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Ausgabe:

September/2001

Spalte:

947–949

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Felber, Stefan

Titel/Untertitel:

Wilhelm Vischer als Ausleger der Heiligen Schrift. Eine Untersuchung zum Christuszeugnis des Alten Testaments.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999. 414 S. gr.8 = Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, 89. Geb. DM 89,-. ISBN 3-525-56296-9.

Rezensent:

Christoph Dohmen

Der Titel der vorliegenden Dissertation (1997 bei der Theologischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) deutet schon die beiden Brennpunkte der Ellipse an, die von ihr erfasst werden: Person und Werk Wilhelm Vischers und die Frage einer christologischen Auslegung bzw. eines christlichen Verständnisses des Alten Testaments.

Wie ein Mantel hat der Vf. wichtige Aspekte zu Person und Werk Wilhelm Vischers um seine Arbeit gelegt. Da ist zuerst der ausführliche biographische Teil (17-145) zu nennen, der erstmalig den theologischen Weg Vischers mit vielen Details und tiefgründigen Deutungen darlegt. Sodann muss auf die das Werk abschließende zur Vollständigkeit hinstrebende "Vischer-Bibliographie" (357-375) verwiesen werden, die nicht nur die veröffentlichten Werke Vischers enthält, sondern auch noch nach Bibelstellen geordnete Predigten und Predigtmeditationen aus dem Nachlass auflistet; sie wird zudem durch eine Reihe von Rezensionen, Briefen und Arbeiten über Wilhelm Vischer ergänzt.

Für die Darlegung der zentralen Gedanken und Positionen Vischers legt F. ein klar gegliedertes und instruktives Konzept vor: Ausgehend von Vischers Hauptthesen zur Auslegung der Heiligen Schrift (2.1) kommt er über die Frage nach einer theologischen Entwicklung Vischers (2.2.) zum Christuszeugnis des Alten Testaments, dessen Grundlagen und Bedeutung für den christlichen Glauben behandelt werden (2.3), bevor er schließlich das Zentrum mit den Stichworten "Heilige Schrift - Methode - Theologie" (2.4) entfaltet, um hier aus dem Kontext heraus Vischers Hauptthese zu entwickeln: Jesus ist der Christus des Alten Testaments. Im Blick auf die beiden Teile der christlichen Bibel besagt diese Hauptthese "wer wissen will, was der ,Christus' ist, wird vom Neuen Testament auf das Alte verwiesen. Wer wissen will, wer er ist, wird vom Alten auf das Neue Testament verwiesen" (185). Von hier her arbeitet F. schließlich glänzend die Konturen des Ansatzes von Wilhelm Vischer dadurch heraus, dass er Vischer mit anderen Theologen konfrontiert, um anhand von markanten Positionsbestimmungen die Leistung, so wie auch die Grenzen der theologischen Konzeption von Vischer herauszuarbeiten (2.5).

Die Auflistung der Zwischenüberschriften dieses Kapitels steckt den Rahmen des Feldes ab, das hier beackert wird: Vischer und Johannes Calvin: Das Verhältnis der Testamente und die Christusbegegnung im Wort; Vischer und J. C. K. v.Hofmann: Die Frage der weissagenden Geschichte; Vischer und Franz Delitzsch: Fortschritt der Offenbarung und der Heilserkenntnis?; Vischer und Gerhard von Rad: Doketismus und Geschichtlichkeit - Personal- oder Realpräsenz Jesu im Alten Testament?; Vischer und Walter Eichrodt: Christuszeugnis oder Theologie des Alten Testaments?; Reaktionen auf Vischers Theologie; Vischer und Brevard S. Childs: Christuszeugnis und Biblische Theologie.

Mehr als eine zusammenfassende Auswertung stellt dann das folgende dritte Kapitel dar, das unter der Überschrift "Zusammenfassung und Beurteilung" die Fragestellung, die sich aus Vischers Positionen und auch aus der Kritik an ihnen ergeben, aufgreift. Ausgehend vom zuvor Erarbeiteten stellt F. sich im Diskurs mit Vischers Positionen wichtigen Punkten "der Beziehung des christlichen Glaubens zum Alten Testament" (14), wie er sie als Ziel der Arbeit in der Einleitung angekündigt hat.

