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Ausgabe:

September/2001

Spalte:

923 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Court, John M.

Titel/Untertitel:

The Book of Revelation and the Johannine Apocalyptic Tradition.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Academic Press 2000. 181 S. gr.8 = Journal for the Study of the New Testament, Suppl. Series 190. Lw. £ 35.-. ISBN 1-84127-073-3.

Rezensent:

Otto Böcher

Bekanntlich leitet sich der religionsgeschichtliche Terminus technicus "Apokalyptik" (engl. apocalypticism) von jenem neutestamentlichen Buch her, das sich selbst als apokalypsis Iesou Christou vorstellt (Apk 1,1); seit Friedrich Lücke (1832) gelten als "apokalyptisch" diejenigen Schriften und Vorstellungen, die formal und inhaltlich an die Johannes-Apokalypse erinnern. Da dies vor allem altjüdische Literatur betrifft (4Esr, äthHen usw.), bezeichnet heute "Apokalyptik", methodisch wenig glücklich, in erster Linie die jüdischen Vorläufer und Parallelen einer christlichen Schrift, die ihren Namen einer insgesamt älteren und komplexeren Größe leihen muss; vielleicht hätte man die letztere besser "jüdischen Spätprophetismus" nennen sollen.

Mit dieser altjüdisch-apokalyptischen Tradition beschäftigt sich das vorliegende Buch nicht - ebensowenig wie mit der Welt der sogenannten christlichen Apokalyptik (Did 16; ApkPetr; Herm; 5Esr; 6Esr u. a.). Vielmehr geht es dem Vf. um jüngere Schriften, die in einer literarischen Abhängigkeit von der Apokalypse des Johannes stehen und diese korrigieren, ergänzen oder ersetzen wollen. Es handelt sich also um "Apokalyptik" im engsten und eigentlich einzig zutreffenden Sinne: um literarische Tradition und damit um Wirkungsgeschichte der Apokalypse des Johannes. - John M. Court (University of Kent, Canterbury) legt vier wenig bekannte Texte nachjohanneischer Apokalypsen gemeinsam vor und macht sie mit Text, Einleitung und Anmerkungen der vergleichenden Forschung bequem zugänglich.

Kapitel 1 (7-15) ist eine kurze Einführung in die kanonische Apokalypse und ihre nachkanonischen Imitate. Als Beispiel für die Wirkung apokalyptischer Vorstellungen auf die allgemeine Kultur- und Frömmigkeitsgeschichte skizziert Kapitel 2 (16-22) Spiegelungen der Höllenvisionen in neuerer Predigt und Dichtung. Es folgen die Editionen der ausgewählten Texte: "die zweite Johannes-Apokalypse" (Kapitel 3, 23-65), um 400 n. Chr. entstanden und bekannt als "Apokalypse des heiligen Johannes des Theologen" (griechisch); "die Apokalypse des heiligen Johannes Chrysostomus" (Kapitel 4, 67-103), dem Johannes Chrysostomus (ca. 347-407 n. Chr.) zugeschrieben, aber wohl erst um 700 n. Chr. entstanden (griechisch); "die dritte Johannes-Apokalypse" (Kapitel 5, 104-131), um 800 n. Chr. entstanden (griechisch); schließlich "die koptische Johannes-Apokalypse" (Kapitel 6, 132-163), vermutlich aus dem frühen 11. Jh. (koptisch). Von den Apokalypsen der Kapitel 3-5 bietet C. außer einer englischen Übersetzung auch den griechischen Urtext; bei der koptischen Apokalypse beschränkt er sich auf eine Übertragung des Originals (Brit. Museum Oriental Ms. 7026) ins Englische (137-150).

Bei allen vier Editionen liefern ausführliche Introductions und der Übersetzung angeschlossene Explanatory Notes ausreichende Informationen zu einleitungswissenschaftlichen und exegetischen Fragen. Kapitel 7 (164-169) enthält Schlussfolgerungen aus dem Vergleich; für die drei griechischen Apokalypsen nennen drei synoptische Tabellen die alttestamentlichen Zitate, die Zitate aus den neutestamentlichen Evangelien sowie die Zitate aus den neutestamentlichen Briefen und der kanonischen Apokalypse des Johannes. Eine ausgewählte Bibliographie (170-172) sowie Register der zitierten Bibelstellen (173-176), sonstiger Primärliteratur (177-179) und der Autoren (180 f.) beschließen das Buch.

Dass es die geistliche Neugier bezüglich des Lebens der Erlösten und erst recht bezüglich der Qualen der Verdammten gewesen ist, die bis heute die aus der Apokalypse des Johannes stammenden Bilder lebendig erhalten hat, weiß auch der Vf. Das zeigen nicht nur seine Kommentierungen des gelegentlich skurrilen Frage- und Antwortspiels der Texte und die im Einleitungskapitel beigebrachten modernen literarischen Parallelen, sondern auch die ausgewählten Abbildungen - bis hin zu einem Comic von 1996 (The End of the World is Nigh Again, 15). Als eine instruktive Dokumentierung des literarischen Nachlebens der Johannes-Offenbarung im ersten christlichen Jahrtausend verdient der vorliegende Band Dank und Anerkennung.