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Ausgabe:

September/2001

Spalte:

929–931

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Klaiber, Walter

Titel/Untertitel:

Gerecht vor Gott. Rechtfertigung in der Bibel und heute.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000. 256 S. 8 = Biblisch-theologische Schwerpunkte, 20. Kart. DM 36,-. ISBN 3-525-61386-5.

Rezensent:

Christof Landmesser

Es ist die paulinische Rechtfertigungslehre - in den abschließenden Thesen ist vorsichtiger von der paulinischen Rechtfertigungsbotschaft die Rede -, die der methodistische Bischof und Neutestamentler K. im einführenden Teil I. seines Buches als die eindeutigste Antwort auf die komplexe Frage nach dem Verhältnis zwischen Gott und Mensch in der biblischen Tradition erkennt (9). K. möchte die aktuelle Diskussion um die Rechtfertigung mit guten Gründen an die biblischen Texte binden. Er schlägt vor, "die biblische Rechtfertigungsbotschaft als ganze" zu studieren (10) und die notwendige Auseinandersetzung im "gesamtbiblischen Horizont der Rechtfertigungslehre" zu führen (11). Das ist eine große Aufgabe, die auf knappem Raum nicht in exegetischer Detailarbeit zu bewältigen ist, was jedoch an wichtigen Stellen unbedingt geboten wäre. K. gibt eher summarische Einblicke in solche biblischen Texte, die er der ,biblischen Rechtfertigungsbotschaft' zuordnet.

K. skizziert in Teil II. die zentrale Bedeutung des Begriffs ,Gerechtigkeit' für das Alte Testament. ,Gerechtigkeit ist Leben'- so die Überschrift zu diesem ersten Hauptabschnitt. Gerechtigkeit ist zunächst ,Gemeinschaftstreue'. Die von den Menschen geforderte Gemeinschaftstreue hat ihr Fundament in Gottes rettender Gegenwart in seinem Volk und auf der Erde. Dieses Verhältnis ist unumkehrbar. Zudem ist hier bereits der universale Horizont von Gottes Handeln zu beachten. Ein weiterer Aspekt alttestamentlichen Verständnisses von Gerechtigkeit wird in der Toragerichtsbarkeit deutlich. Der Freispruch des Angeklagten ist dessen Rechtfertigung. Das im Prozess zugesprochene Recht ist die "Basis jeder sozialen Existenz" (31). Der im Alten Testament vorausgesetzte Tun-Ergehen-Zusammenhang ist zu verstehen als die im Tun der Gerechtigkeit begründete Verheißung des Lebens im Sinne der Zusage der Gemeinschaft mit Gott (37). Gerechtigkeit ist eine Gabe Gottes. Rechtfertigung ist aber nicht eindimensional. Bei den Exilspropheten findet K. das Motiv der Rechtfertigung Gottes, der Mensch aber ist - wie die Freunde Hiobs betonen - vor Gott schlechterdings nicht gerecht. Und Hiob selbst sucht den Gott, der ihm gerecht wird (51). Hiob ist ein Beispiel für die Rechtfertigung des verzweifelten Menschen, der sich an Gott hält (53). In Gottes Ja zur Schöpfung und zu Israel ist die Rechtfertigungsbotschaft der hebräischen Bibel geradezu versammelt (54-63). Die hier geschehende Rechtfertigung ist innerweltlich gedacht und fördert das Leben. Konstitutiv ist wiederum das vorgängige Handeln Gottes, das sich in seiner Verheißung und in seinem Gebot konkretisiert (59). Dies alles wird "im Alten Testament als ganzem nirgends systematisch sortiert und steht teilweise in den gleichen Schriften unverbunden dicht beieinander" (ebd.). Die Darstellungsweise K.s entspricht dieser Einsicht, er bietet eine Motivsammlung alttestamentlicher Gerechtigkeitsvorstellungen, die im Wesentlichen der traditionsgeschichtlichen Vorbereitung seines Verständnisses der paulinischen Rechtfertigungsvorstellung dient. Der Höhepunkt der alttestamentlichen Rechtfertigungsvorstellung ist dort erreicht, wo im Anschluss an Ez 36 f. das Motiv der Neuschöpfung nahegelegt wird, worin K. eine "Vorwegnahme" der paulinischen Parallelisierung der Rechtfertigung des Gottlosen mit Gottes schöpferischer Macht nach Röm 4,5.17 sieht (62).

Im Neuen Testament ist Rechtfertigung wesentlich Befreiung (Teil III.). Eine solche Befreiung manifestiert sich bereits in der Rechtfertigungsbotschaft Jesu, der sich den Ausgeschlossenen der Gesellschaft zuwendet und etwa durch Heilung von Kranken deren Integration in die Gemeinschaft ermöglicht. Die Verkündigung Jesu und die von ihm praktizierte Annahme der Verlorenen sieht K. als die sachliche Grundlage der neutestamentlichen Rechtfertigungsvorstellungen (84). Nun ist K. bei seinem wichtigsten Zeugen angekommen. Bei Paulus wird das Rechtfertigungsgeschehen zur entscheidenden soteriologischen Ausdrucksweise. Die paulinische Rechtfertigungstheologie ist mit seiner Kreuzestheologie unlöslich verbunden. Den Kernsatz der paulinischen Rechtfertigungslehre findet K. in Gal 2,16. Die Rechtfertigung ist nach K. die Antwort auf die mangelnde Gesetzeserfüllung seitens des Menschen (102). Hier ist jedoch die grundsätzlichere Argumentation in Röm 5,12-21 zu bedenken, wenn Paulus über die universale Macht der Sünde spricht. Dies wird von K. an anderer Stelle zumindest erwähnt (117).

