Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2001

Spalte:

971 f

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Kürzdörfer, Klaus [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Bildung und Transzendenz.

Verlag:

Leipzig: Leipziger Universitätsverlag; Norderstedt: Anne-Fischer-Verlag 1999. 206 S. 8. ISBN 3-933240-48-4 u. 3-926049-20-0.

Rezensent:

Hans-Theo Wrege

Der Band ist so aufgebaut, dass der Hg. in einer "Einführung" auf die "subtile[n] Zusammenhänge zwischen Humanität und Transzendenz" verweist und diese als "gelegentliches Bewußtwerden bzw. Aufblitzen von Jenseitigem im Diesseits" programmatisch benennt (7). Der Sprachgebrauch von Transzendenz ist hier also am lateinischen Wortsinn, nicht aber an einer Analyse des deutschen Idealismus orientiert. Entsprechend sieht der Hg. den "Reiz unseres Sammelbandes ... darin, ... daß er ... jene sublimen Zusammenhänge zwischen Humanitas und Religiositas, in so verschiedenen Fächern bzw. Fakultäten wie Pädagogik, Kunst, Musik, Psychologie, (im Nachwort zusätzlich Natur- und Literaturwissenschaft) ... zusammenschauen läßt" (7) - dies ohne Rückgriff auf die von J. Moltmann polemisch bedachte "transzendentale Subjektivität" Gottes bzw. des Menschen (Theologie der Hoffnung, 7. Aufl 1964, 43 ff.51 ff.). Damit sind bereits die Einzelbeiträge des Mittelteils gekennzeichnet. Diese entstammen sämtlich dem "bewährten Esprit de Corps der Kieler Lehrerausbildung" (9). Sie sollen hier kurz umrissen werden.

Klaus Westphalen interpretiert das Emblem der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Kiel, das ganz im Sinne der didactica magna des Comenius die humanitas implantanda als gemeinsames Ziel herausstellt (15 ff.). Dabei bestimmt sich die religionsoffene humanitas für W. nicht zuletzt durch den Rekurs auf W. v. Humboldt (31).

Manfred Korte zeigt, wie durch Bildbetrachtung in der Schule (Bruegel, Die großen Fische fressen die kleinen) im Unterrichtsgespräch die Sinnfindung der Schüler vorbereitet wird: "Ich glaube, daß der Maler uns mit der Figur ... einen Menschen zeigen will, der es wie ein Fisch macht, und der deswegen gar kein richtiger Mensch ist." Der Lehrer vertieft diese Schüleräußerung durch den Hinweis auf die von Jesus gebotene Nächstenliebe (37). Es folgt eine Interpretation des "Fettstuhls" von Josef Beuys. Während hier das breit hingelagerte Fett für in sich ruhende, wohlstandsgesättigte Immanenz steht, wird der um die Stuhllehne geschlungene Draht in einer studentischen Arbeit unter Verweis auf entsprechende Äußerungen des Künstlers als Antenne für geistige und seelische Kräfte des Menschen interpretiert (38 ff.). Auch dem Environment "Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch" von J. Beuys weiß M. Korte unter Hinweis auf Andeutungen des J. B. eine christlichen Menschenbildern nahekommende Deutung zu geben (43 ff.). Unter der Überschrift "... als ob ein Himmlischer Gast im Orchester herumschliche" versucht Dietrich Steinbauer zu zeigen, wie, wann und wo Kunst "bewußt oder unbewußt aus der Wirklichkeit der Inkarnation lebt" (59 ff.). In Ps 84,3 (meine Seele verlangt und sehnt sich nach den Vorhöfen des Herrn) sieht Steinbauer den Grundzug jener künstlerischen Sehnsucht biblisch benannt, die jedem großen Werk zu Grunde liegt (97).

