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Ausgabe:

September/2001

Spalte:

963 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Müller-Fahrenholz, Geiko

Titel/Untertitel:

Phantasie für das Reich Gottes. Die Theologie Jürgen Moltmanns. Eine Einführung.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 2000. 208 S. gr.8. Kart. DM 39,80. ISBN 3-579-02633-X.

Rezensent:

Michael Roth

Angesichts des umfangreichen Werkes Jürgen Moltmanns intendiert Müller-Fahrenholz, eine "Lesehilfe" (9) zu geben. Ziel des Buches ist es, anhand der Hauptwerke Moltmanns "die Grundzüge der Theologie Jürgen Moltmanns so prägnant wie möglich zur Sprache zu bringen" (10). Dies will der Vf. erreichen, indem er die persönlichen, ökumenischen und politischen Verhältnisse skizziert, in denen Moltmanns Schriften entstanden sind. - Das in 14 Kapitel gegliederte Buch lässt drei Hauptteile erkennen: In Kap. 1 (11-19) gibt der Vf. biographische Hinweise, Kap. 2-12 (20-184) bieten eine Darstellung der Hauptschriften Moltmanns und schließlich werden in Kap. 13-14 (185-206) Grundzüge der Theologie Moltmanns geschildert.

In Kap. 1 beabsichtigt der Vf., "die entscheidenden Kreuzungen in seinem [Moltmanns] Leben aufzusuchen, ... in denen präfiguriert ist, was sich erst später entfalten wird" (12): Weil Moltmanns Fragen nach Gott ihren Ausgang in seinen Erlebnissen als Luftwaffenhelfer in Hamburg und in der Kriegsgefangenschaft nehmen, sieht M.-F. die Grundzüge der Theologie Moltmanns in diesen Erlebnissen begründet: So geht es Moltmanns Theologie "nie um gelehrte Gedankenspiele, sondern um Leben und Tod" (14).

In den Kap. 2-12 werden die Hauptschriften Moltmanns dargelegt: Zunächst Moltmanns vier Programmschriften (Kap. 2-5), zu denen der Vf. neben "Theologie der Hoffnung", "Der gekreuzigte Gott" und "Kirche in der Kraft des Geistes" auch Moltmanns Schrift aus dem Jahre 1959 "Die Gemeinde im Horizont der Herrschaft Christi" rechnet, im Anschluss hieran Moltmanns Ansätze zu einer Ethik und Moltmanns Auseinandersetzung mit der Politischen Theologie (Kap. 6 u. 7), schließlich die in 5 Bänden erschienenen "Beiträge zur Systematischen Theologie" (Kap. 8-12). Hier geht der Vf. so vor, dass er jeweils in einem Kapitel ein Werk Moltmanns vorstellt, indem er an dem Text des jeweiligen Werkes entlang geht und in Zitaten Moltmann ausführlich zu Wort kommen lässt. Jeweils im Anschluss an die Darstellung gibt M.-F. eine Würdigung, die in Form von "Leseeindrücke[n]" (81 u. ö.) gehalten werden, die mitteilen, was den Vf. "erbaut" (150) hat, was er wichtig "finde[t]" (197 u. ö.), was er bei Moltmann "vermute[t]" (194 u.ö.) und zu finden "glaub[t]" (199 u. ö).

Abschließend versucht der Vf. in Kap. 13 u. 14 wesentliche Konturen des Werkes Moltmanns zusammenzufassen: M.-F. stellt fest, dass Moltmann seine Theologie als "ein engagierter Zeitgenosse" (185) entwickelt hat: "Er hat sich nie auf seinen ,Lehrstuhl' beschränkt, sondern sich immer wieder auf den Weg gemacht, um die Begegnungen mit Christen außerhalb der akademischen Welt zu suchen" (185). So ist Moltmanns Theologie als "genossenschaftlich" zu bezeichen, weil Moltmann "alle seine Bücher als ,Beiträge' für jene theologische Arbeit betrachtet wissen [will], die für ihn wie selbstverständlich zur ,Gemeinschaft der Heiligen' hinzugehört" (189). Hier schließt M.-F. eine grundsätzliche Kritik an die Rezeption des Moltmannschen Werkes an: "Warum hat kein Verlag oder eine andere Institution die Initiative ergriffen, ein Team von Theologen mit dem Plan zusammenzuführen, die Implikationen der jeweiligen Programmschrift zu entfalten? Warum blieb Moltmann mit seinen Programmschriften allein (190)"? Daher ruft M.-F. zum "Theologentum aller Gläubigen" (190) auf. Als vorbildlich in diesem Punkt bezeichnet der Vf. die Feministische Theologie, weil bei ihr die Akademien und Kirchentage die Basis für "ambulante Fakultäten" (192) bieten. So folgert der Vf.: "Wenn die leidenschaftliche Hoffnung auf das kommende Reich Gottes sich in der Mitleidenschaft für Arme und Ratlose bewährt, dann müsste sich dies auch in Sprache und Stil der Darstellung widerspiegeln. Je ,höher' der Gegenstand, desto persönlicher müsste die Bezeugung sein. Nicht der lehrhafte und deduzierende Stil der akademischen Vorlesung entspricht der Reichweite der Hoffnung, sondern eine Sprache, welche die persönlichen Fragen und Anfechtungen zu Worte kommen läßt" (198). Gerade Moltmanns Theologie leistet dies: "Moltmanns Phantasie will die Einbildungskraft fördern und nicht in einem Apparat an Gelehrsamkeit erdrücken" (202). So ist Moltmanns Theologie als "Einladung zum Tanz der Gedanken" (202) zu lesen.

M.-F. schildert seine persönliche Begegnung und Auseinandersetzung mit Moltmanns Werk, eine Einführung in die Theologie Jürgen Moltmanns bietet M.-F. jedoch nicht. Eine solche kann nur Ergebnis einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung sein, auf die M.-F. jedoch bewusst verzichtet, weil er nicht "Experte genug" (9) ist. Eine "Einführung" bedarf aber eines solchen Experten und der Leser darf einen solchen verlangen. Bei der Lektüre des Buches drängt sich eine Frage auf: Wie kommt es, dass einem Theologen die beidseitige Berechtigung sowohl der wissenschaftlichen Artikulation des Glaubens mit dem "höchst mögliche[n] Grad der Bestimmtheit" (D. F. E. Schleiermacher) als auch der persönlichen Bezeugung des Glaubens verborgen ist und er zu persönlicher Bezeugung statt "lehrhafte[m] und deduzierende[m] Stil der akademischen Vorlesung" aufruft und den Sprachstil des Kirchentages gegen die wissenschaftliche Artikulation ausspielt, dem die theologische Fakultät verpflichtet ist? Die unterschiedlichen Funktionen von theologischer (und damit wissenschaftlicher) Literatur und Erbauungsliteratur werden von M.-F. ignoriert. Mir fällt es schwer die Bezeichnung "Tanz der Gedanken" als Lob eines wissenschaftlichen Werkes zu begreifen.