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Ausgabe:

September/2001

Spalte:

936–938

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Faupel-Drevs, Kirstin

Titel/Untertitel:

Vom rechten Gebrauch der Bilder im liturgischen Raum. Mittelalterliche Funktionsbestimmungen bildender Kunst im Rationale divinorum officiorum des Durandus von Mende (1230/1-1296).

Verlag:

Leiden-Boston-Köln: Brill 2000. XVII, 432 S. gr.8 = Studies in the History of Christian Thought, 89. Lw. hfl 176,30. ISBN 90-04-11315-0.

Rezensent:

Volker Leppin

Man muss Hans Beltings großem Wurf "Bild und Kult" von 1990 nicht zustimmen, um über die Ungerührtheit zu staunen, mit der die vorliegende Mainzer Dissertation an ihm vorbeigeht. Gerade die Frage nach der religiösen Funktion des Bildes, der Faupel-Drews anhand eines mittelalterlichen Autors nachgeht, steht ja auch im Mittelpunkt von Beltings Überlegungen zu einer spätantiken und mittelalterlichen Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst. Dass Beltings Opus magnum in einer Fußnote auf S. 258 marginalisiert wird, ist aber bezeichnend für eine Arbeit, die zwar einen historischen Gegenstand bearbeitet, aber nicht aus genuin historischem Interesse.

Die von dem verstorbenen Mainzer Praktischen Theologen Rainer Volp betreute Dissertation nämlich nimmt ihren mittelalterlichen Gegenstand lediglich als Exempel in den Blick, das Hilfestellung in aktuellen Auseinandersetzungen um "Kunst und Kirche" bieten soll (4-13). Dass der moderne Kunstbegriff nicht einfach ins Mittelalter projiziert werden kann, wird zwar von F.-D. verschiedentlich erwähnt; aber die damit eigentlich unausweichliche Infragestellung ihres ganzen Projektes wird mit einem knappen Exkurs (5 f.), der die von Belting gesetzten argumentativen Standards auch nicht annähernd tangiert, abgefertigt.

Lässt man sich von diesen problematischen Vorgaben - und dem einen oder anderen von historischen Informationen überbordenden Exkurs, der durch einen einfachen Literaturverweis hätte ersetzt werden können - nicht abschrecken, wird man durch eine im evangelischen Raum seltene Fähigkeit, mittelalterliche Texte auch nach ihren systematischen Gehalten zu befragen, ein wenig entschädigt: Der 1. Teil (21-62) fasst die Ergebnisse der Forschungsliteratur zur Vita des Kanonisten und Bischofs Durandus von Mende zusammen und stellt seine Messerklärung, das Rationale divinorum officiorum, im Blick auf Entstehungszeit, literarische Vorläufer und verarbeitete Quellen vor; die historisch interessanten Fragen nach Adressaten und Rezipienten werden leider erst deutlich später behandelt (156-160).

Der 2. Teil (63-136) ist dem geistesgeschichtlichen Hintergrund gewidmet. In Augustins Zeichentheorie - von der Autorin unter dem Begriff "Semiotik" subsumiert - vollzieht F.-D. die umfassende, weit über den Bereich des Sakramentalen hinausgehende Anwendbarkeit des Begriffspaars res und signum nach. An Hugo von St. Viktor kann sie dann zeigen, wie die Zeichentheorie vermittels der viktorinischen Ausweitung der Vorstellung von der Zeichenhaftigkeit der Dinge handlungsleitend und somit für die liturgischen Vollzüge anwendbar wird. Diesem in der Gediegenheit der unmittelbaren Textexegese durchaus beeindruckenden Teil hätte es allerdings gut getan, wenn das neuplatonische Element der Theoriebildung nicht nur hier und da angedeutet, sondern wirklich aufgearbeitet worden wäre.

Der 3. Teil (137-201) entfaltet auf Grundlage des Prologes des Rationale die Stellung des Durandus zu den beiden vorgestellten Autoren (mit einem instruktiven Schaubild auf S. 166f.); dabei ist die Feststellung, dass Durandus keine komplette Zeichentheorie bietet, sondern sich ganz auf Zeichen für heilige Dinge konzentriert, im Kontext einer Messerklärung sicher wenig überraschend; bemerkenswert ist allerdings auch hier sein Verzicht auf eine Differenzierung zwischen sprachlichem und dinglichem Zeichen. Der durch die Zeichentheorie gesicherte Bezug des liturgischen Geschehens auf eine diesem gegenüber transzendente Realität wird, wie F.-D. darlegen kann, bei Durandus entschlüsselbar durch die Lehre vom vierfachen Schriftsinn, die er auf das liturgische Geschehen anwendet.

Nach diesem langen Anlauf kommt F.-D. dann im 4. Teil (203-339) zu ihrem eigentlichen Thema, der Funktion des Bildes im liturgischen Raum. Dass Bildern dabei nicht allein kognitive Aufgaben zukommen, betont F.-D. zu Recht. Die Rede von "Herzensbildung", "Animation der kreativen Kräfte im Menschen" oder "interpretative[r] Freiheit des Rezipienten" (alles 267 f.) trägt aber neuzeitliche Konzepte in den Text hinein; eine Analyse der anthropologischen Voraussetzungen bei Durandus wäre da wohl hilfreicher gewesen. Eine auf Grund der vielen Details lehrreiche Fundgrube stellen die Nachzeichnungen der Darlegungen des Durandus zu Textilien im Kirchenraum dar (293-339). Abschließend fasst F.-D. ihre Deutungen zusammen und stellt Überlegungen zur aktuellen Applikation an.

So endet das Buch, abgesehen von den gelungenen Übersetzungen im Anhang, mit eben den aktuellen Interessen, die seine Publikation in einer der Theologiegeschichte gewidmeten Reihe als unglücklich erscheinen lassen, da damit nun einmal ein vornehmlich historisch interessiertes Publikum erreicht wird. Und mit Gewinn dürfte das Buch wohl vor allem in die Hand nehmen, wer in das Bekenntnis der Autorin einstimmt, dass es "durchaus eigenständige Regeln" für die "ästhetisch-liturgische Dimension" gebe, die "unabhängig von zeitgeschichtlichen Inhalten, sozialen Horizonten und auch dogmatischen Systemen" seien (6).