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Ausgabe:

September/2001

Spalte:

959 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Klein, Christoph

Titel/Untertitel:

Wenn Rache der Vergebung weicht. Theologische Grundlagen einer Kultur der Versöhnung.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999. 288 S. gr.8 = Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, 93. Kart. DM 84,-. ISBN 3-525-56300-0.

Rezensent:

Ulrich Kühn

Bei dieser Monographie des Bischofs der Evangelischen Kirche A. B. von Rumänien (in Siebenbürgen) - früherem Ordinarius für Systematische Theologie in Hermannstadt - handelt es sich um die auf einem Vorlesungszyklus beruhende zusammenfassende Darstellung eines den theologischen und kirchlichen Weg des Vf.s wie ein roter Faden durchziehenden Themas. Das Thema "Versöhnung" hat einen mehrfachen bedeutsamen Ort in der Biographie von Christoph Klein. Die Siebenbürgische Kirche kennt eine alte, auf ihre mittelalterlichen Anfänge zurückreichende spezifische "Kultur der Versöhnung", in der der Vf. selbst beheimatet ist und die in seinem Buch immer wieder thematisiert wird (zusammenfassend etwa: 22-25). Sodann ist der Dienst von K. inmitten der politischen Bedrängnis im kommunistischen Rumänien, an einer der Schnittstellen der ethnischen und konfessionellen Vielfalt in seinem Lande, darüber hinaus infolge seiner Auftrags, die Grenzen von Ost nach West ständig zu überschreiten, ohne sich vom Auftrag in Siebenbürgen selbst abzuwenden, notwendigerweise ein vielfältiger Dienst der Versöhnung gewesen. Schließlich ist es die langjährige engagierte Mitarbeit in der ökumenischen Bewegung - als Mitglied der ÖRK-Kommission für Glauben und Kirchenverfassung -, die ihm das ökumenische Anliegen und Ziel einer "Einheit in versöhnter Verschiedenheit" der Christen zum eigenen Lebensanliegen hat werden lassen.

Im I. Hauptteil "Das Zeugnis von der Versöhnung" (29-115) stellt der Vf. an biblischen Zeugnissen dar, wie Gottes versöhnendes Handeln den Impuls zwischenmenschlicher Versöhnung aus sich heraus setzt. Der rechtliche, der kultische und der christologische Aspekt des in der Heiligen Schrift geschilderten Versöhnungshandelns begreifen in sich die Versöhnung mit Gott ("vertikale Dimension"), die Versöhnung mit dem Mitmenschen ("horizontale Dimension") sowie die Versöhnung mit sich selbst ("subjektive Dimension"). Als ethische Probleme ergeben sich hier das Verhältnis von Versöhnung und Gerechtigkeit sowie die Opfer- und Täterproblematik, wobei Versöhnung immer als Prozess zu begreifen ist.

Auf dem Hintergrund dieser biblischen Orientierung wird in einem II. Hauptteil der "Dienst der Versöhnung" systematisch entfaltet (117-201): im Vorgang "weltlicher" Konfliktlösungen (mit ihren psychologischen, soziologischen und rechtlichen Problemen); als Versöhnungsgeschehen innerhalb der Kirche, wobei die ökumenische Bewegung als "Dienst der Versöhnung der Kirche" ein "Testfall versöhnten Lebens" ist (153); als "Versöhnungsdienst der Kirche in der Welt", wofür der Vf. u. a. die soziale Seite des Bußsakraments in seiner altkirchlichen Gestalt anführt, sodann aber für die Gegenwart solchen notwendigen Dienst am Beispiel der Friedensfrage und der Verantwortung gegenüber der Schöpfung entfaltet. In diesem Teil schlagen die kirchenleitenden Erfahrungen des Vf.s inmitten einer totalitär verwalteten Gesellschaft wie auch seine vielfältigen ökumenischen Erfahrungen besonders zu Buche.

Im III. Hauptteil "Die Feier der Versöhnung" (203-267) klingt demgegenüber noch einmal die alte siebenbürgische Versöhnungskultur an, wie sie sich etwa im "Richt- und Sittag" als Tag des ",Gericht-Haltens' innerhalb der Nachbarschaft einer Gemeinde" darstellt (258). Dieser Hauptteil, der für den Vf. - in der Dreiheit von "martyria" (Teil I), "diakonia" (Teil II) und "leiturgia" (Teil III) - "der Höhepunkt und das Eigentliche, Wichtigste und alles Umfassende" ist (17), greift auch noch einmal auf das altkirchliche Bußinstitut zurück, schildert sodann die Versöhnungsdimension in Taufe, Eucharistie und Wortverkündigung der Kirche und lässt die Gedanken des Buches in einem Abschnitt über das "Fest der Versöhnung" - u. a. mit Hinweis auf die Lima-Liturgie - zum Ziel kommen.

Es ist das Verdienst von K., in diesem Buch zu einem überzeugenden Ganzen gestaltet zu haben, was im Einzelnen in Bibelwissenschaft, Systematischer Theologie, Ökumene, Kirche und auch im weltlichen Handeln im 20. Jh. immer wieder thematisiert wurde. Die Herausarbeitung der vertikalen und der horizontal-mitmenschlichen Dimension gerade auch am altkirchlichen Buß-Vollzug stellt einen wichtigen evangelischen Beitrag einer neuen Sicht des Buß-Sakraments dar, wie sie sonst fast nur im katholischen Raum zu beobachten ist (vgl. bes. die Arbeiten von Hugo und Karl Rahner zur Geschichte des Bußsakraments sowie die liturgischen Bemühungen um eine gemeinschaftliche Feier der Buße). Dass dem eine alte und eigentlich bis heute lebendige Praxis der Siebenbürgischen Kirche entspricht, zeigt deren wichtiger Beitrag zum Thema "Feier und Kultur der Versöhnung" für die ganze Christenheit. Interessant und einleuchtend ist der Hinweis des Vf.s auf die "subjektive Dimension der Versöhnung" als Versöhnung mit sich selbst (89), was durchaus auch eine Illustration aus Sicht der Psychologie verdient hätte (wie der Vf. sie bei der Frage der Konfliktbewältigung vornimmt: 121 ff.). Eine Frage ergibt sich für mich auch an die Entscheidung des Vf.s, die "Feier der Versöhnung" als Schluss- und Höhepunkt zu behandeln, statt sie vor den "Dienst der Versöhnung" zu stellen, der ja immer neu aus den liturgischen Vollzügen - als Vollzügen "unterwegs" - entspringen sollte. Was eine persönliche, kirchliche und gesellschaftliche "Kultur der Versöhnung" sein könnte, tritt in diesem Buch, das durch Literaturverzeichnis und Register zusätzlich erschlossen wird und insgesamt wichtige theologische Impulse für die Praxis unserer Kirchen gibt, eindrucksvoll vor Augen.