Recherche – Detailansicht
Ausgabe: | September/2001 |
Spalte: | 943 f |
Kategorie: | Kirchengeschichte: Mittelalter |
Autor/Hrsg.: | Roth, Ulli |
Titel/Untertitel: | Suchende Vernunft. Der Glaubensbegriff des Nicolaus Cusanus. |
Verlag: | Münster: Aschendorff 2000. XXIV, 314 S., gr. 8 = Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, NF 55. Kart. DM 86,-. ISBN 3-402-04006-9. |
Rezensent: | Karl-Hermann Kandler |
Die Theologie des Nikolaus von Kues (NvK) erregt immer stärker das Interesse der Cusanus-Forschung, auch wenn Kurt Flasch in seinem Buch "Nikolaus von Kues. Geschichte einer Entwicklung" (vgl. ThLZ, 124, 1999, 410 ff.) das Gegenteil zu erwecken versucht. Könnte man sich darauf einigen, dass NvK eine "philosophische Theologie" entwickelt hat, ohne sein Denken in falscher Weise harmonisieren zu wollen? Über sie wird im Cusanus-Gedenkjahr 2001 (600. Geburtstag dieses bedeutenden Denkers zwischen Mittelalter und Neuzeit) noch manches veröffentlicht werden.
In der Einleitung gibt Roth einen Forschungsbericht (1-14), der nur eine kleine Auswahl der zu berücksichtigenden Literatur aufführt. Gerade weil für NvK der Glaube "initium intellectus" ist, hat jeder, der sich mit seinem Denken befasst, sich auch mit seinem Glaubensverständnis als dem "Kern seines Denkens überhaupt" zu befassen. Diesen Kern seines Denkens hat vor allem Rudolf Haubst erschlossen, nämlich dass dieser Kern das Verhältnis von Vernunft und Glaube und nicht das Verhältnis von Natur und Gnade ist. R. sieht den Glauben "primär auf die Inkarnation als Schöpfungszentrum ausgerichtet" (9). Er legt eine Untersuchung der Schriften vor, die zum Glauben Stellung nehmen: Predigten, De docta ignorantia, De pace fidei, De visione Dei und De Possest. Es ist noch auf die wichtige Passage in De ludo globi I, n. 53 f. hinzuweisen, wo NvK von der "fides vera" spricht; was er darunter versteht, hat er vorher ausgeführt: "... in quo per fidem est spiritus filii dei Iesu Christi".
Dass sich R. im 1. Hauptteil "Der Glaube in De docta ignorantia" (15-169) zuerst seinem Hauptwerk zuwendet, ist sicher gerechtfertigt. Hier fällt der Ausdruck, auf den der Vf. zu Recht seine o. a. These baut, dass nämlich "der Glaube in sich alles Erkennbare einschließt; die Vernunft (-erkenntnis) aber ist Ausfaltung des Glaubens"1. Dieser Glaube ist der trinitarische. Für diese Bestimmung braucht NvK gar nicht das Schriftzeugnis, vielmehr bestätigt die Offenbarung die Trinität, die er philosophisch in den Begriffen unitas - aequalitas - conexio ausgedrückt findet. So sehr der Glaube der trinitarische ist, so sehr ist Jesus Christus der Inhalt des Glaubens, da De docta ignorantia eindeutig auf den christologischen Höhepunkt in Buch III zielt. Dieser wiederum hat seine Mitte in der Rechtfertigung als Gottes größtem Werk, "da die Teilhabe am Göttlichen alles Geschaffene bei weitem übertrifft" (75): Jesus Christus ist die Vollkommenheit und das Ziel jedes Menschen. Man hätte sich angesichts seines Themas von R. eine umfassendere Berücksichtigung der Rechtfertigungslehre bei NvK gewünscht. Dieser Wunsch ist sachgemäß, weil NvK ihr für das 15. Jh. in der Tat eine erstaunliche Bedeutung zuerkennt (s. u.). Dabei würde deutlicher, dass, wie der Vf. zu Recht hervorhebt, im Grunde genommen die belehrte Unwissenheit Glaube ist (121). Wenn zwar vorsichtig R. Jesus und nicht die Trinität als Ziel allen Erkenntnisstrebens, bezeichnet, so ist das eine Alternative, die so für NvK sicher nicht besteht (131 f.). Zu wünschen wären Ausführungen darüber, inwieweit das Axiom von der "fides caritate formata" wirklich das cusanische Glaubensverständnis wiedergibt (146, vgl. aber 209).
