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Ausgabe:

September/2001

Spalte:

961–963

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Moltmann, Jürgen

Titel/Untertitel:

Erfahrungen theologischen Denkens. Wege und Formen christlicher Theologie.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/ Gütersloher Verlagshaus 1999. 304 S. gr.8. Geb. DM 88,-. ISBN 3-579-02632-1.

Rezensent:

Hans-Peter Großhans

Bereits Karl Barth hatte angeregt, dass Prolegomena zur Dogmatik mehr eine "Ausleitung aus der als eine Einleitung in die Arbeit der Dogmatik" sein müssten (KD I/1, 28). Jürgen Moltmann hat nun Epilegomena zu seinem dogmatischen Gesamtwerk vorgelegt, um Rechenschaft zu geben über die Wege, die er darin gegangen ist, und um die Methoden und Formen darzustellen, die die Theologie heute verwenden sollte. Da die Methode seiner Theologie "erst im Gehen" (11) entstand, leitet er die einzelnen Abschnitte der vier Teile des Buches immer mit Berichten über persönlich-biographische und politisch-kontextuelle Aspekte seines theologischen Weges ein, die sein Buch auch zu einem hochinteressanten Beitrag zur neuesten Theologie- und Kirchengeschichte machen.

Im ersten Teil erörtert M. die Frage: "Was ist Theologie?" (19-84). Nach M. sind "alle Christen ..., die glauben und sich etwas dabei denken" Theologen. Dieses "allgemeine Theologentum aller Glaubenden" (25) ist jedoch nicht nur auf die Gemeinschaft der Glaubenden bezogen. Deshalb ist zu erwägen, ob nicht auch "jeder Ungläubige, der sich bei seinem Atheismus und seiner Entscheidung zum Unglauben etwas denkt, ein Theologe" sei (28). Und deshalb verlangt "die Säkularität einer multireligiösen Gesellschaft von christlichen Theologen" (30) vor allem Dialogfähigkeit und Dialogwürdigkeit. Zu einem wahren Theologen bzw. einer wahren Theologin wird man nach M.s Auffassung nur durch das Leiden und die Lust an Gott. Theologie ist zwar auch eine Wissenschaft, die belehrt. Zugleich soll sie aber eine Weisheit sein, "die aus Gotteserfahrung klug macht" (34) und an dem "lustvollen Liebesspiel der göttlichen Weisheit, die alles Geschaffene durchdringt" (35) teilnimmt. Theologie ist ein notwendiger Teil des christlichen Gottesglaubens und seines existentiellen Vollzugs in der in einer säkularisierten und multireligiösen Welt existierenden Gemeinschaft der Glaubenden.

Im Blick auf ihre Eigenschaften und Funktionen erörtert M. die Theologie als auf die geschichtlichen Gotteserfahrungen bezogene "geschichtliche Theologie", als auf Jesus Christus bezogene und das (vernünftige) Verstehen des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe suchende "christliche Theologie", sowie als "natürliche Theologie", derer die christliche Theologie bedarf, um sich "als theologia publica der Öffentlichkeit präsentieren" zu können (69). Gerade auch dann, wenn die christliche Theologie von der Offenbarung der Neubestimmtheit aller Menschen und der Schöpfung insgesamt in Jesus Christus ausgeht, wird sie nach M.s Auffassung "aus ihrer eigenen eschatologischen Theologie ... eine neue ,kreatürliche Theologie' entwerfen und aus ihr eine eigene ,natürliche Theologie'" (82). Eine solche natürliche Theologie hält M. für notwendig als kritische Instanz gegenüber allen Formen religiöser Überlieferung und als Rahmen für die Zusammenarbeit mit anderen Religionsgemeinschaften und Weltanschauungen, vor allem aber mit Naturwissenschaften und Technologien.

Wird Theologie als Teil des Glaubensvollzugs verstanden, dann kann sie nach M.s Überzeugung auch nicht der "Eule der Minerva" folgen und nur das Grau in Grau einer alt gewordenen Gestalt des Lebens beschreiben wollen. M. folgt auf seinen dogmatischen Wegen deshalb lieber der "Lerche der Morgendämmerung ..., die die Gestalt des Lebens dadurch ,verjüngt', daß sie die Möglichkeiten des neuen Tages in Verheißungen ankündigt" (100). Im zweiten Teil des Buches werden unter der Überschrift "Hermeneutik der Hoffnung" (85-165) einige Grundbegriffe der "Theologie der Hoffnung" geklärt, die für diesen von der Lerche der Morgendämmerung gewiesenen Weg zentral sind, wie z. B. Verheißung, Bund, Hoffnung, Zukunft, sowie einige erkenntnistheoretische und hermeneutische Grundprobleme diskutiert. Mit dieser "Hermeneutik der Hoffnung" will M. "nicht die gegebene Wirklichkeit ... ,deuten', sondern die Verheißungen Gottes auslegen, aus der heraus die erweckte Hoffnung Menschen in den Möglichkeiten der Geschichte schöpferisch ,lebendig macht'" (85). Um die Hoffnung des christlichen Glaubens und die ihr zu Grunde liegende gegenwärtige Wirksamkeit des dreieinigen Gottes verstehen zu können, erläutert M. zuerst die "Logik der Verheißung" ( 1). Sodann folgt eine "geschichtliche Hermeneutik" ( 2), in der die von den Verheißungen des dreieinigen Gottes eröffnete Geschichte im Mittelpunkt steht, und eine "trinitarische Hermeneutik der ,Heiligen Schrift'" ( 3), in der es um das Verstehen des durch die Heilige Schrift geschehenden lebensschaffenden Wirkens des göttlichen Geistes geht. Eine "theologische Erkenntnistheorie" ( 4) beschließt den zweiten Teil des Buches.

