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Ausgabe:

September/2001

Spalte:

919–921

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

(1) Beutler, Johannes (2) Kruse, Colin G.

Titel/Untertitel:

(1) Die Johannesbriefe. Übers. und erklärt.
(2) The Letters of John.

Verlag:

(1) Regensburg: Pustet 2000. 216 S. gr.8 = Regensburger Neues Testament. Lw. DM 48,-. ISBN: 3-7917-1657-3.
(2) Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2000. XX, 255 S. gr.8 = The Pillar New Testament Commentary. Lw. $ 28.-. ISBN: 0-8028-3728-X.

Rezensent:

Friedrich W. Horn

Es mangelt nicht an neuen und guten Kommentaren zu den Johannesbriefen. Ich nenne aus den letzten beiden Jahrzehnten als Auswahl die Werke von Raymond E. Brown (1982), Hans-Josef Klauck (1991/92), Stephen S. Smalley (1984), Georg Strecker (1989), Werner Vogler (1993), Francois Vouga (1990) und Klaus Wengst (21990). Es kommen nun hinzu einerseits der Kommentar von Johannes Beutler, der in der Reihe Regensburger Neues Testament (RNT) den Vorgängerkommentar von Johann Michl ablöst, der in erster Auflage 1953 erschienen war und 1968 eine Umarbeitung erfahren hatte. Andererseits ist in der Kommentarreihe The Pillar New Testament Commentary (PNTC), die von Donald A. Carson herausgegeben wird, erstmals ein Kommentar zu den Johannesbriefen erschienen, so dass diese neue Kommentarreihe jetzt insgesamt sechs Bände zu unterschiedlichen neutestamentlichen Schriften vorweisen kann.

Die Richtlinien des RNT zielen in einem Dreischritt darauf, nach Überlegungen zu Aufbau, Gedankenführung und Stilelementen zweitens eine Vers-für-Vers-Exegese darzubieten, um drittens und abschließend den theologischen Gehalt für heutige Verkündigung und Katechese zu erheben (Klappentext). Die Grundsätze der PNTC lauten u. a.: "Their ideal is a blend of rigorous exegesis and exposition, with an eye alert both to biblical theology and the contemporary relevance of the Bible, without confusing the commentary and the sermon" (XI). Die Anlage beider Kommentarreihen zeigt folglich durchaus verwandte Interessenlagen auf, was einen Vergleich der beiden Kommentare zu den Johannesbriefen reizvoll macht, aber auch mögliche kritische Anfragen limitiert.

Freilich sind die Voraussetzungen der beiden Bearbeiter unterschiedlich. Während Colin G. Kruse, Lecturer in New Testament at the Bible College of Victoria, Melbourne, Australia, nach meiner Kenntnis bislang vorwiegend zu Paulus gearbeitet und veröffentlicht hat, ist Johannes Beutler, der fast drei Jahrzehnte an St. Georgen in Frankfurt gelehrt hat und seit 1998 Professor für Neues Testament an der Gregoriana in Rom ist, ein Altmeister der Johannes-Exegese. Seit 1972, als unter dem Titel ,Martyria' eine Untersuchung zum Zeugnisthema im Johannesevangelium erschien, hat B. beständig zum johanneischen Schrifttum geforscht und publiziert (vgl. zusammenfassend die Artikel in LThK3 5). Vieles davon, u. a. auch der Forschungsbericht zu den Johannesbriefen aus ANRW II 25.5, ist in seinen Studien zu den johanneischen Schriften aus dem Jahr 1998 wieder abgedruckt worden. Man merkt es seinem Kommentar auf Schritt und Tritt an, dass er sich auf der Höhe der Forschung bewegt, die Sekundärliteratur kennt und sie in für RNT ungewöhnlich reichhaltiger Weise zusammengestellt hat (187-200), gleichzeitig aber im Laufe der Jahre zu einer wohlbegründeten eigenen Position gekommen ist. Ausweis seiner Kompetenz ist auch, dass B. gelegentlich bereit ist, den Forschungsdissens auszubreiten ohne ein eigenes abschließendes Votum zu geben, da die Argumente für ein überzeugendes und eindeutiges Urteil nicht hinreichend sind. Ich verweise hierzu etwa auf die Ausführungen zur Verfasserfrage des 1Joh, die eine letzte Antwort bewusst nicht geben (31).

Der Kommentar von Colin G. Kruse bewegt sich auf einem anderen Niveau. Es scheint hier ein großer Teil der Literatur zu den Johannesbriefen nicht zur Kenntnis genommen worden zu sein. Es werden nicht nur vier der oben genannten bedeutenden Kommentare nicht verzeichnet oder im Kommentar nicht bedacht, es fehlt auch wesentliche weitere Literatur, etwa Martin Hengels Buch über die johanneische Frage, auf das aber auch B. leider nur verweist, ohne sich mit den Thesen auseinanderzusetzen. Sodann neigt K. dazu, sehr schnell Arbeitshypothesen zu formulieren und im Kommentar beständig vorauszusetzen. Hier wäre etwa die Verfasserfrage zu nennen, die K. für alle drei Briefe einheitlich beantwortet (37), ja auch auf den Verfasser der 'original version' des Evangeliums anwendet (11). Diese Vorgabe lässt manche Differenz im johanneischen Schrifttum aus dem Blick geraten, da sie zu einer harmonisierenden Auslegung anleitet. Der Kommentar bemüht sich auf weiten Strecken, den Gedankengang der johanneischen Briefe nachzuzeichnen. Hierbei ist die exegetische Diskussion oft in die Anmerkungen oder in insgesamt 22 Exkurse verbannt, die im Wesentlichen theologische Fragen der johanneischen Briefe thematisieren.

