. Hier im sozialethischen Bereich lag sicherlich neben der theologischen Bildung ein entscheidender Schwerpunkt der evangelischen Erwachsenenbildung in der DDR, gerade auch hinsichtlich ihres Charakters als politische Bildung. Um so mehr verwundert es, dass hier die Bildungsarbeit - seitens des Kirchenbundes! - im Rahmen des Programms zur Bekämpfung des Rassismus des Ökumenischen Rates der Kirchen mit den vielen Informations- und Gemeindebriefen und einer ganzen Reihe von Veranstaltungen keine Erwähnung findet (vgl. dazu die Leipziger Dissertation von Hans-Jürgen Schröter aus dem Jahre 1990 sowie: G. Krusche, Alle Menschen sind gleich und frei, Rothenburg 1998), wäre hier doch eine bedeutsame entwicklungspolitische Bildungsarbeit darzustellen gewesen!

Die Arbeit zeigt einmal mehr - und das ist neben ihrer bildungsgeschichtlichen Bedeutung für eine gesamtdeutsche Geschichte der evangelischen Erwachsenenbildung wie für deren nun gemeinsame Zukunft entscheidend -, wie wichtig es ist, dass Akteure und Zeitzeugen wie Zeitzeuginnen der DDR die Aufarbeitung und Darstellung ihrer eigenen Geschichte selbst in die Hand nehmen. Dass dies dann immer auch ein Stück der Abarbeitung an der eigenen persönlichen Biographie und ihren Sichtweisen ist, macht den besonderen Reiz, die Diskussionswürdigkeit und manchmal auch Fragwürdigkeit solcher Arbeiten aus, ohne dass dies doch deren wissenschaftlichen Wert hinsichtlich ihrer selbst gewählten Zielsetzungen erheblich schmälern würde.