Insgesamt gelingt es F., ein gutes Fundament zu legen, um Vischers Position im Horizont seiner Zeit für heute verständlich werden zu lassen. Zahlreiche Beispiele dokumentieren, womit Vischer sich auseinander zu setzen hatte, wenn er immer wieder betonte, dass es ohne das Alte Testament kein Christentum geben kann. Die Einheit von Altem und Neuem Testament als grundsätzliche theologische Problematik des Christentums zu behandeln und die Frage nach dem Judentum angesichts des Antijudaismus der Deutschchristen und des nationalsozialistischen Antisemitismus zu stellen, muss zum Verstehen und Anerkennen Vischers als mutiges und richtiges Zeugnis wahrgenommen werden, zumal Vischer sich aus theologischen - bzw. christologischen - Gründen für die Solidarität mit den Juden ausgesprochen hat, weil Jesus Jude war, so dass es Gott selbst sei, der die Judenfrage stelle (vgl. 54). Dass Vischer damit einen für die innerchristliche Perspektive wichtigen Punkt herausgestrichen hat, ist ebenso klar, wie schon der 1939-1940 mit Schalom Ben Chorin geführte kurze Dialog zeigt (vgl. 117 ff.), dass Vischers Urteil über das "Alte Testament" in keiner Weise auf die "Jüdische Bibel", d. h. das Verstehen dieser Schrift im Judentum, übertragbar ist.

Die in zehn Thesen (vgl. 149 f.) von Felber zusammengefasste Theologie Vischers lässt die Grenzen seiner alttestamentlichen Hermeneutik deutlich erkennen.

Gegenüber Vischer arbeitet Felber mit einem unbiblischen Erfüllungsbegriff und greift auf problematische Kategorien zurück, wenn er Begriffe wie "Steigerung" oder "Neuheit" zur Verhältnisbestimmung der Testamente heranzieht (z. B. 324 ff.). Wenig glücklich ist aber auch, dass F. gerade den Hebräerbrief benutzt, um Vischers These der Identität aller biblischen Bünde zu kritisieren (328-331), denn der Hebräerbrief ist gerade in dieser Frage viel zu komplex und kompliziert, als dass man ihn auf wenigen Seiten diesbezüglich behandeln könnte.

In welche Richtung F. den Ansatz Vischers weiterdenkt wird in seiner Zusammenfassung, die er vor allen Dingen in Frageform formuliert, deutlich (348-355). Das, was im Mittelpunkt der Kritik an Vischers Christuszeugnis gestanden hat, die einförmige und ausschließliche Perspektive des Verstehens des Alten Testamentes vom Neuen Testament her (christologisch), wird letztendlich von F. noch verstärkt. Dabei werden zentrale - für heute unaufgebbare - Aspekte christlicher Bibelhermeneutik vernachlässigt, bzw. aufgegeben, die aber gerade von Vischers Ansatz her weiterentwickelt werden könnten: Zum einem betrifft es die hermeneutische Grundoption der christlichen Bibel, deren - auch durch die Begrifflichkeit von AT und NT - festgelegte Anordnung die Interpretation fordert, dass das Neue Testament im Lichte des Alten (und nicht umgekehrt!) verstanden wird. Zum anderen kann und darf eine christliche Hermeneutik nicht ausblenden, dass das christliche Alte Testament zuvor schon Heilige Schrift des Judentums gewesen ist und dies auch weiterhin bleibt. Ein Christuszeugnis des Alten Testamentes, das den doppelten Ausgang der Bibel Israels im Judentum und Christentum unberücksichtigt lässt oder gar durch Ablösungs-, Enterbungs- oder Beendigungstheorien leugnet, wird zur bloßen Idee.

Trotz dieser Kritik bleibt, dass F. einen wichtigen Beitrag zur christlichen Bibelhermeneutik vorgelegt hat, indem er zentrale Fragen einer christlichen Interpretation des Alten Testamentes aufgeworfen hat und durch sein Werk dazu einlädt, sich erneut und vertieft mit dem "Christuszeugnis" Wilhelm Vischers auseinander zu setzen.