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Ausgabe:

September/2001

Spalte:

973 f

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Mertin, Andreas

Titel/Untertitel:

Internet im Religionsunterricht.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000. 186 S. gr.8. Kart. DM 34,-. ISBN 3-525-61380-6.

Rezensent:

Sabine Bobert-Stützel

Der Vf. versteht sich als "Publizist, Ausstellungsmacher und Medienpädagoge" (so Mertin auf der eigenen Homepage). Er ist seit 1998 verantwortlicher Herausgeber eines Online-"Magazins für Theologie und Ästhetik" (http://www.ub.uni-duisburg.de/theomag/). Für den Religionsunterricht hat er bereits ein Arbeitsbuch über Videoclips vorgelegt (Videoclips im Religionsunterricht, 1999). - Auf Grund der Kompetenzen, die in diesem Buch zusammenfließen, kann es vorläufig als praxisorientiertes Standardwerk für ,Religionsunterricht und Internet' gelten, was sich auch in den Verkaufszahlen und demnächst in einer 2. Aufl. niederschlägt.

Das Buch gliedert sich in fünf Hauptteile: I. "Grundlagen", II. "Internet im Religionsunterricht" (30 Unterrichtsanregungen für Sek I und II), III. "Möglichkeiten und Risiken des Internet - Ein [ausführlicher] Unterrichtsentwurf für die Sekundarstufe II", IV. "Interessante Adressen" im Internet und V. einen Anhang mit Literaturhinweisen. M.s Buch wird durch einen "elektronischen Anhang" ergänzt: Die im Buch angegebenen und kommentierten Internetadressen können auf der Webseite des Verlags Vandenhoeck & Ruprecht direkt angesteuert werden. Ferner sei auf die von M. begründete interaktive Datenbank "Reliweb" zum Religionsunterricht verwiesen, die das Buch ideal ergänzt: http://www.reliweb.de.

Den Kernteil bilden die 30 Unterrichtsanregungen (49-113, vgl. die Tabelle S. 52 f.) sowie der Unterrichtsentwurf für die Sek II über "Möglichkeiten und Risiken des Internet" (115-142). Die Themenauswahl der 30 Einheiten ging aus einer Rahmenplanarbeit hervor, an der der Vf. mitgearbeitet hatte. Sie versteht sich als Zusatzaspekt zu wohl auch sonst geläufigen Themen zu klassischen und aktuellen Fragen. So wird für die Einheit "Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen" vorgeschlagen, eine eigene Homepage zu gestalten (54 f.). Die Jugendlichen sollen über ihre Stärken Auskunft geben und reflektieren, inwieweit auch Schwächen dazugehören. Vergleiche mit Homepages Gleichaltriger und denen von Politikern werden empfohlen. Ferner finden sich je Einheit Arbeitsimpulse, Erwartungen, Fragen und Tipps. Zum Themenfeld "Vorbilder und die Suche nach Orientierung" werden Fan-Homepages vorgeschlagen (90 f.). Die Einheit zu "Liebe, Partnerschaft und Sexualität" (60 f.) reflektiert die internetbezogenen Verheißungen tabuisierter Lüste und lässt Chaträume erforschen. In der Einheit zu "Jesus in seiner Zeit. Jesus in den Medien" (66 f.) stellt der Vf. fest, dass im Vergleich zu den Webseiten anderer Religionen Jesus Christus auf den offiziellen Seiten der Kirchen keine eigens thematisierte Person ist. Die Jugendlichen sollen Grundzüge der Medienkonstruktion zur Gestalt Jesu erforschen, z. B. mit Hilfe der Internetarchive von Spiegel, Zeit und Fernsehanstalten. In der Einheit zu "Sterben, Tod und Auferstehung" wird das Problem körperlosen Gedenkens im Cyberspace wie z. B. auf den online-Friedhöfen reflektiert (72 f.). Zur ethischen Perspektive auf "Scheitern, Schuld und Vergebung" wird in die Arbeit mit Webseiten zu "Shoah, Wiesenthal-Center; Jad vaShem, Aktion Sühnezeichen" (92 f.) eingeführt.

Der Standort des Vf.s zum Medium Internet tritt am klarsten im Grundlagenteil (7 ff.) sowie in der ausführlichen Unterrichtseinheit über "Möglichkeiten und Risiken des Internet" (11 ff.) hervor. Hier setzen meine Fragen ein. Als emotionaler Grundton obsiegt in diesem Buch nicht die Lust am Ausprobieren des neuen Mediums, sondern der warnende Zeigefinger des Pädagogen. Zwar bemüht sich M., das Internet als eigenes "symbolisches Universum" analog zu Traum- und Spielwelt anzuerkennen (25). Sein Standort ist aber von vornherein mit Clifford Stolls Position enttäuschter Hoffnungen festgeschrieben, der neben Opaschowski die Medienautorität zum Thema Internet für M. bleibt (7 ff.137.139). Emotional werden auf das Internet vorwiegend Gefahren, Abgründe und Lüge projiziert - ein gefährliches ("höchst riskant", 14) und verlogenes Medium wird erschlossen, und sein "Mythos" muss destruiert werden. Diese Haltung wird dann als Beweisführung für die künftige Unverzichtbarkeit von Lehrern verwendet (15). Gleichzeitig wird andererseits dem traditionell protestantischen und bildungsbürgerlichen Leitmedium Buch alles Gute zugesprochen: hierarchisch gegliedertes Wissen, erkennbare Autoritäten (14).

Das "dynamisch-egalitär" organisierte Wissen im Internet mobilisiert zunächst nur Furcht. Die Konstruiertheit von Buchwissen, auch von Buchautoritäten, und dessen Erkenntnis- und Erfahrungsdefizite, wie sie inzwischen längst medientheoretisch reflektiert werden, weichen einseitiger Idealisierung. Eine differenziertere Einführung in die medientheoretische Diskussion - über Chancen und Grenzen beider Leitmedien z.B. - wäre hilfreicher gewesen, gerade wenn M. durch das Leitmedium Buch als einführende Autorität gelesen wird. Für die pädagogische Intention wäre auch eine Reflexion über die alte Ehe zwischen Schule, Alphabetisierung und Buch (dies gilt ebenso für den Protestantismus!) sowie über prospektive Formen des Lehrens und Lernens interessant gewesen. Nach meiner Auffassung kommen Lernen und Lehren langfristig nicht umhin, den durch das Internet sich abzeichnenden Sozialformen mit nichthierarchischen Netzwerk-Strukturen und der Reflexion der Konstruiertheit allen Wissens zu entsprechen.

Die Konstruiertheit von Wissen gilt gleichfalls für Bücher. Wissen erscheint hier nur als quasiobjektiv festgeschrieben und wird von anerkannten institutionellen Autoritäten abgesegnet. Aber ist es damit weniger konstruiert und ist seine Konstruktion leichter durchschaubar und ,weniger gefährlich'? Und ist Buchwissen ,erfahrungsnäher' gegenüber der Furcht vor Erfahrungsverlust durch neue Medien? Eine Verklärung alter Strukturen und ein unverwandelter Rückgriff auf sie ist ein restaurativ konstruierter Antwortversuch. Lehrerinnen und Lehrer werden auch künftig nicht überflüssig werden, wohl aber sollten sie schon jetzt über mögliche Umbrüche im Rollenverständnis reflektieren - um gelassener in die Zukunft zu blicken.