Der 2. Teil "Der Glaube in späteren Werken" (171-260) ist den anderen Werken gewidmet. In De pace fidei verwendet NvK stark das Praesuppositionsprinzip: Das ist seine Beweismethode, in der Fragen das darin Vorausgesetzte explizieren (184). Diese Schrift wird falsch verstanden, wenn sie als aufklärerische Toleranzschrift verstanden wird. In ihr geht es NvK vielmehr darum, den christlichen Glauben als die "fides orthodoxa" zu erweisen: "Denn weil die Wahrheit eine ist und weil es nicht sein kann, dass sie nicht durch jeden freien Verstand erfasst werden kann, ist jede Verschiedenheit der Religionen zum einen orthodoxen Glauben hinzuführen"2. Leider geht Roth auf diese wichtige Stelle nur in einer Fußnote ein (176), während er zurecht Heinemann kritisiert (188), der behauptet, nach NvK würden "alle Religionen unendlich von der ewigen Wahrheit abweichen"3. Genau das Gegenteil ist der Fall! Das wird daran deutlich, dass der Glaube (Abrahams ihn) rechtfertigt.4 Dieser Glaube ist keine fides caritate formata, sondern die Rechtfertigung erfolgt sola fide (208). Nach De visione Dei beschreibt der christliche Glaube "kondensiert in den beiden Hauptdogmen Trinität und Inkarnation gerade die einzige Möglichkeit einer Schau Gottes" (235). Wenn auch NvK keine "abgeschlossene Theologie des Glaubens ausgearbeitet hat", so hält er doch auch in anderen Schriften an den dargelegten Grundgedanken fest (236). Die ihm wichtige Christusförmigkeit liegt für ihn im Glauben, "in der Fähigkeit, Endliches und Unendliches zu verbinden".
Erst im 3. Hauptteil "Der Glaube im Predigtwerk" (261-312) geht der Vf. auf die Predigten ein. Wenn er auch darauf hinweist (261), dass seine fast 300 Predigten sich auf einen Zeitraum von 34 Jahren erstrecken, etliche also bereits vor De docta ignorantia ausgearbeitet wurden, so entsteht durch die zusammenfassende Behandlung der Eindruck, als sei hier keine Entwicklung zu finden. Man hat das Gefühl, als sei dieses letzte Kapitel etwas flüchtig geschrieben.
Die Maria-Magdalenen-Predigt von 1444, für seine Rechtfertigungslehre von zentraler Bedeutung, wird zwar mehrfach erwähnt, aber nicht ausgewertet, betont doch gerade sie das sola fide. In ihr wird Christus als der rettende Glaube bezeichnet:
"Christus, der die Sünden vergibt, war somit der rettende Glaube. Christus hilft also nicht, man glaube denn, er sei der Erlöser" bzw. "Christus ist der Glaube, der selig macht"5 (vgl. jedoch 311). Dagegen hebt er richtig hervor, dass man zur Gottessohnschaft nur durch Christus gelangt: "Durch den Glauben bekommen die Menschen an der höchsten Sohnwerdung Jesu Anteil" (292), ebenso, dass NvK den Glauben Jesu in einigen Predigten in das Zentrum rückt (310). Das wirkt sich auf den Glaubenden aus: "Die Vereinigung mit Gott in Jesus Christus ist so innerlich und von Cusanus so sehr als Einung gedacht, dass der rettende Glaube nicht mehr von ihm getrennt sein darf, was die Rettung vollbringt, nämlich die Menschwerdung Gottes" (312).
R. hat gewiss eine sorgfältig erarbeitete und den cusanischen Glaubensbegriff weithin erfassende Untersuchung vorgelegt, doch sie lässt leider auch wichtige Aussagen zum Thema aus.
Fussnoten:
1) De docta ignorantia, III, 11, in: h III, 11, 244 (= PhB 264c,74/75).
2) De pace fidei III, n. 9, h VII, 10: "... veritas ... Quae cum sit una, et non possit non capi per omnem liberum intellectum, perducetur omnis religionum diversitas in unam fidem orthodoxam."
3) W. Heinemann: Einheit in Verschiedenheit, Altenberge 1987, 181 (vgl. ThLZ, 113, 1991, 194 f.).
4) De pace fidei, XVI, n. 55, 52. Vgl. E. Iserloh: Reform der Kirche bei Nikolaus von Kues, in: MFCG IV, Mainz 1964, 54-73 (bes. 69); K. H. Kandler: Unsere Rechtfertigung besteht nicht aus uns, sondern aus Christus. Die Rechtfertigung des Sünders bei Nikolaus von Kues, in: LuThK 23, 1999, 49-61.
5) Sermo LIV. In die Mariae Magdalenae (22.7.1445?), h XVII/3, 249-265, bes. n. 18 f., 259 f.: "... fides, quae eam salvam fecit: Christus, qui peccata dimisit. Christus igitur non salvat, nisi credatur ipsum esse Salvatorem" bzw. "..., ut Christus sit fides, quae salvat".