Wie die Hoffnung auf den dreieinigen Gott und sein Reich Menschen in der Geschichte dieser Welt schöpferisch lebendig macht, versucht M. im dritten Teil exemplarisch an vier "Befreiungstheologien" unter der Überschrift "Spiegelbilder befreiender Theologie" (166-265) zu zeigen. Die von ihm auf Grund persönlicher Nähe ausgewählten, in bestimmten Kontexten entstandenen theologischen Bewegungen sind befreiende Theologien der Unterdrückten, die sich kritisch mit der Ersten Welt auseinandersetzen. Und nur in ihrem kritischen Bezug "auf die herrschenden Unterdrücker, Ausbeuter und Entfremder" und damit "in ihrer kritischen und befreienden Relevanz für die Welt" (166) fasst M. diese Befreiungstheologien in den Blick. So wird "Schwarze Theologie für Weiße" ( 2), "Lateinamerikanische Befreiungstheologie für die Erste Welt" ( 3), "Minjung-Theologie für die herrschenden Klassen" ( 4) und "Feministische Theologie für Männer" ( 5) dargestellt. Interessant werden seine Ausführungen vor allem dann, wenn er in die kritische Diskussion mit diesen Theologien eintritt (insbesondere in dem abschließenden Abschnitt 6).

Im vierten Teil (266-290) widmet sich M. unter der Überschrift "Im ,weiten Raum' der Trinität" dem Glauben an den dreieinigen Gott und damit der Frage, was ihn auf seinen theologischen Wegen letztlich bewegt und in welchem Horizont er seine Wege verortet. M. will zeigen, dass der Glaube an den dreieinigen Gott sowohl Gott und seinem Verhältnis zur Welt entspricht als auch dem Leben besser zu Gute kommt als moralisierende oder autoritäre Gottesvorstellungen. M. ist mit dem Glauben an den dreieinigen Gott im Zentrum seines theologischen Denkens: es wird deutlich, wie sehr seine soteriologischen, aber auch seine politischen Vorstellungen von seinem Verständnis des Glaubens an den dreieinigen Gott her bestimmt sind. Wie Gott im perichoretischen Zusammenwirken der drei göttlichen Personen existiert, so zeichnet sich auch befreites, heilvolles Leben im weiten Raum des dreieinigen Gottes durch einen Reichtum an Beziehungen aus. Die soteriologische Relevanz des Glaubens an den dreieinigen Gott besteht dann geradezu darin, dass Individuen zu beziehungsfähigen Personen werden, die sich an der Ausbildung neuer Sozialität beteiligen.

M.s Theologieverständnis ist von einer Theologie, die sich als Christentumsgeschichte versteht, sich in theologiegeschichtlichen Erörterungen erschöpft oder eine konfessionelle Tradition repristinieren will, ebenso weit entfernt wie von solchen metatheologischen Konzeptionen, die Theologie auf Religionswissenschaft oder Religionsphilosophie reduzieren. Seine Theologie will Teil sein von Glaube, Kirche und Leben. Er will den christlichen Glauben nicht nur auf den Begriff bringen, sondern die auf die Verheißungen Gottes gegründete Hoffnung auf das gegenwärtig und zukünftig in der Geschichte der Welt neues Leben ermöglichende und schaffende Wirken des dreieinigen Gottes verstehen und explizieren. Seine theologischen Wege wollen der Dynamik der Verheißungen des dreieinigen Gottes in der Geschichte der Welt folgen und von ihr reden. Das Kriterium für die von M. beschriebenen Wege und Formen christlicher Theologie besteht darin, ob sie der Lebendigkeit des dreieinigen Gottes und seinem Verhältnis zur Welt entsprechen. An diesem Kriterium hat M. die methodische und formale Reflexion seiner Theologie konsequent orientiert und in meisterhafter Souveränität den theologischen Stoff gestaltet.