K. erörtert im Anschluss an den Galater- und den Römerbrief viele wichtige Einzelaspekte der paulinischen Rechtfertigungsvorstellung. Rechtfertigung ist die Manifestation der "Totalität der Gnade" (110), und sie hat eine universale Reichweite. Eine gewisse Spannung entsteht, wenn K. im Kontext der Rechtfertigung von der voraussetzungslosen Zuwendung der Liebe Gottes spricht (127), die Rechtfertigung aber an die vom Menschen selbst zu steuernde Annahme des Glaubens als Voraussetzung geknüpft sieht. Hier wird K. unklar, wenn er den Glauben als "Schritt dessen, der sich von Gottes Hand aus der gottfernen und todgeweihten Existenz auf den sicheren Grund der göttlichen Lebenszusage herüberziehen läßt", beschreibt (137). Die Radikalität der Sünde nach Paulus und die in der Metapher der Neuschöpfung ausgedrückte Totalität des heilvollen Handelns Gottes werden von K. nicht erreicht. Völlig angemessen bestimmt K. den rechtfertigenden Glauben als den Glauben an Christus (123). Dieser Glaube ist wirkungsvoll und hat ethische Implikationen sowie soziale Konsequenzen. In diesem Zusammenhang benutzt K. das gefällige, aber letztlich irreführende Schlagwort von ,Indikativ und Imperativ'. Die Rechtfertigung, die K. als "Kriterium für alle Auslegung des Evangeliums" bestimmt (154), ist zuletzt universal und hat eine eschatologische Perspektive.

Das Neue Testament bietet nach K. Kontrastmodelle zur paulinischen Rechtfertigunglehre. Der Jakobusbrief hat einen anderen Glaubensbegriff und ist mit der paulinischen Theologie in dieser Frage nicht zu vermitteln. Die matthäische Konzeption ist nach K. mit paulinischen Kategorien schwer zu beurteilen.

Der Versuch von K., die matthäische Soteriologie und die dort vorausgesetzte Funktion des Handelns der Christen wiederum mit dem Begriffspaar ,Indikativ und Imperativ' zu erfassen (174), ist für eine Beschreibung der matthäischen Konzeption nicht hinreichend.

In Teil IV. wendet sich K. zunächst sehr kurz der Entwicklung der Rechtfertigungsvorstellung in der kirchlichen Tradition zu. Auf elf Seiten gibt er wenige Stichworte zur Rezeption der Rechtfertigungsvorstellung von Augustin über Luther und Trient bis hin zu John Wesley. Es folgen noch knappe Hinweise zur aktuellen ökumenischen Diskussion. Die bereits in den Passagen zur biblischen Tradition festzustellende harmonisierende Tendenz ist auch hier bestimmend, wenn er die umstrittene Frage nach der Beteiligung des Menschen am Rechtfertigungsgeschehen erörtert. Allerdings sieht er einen "wirklichen Konsens" erst dann, wenn die gegenseitige eucharistische Gemeinschaft möglich ist (227). In der Sache spricht er dort - im Anschluss an Gal 4,9 und 1Kor 13,12 - von einer ,Sachdialektik', wo der Mensch auf sein Ja zu Gottes Ja angesprochen wird (207). Paulus spricht hier aber nicht dialektisch, er erörtert vielmehr einen Kausalzusammenhang, wie K. selbst richtig formuliert: "wenn er [Paulus] davon spricht, dass wir Gott erkennen, weil wir von ihm erkannt sind" (ebd.).

Abschließend (Teil V.) notiert K. in zehn Thesen sein Verständnis von Rechtfertigung, die in der letzten These mit dem Motiv der Neuschöpfung ihren sachgemäßen Höhepunkt haben. In der Ausführung der paulinischen Rechtfertigungsvorstellung wird dieses entscheidende Motiv von K. jedoch nicht konsequent interpretiert.

K. benennt wichtige semantische Merkmale der zentralen soteriologischen Metaphorik der paulinischen Briefe. Er bietet aber eine allzu harmonisierende Interpretation der biblischen Texte und ebnet damit auch die Konturen der paulinischen Rechtfertigungsvorstellung problematisch ein. K.s Mahnung, die Ausgangstexte der christlichen Tradition auch bei der Diskussion um die Frage nach dem Verhältnis zwischen Mensch und Gott in Erinnerung zu bringen, ist für alle Bereiche der christlichen Theologie entscheidend. Dies muss freilich so geschehen, dass die Texte in ihrer spezifischen Kontextualität genau analysiert und nicht nur als Vorstufen etwa der paulinischen Rechtfertigungsvorstellung gedeutet werden. Dann kann die biblische Tradition zu einer ernsthaften Provokation der theologischen Auseinandersetzung in gegenwärtigen Kontexten werden.