Dem schließt sich nahtlos der Beitrag von B. Höcker "Er führt mich ins Weite. - Zur Transzendenzerfahrung in zeitgenössischer Orgelmusik" an, der vor allem auf O. Messiaens Himmelfahrtszyklus abhebt (102 ff.). Im Zusammenklang dieser Stimmen kommt dem Beitrag von W. R. Walburg hohe Bedeutung zu, da er das Thema aus der Sicht der Geistigbehindertenpädagogik beleuchtet (106). Reicht Erschließung von Transzendenzerfahrungen auch in solche Bereiche hinein, oder muss diese hier kapitulieren? W. kann eine positive Antwort geben, die tief in dem von ihm erarbeiteten Grundverständnis geistiger Behinderung vorbereitet ist. Demnach ist die Behinderung nicht in erster Linie von den Defiziten her zu verstehen und anzugehen, vielmehr sind mit H. Bach vor allem die "offengebliebenen Möglichkeiten zu betonen". Das führt pädagogisch gesehen zu "basaler Kommunikation" bzw. "lebenspraktischer Erziehung" (107). Entsprechend wird "basales Lernen" zum methodisch-didaktischen Prinzip (108 ff.). Hier erweist sich bildnerisches Gestalten als Brücke zum Religiösen (115 f.), wobei der Symboldidaktik eine besondere Bedeutung zukommt (116 ff.). Es gehört zu den Glücksfällen dieser Veröffentlichung, dass im Folgenden das Symbolverständnis aus der Sicht der Tiefenpsychologie C. G. Jungs durch Irene Renz weitergeführt wird (121 ff.). Denn im Symbol schafft sich der Mensch die Möglichkeit, seinen Welterfahrungen "einen Sinn beizumessen" (122). So erscheint die Symbolisierungsfähigkeit des Menschen als konstitutiv für seine Selbstbehauptung in der Welt; zugleich hat sie als solche Transzendenzerfahrung erschließende Kraft (128 ff.).

Nahezu alle hier vertretenen Schwerpunkte finden ein spezifisches Echo, wenn der Hg. Ergebnisse "qualitativer Befragungen" in "offenen Interviews mit Hochschulangehörigen" präsentiert und reflektiert (144 ff.). Zum Thema "Kirche" belegt er den paradoxen Sachverhalt, dass zwar die "reale Wirklichkeit von Kirche verblaßt", aber gleichzeitig ihre psychische Repräsentanz fast übermächtig erscheint - allerdings durchaus negativ. Wie kommt es dazu? K. selbst verweist auf die entsprechenden Polemiken von Karlheinz Deschner; zu bedenken wäre hier m. E. aber auch stärker die Frage, ob sich in diesem "hochaktiven kollektiven Komplex" (145) nicht vor allem Züge einer wildgewordenen Kontroverstheologie abzeichnen, die auch die letzten Fesseln theologischen Anstandes gesprengt hat. Obwohl K. bei den Interviewpartnern auf eine narzistisch-hedonistisch getönte Religiosität stößt (155 f.), reflektiert er dies ansatzweise im Rahmen klassischer theologischer Entwürfe (156 f.) und warnt ausdrücklich davor, "die angetroffene Religiosität" ... "als eine defizitäre Manko-Religion" abzutun (157, bes. auch 177). - Schließlich ist die "Gläubigkeit" der Interviewten nicht schlankweg Unglaube, sondern ein anderer weiterbildungsfähiger und -bedürftiger Glaube (161). So schließt dieser Beitrag mit dem betonten Verweis auf entwicklungspsychologische Aspekte eines lebenslangen Lernens bei Fritz Oser, James Fowler, K. E. Nipkow (162) und auch E. H. Erikson (179), hinter denen der Hg. die Grundstrukturen "von Comenius' Bildungsidee [sic] einer über das irdische Leben hinausreichenden Pampaedia .../Ganzbildung" erkennt (163). Insgesamt bietet sich hier ein guter pädagogischer Anlass, den Konsensus der Kieler Stimmen weiterzudenken, der ja auch bei G. Bohne und H. B. Kaufmann- trotz aller Unterschiede - auf einen bemerkenswert einheitlichen Grundton gestimmt ist.