Die Johannesbriefe ziehen in der Regel eine vierfache Aufmerksamkeit auf sich: a) Der 1Joh gilt als eine der dichtesten theologischen Schriften des NT. Hier finden sich Reflexionen zu Liebe, Sünde, Sühne, Inkarnation u. a.; b) Die Verfasserschaft des 1Joh und des 2/3Joh ist zu klären und zum johanneischen Kreis und seiner Theologie insgesamt in Beziehung zu setzen; c) Die Johannesbriefe, vor allem der 3Joh, sind Dokumente für eine oder mehrere Sezessionen innerhalb einer ursprünglich zusammengehörigen frühchristlichen Gruppierung. Liegen die Gründe hierfür eher im dogmatischen Bereich oder beziehen sie sich auf Autoritätskonflikte? d) Die Gattungsfrage wird bei den kleinen Briefen eindeutig im Sinne eines Privatbriefs beantwortet. Beim 1Joh allerdings schwanken die Auskünfte zwischen Traktat, Mahnrede und Brief. Welche Akzente setzen die beiden Kommentare?

K. stellt seiner Auslegung der Briefe eine Abfolge der Geschichte der johanneischen Gemeinden in neun Schritten voran (2-3). Hier bleibt manches unklar. Schon der Einstieg in diese Geschichte muss als mutige Hypothese angesehen werden, wenn es heißt, dass eine ursprüngliche Fassung des Joh vom Lieblingsjünger, einem Augenzeugen Jesu, vervollständigt worden sei. Die Sezessionisten werden als Wanderprediger verstanden, der Grund für ihre Abspaltung liegt in christologischen Differenzen. Der 1Joh wird als weiteres Schreiben des Lieblingsjüngers (11), der an anderer Stelle mit dem Zebedaiden Johannes gleichgesetzt wird (27), interpretiert, und die beiden kleinen Johannesbriefe werden als Folgebriefe zu diesem Konflikt ausgelegt (8). Es bleibt offen, ob die Gegensätze für den Verfasser des 1Joh noch in dogmatischen Fragen begründet sind, oder ob es sich um einen Autoritätskonflikt handelt. Nach dem Tod des Lieblingsjüngers wird das Joh von Redaktoren in die endgültige Form gebracht. Allerdings hält K. sich für andere Lösungen offen: "Other reconstructions are possible" (8, Anm. 8). K. zitiert in dieser Anmerkung Streckers Vorschlag, in den Presbyterbriefen den ältesten Bestand der johanneischen Schriften zu finden, ohne allerdings dessen Annahme einer chiliastischen Position des Presbyters zu teilen (210).

B. geht wie K. gleichfalls davon aus, dass der 1Joh später als Joh entstanden ist, nämlich im ersten Jahrzehnt des 2. Jh.s (33) im westlichen Kleinasien (32), hält allerdings die Verfasserfrage relativ offen, schließt allein apostolische Abkunft aus (30 f.). Es sind die theologischen und praktischen Positionen der Gegner, die der Verfasser des 1Joh in seinem "weisheitlichen Gelegenheitstraktat" (11) anvisiert, nicht restlos aus den Vorgaben des Joh zu erklären. Vielmehr dürfe der Blick auf die Pneumatiker in Korinth (24) und auf außerbiblisch bezeugte gnostische Gruppen und Schriften "unverzichtbar sein" (20), ohne allerdings von Gnostikern oder Doketen sprechen zu wollen. Überhaupt wird das Umfeld des Paulinismus zur Erhellung der gegnerischen Position breit herangezogen (25 f.), in der Behauptung ekstatischer Geistesgaben aber strapaziert (24). Zur Rekonstruktion ihres Selbstverständnisses setzt B. nicht bei Christologie oder Ethik ein, sondern bei der Anthropologie, für welche Topoi wie Selbstruhm, Gottesliebe, Geistbesitz, Sündenfreiheit wesentlich sind. "Die Anthropologie liefert im 1Joh den Schlüssel zur Christologie und nicht umgekehrt" (23). Die theologische Position des Verfassers lässt B. von Texten aus Jer 31 und Ez 36 bestimmt sein, aus denen sich im 1Joh durch Vermittlung der johanneischen Abschiedsreden ein spezifisches Wortfeld ergibt (Sündenvergebung, Gotteserkenntnis, Halten der Gebote, Bleiben in Gott etc.; 28 f). Daneben greift 1Joh stärker als Joh auf gemeinchristliche Traditionen zurück, was etwa auch in dem Überschuss gegenüber dem Evangelium in den Themen Sühne, Eschatologie, abweichende Parakletlehre und weitere Geistaussagen zum Ausdruck kommt. Die vom Verfasser des 1Joh erwartete orthodoxe christologische Position wird an ein Bekenntnis gebunden (23).

An jeden Kommentar zu den Johannesbriefen richtet die Leserin oder der Leser mit Spannung die Frage, welche Antwort sich in ihm findet zu dem Konflikt zwischen dem Presbyter und Diotrephes, der in 3Joh reflektiert wird. Wer steht auf der Seite der Orthodoxie, wer auf der Seite der Häresie? Nach B., der sich der von Käsemann eingeschlagenen Linie anschließt, befindet sich der Presbyter, ein Traditionsträger des joh Kreises (143), in der Defensive. Sein stark dualistisch geprägtes Christentum gab Diotrephes Anlass, den Presbyter theologisch zu verdächtigen. Damit ist nicht gesagt, dass der Presbyter die großkirchliche Position aufgegeben hätte. Sie begegnet aber in einer Gestalt, die Diotrephes suspekt erscheint (173).

Der Konflikt hat sowohl einen kirchenorganisatorischen Aspekt, als es zur Verweigerung der Aufnahme der Boten des Presbyters kommt, als auch einen dogmatischen Aspekt, was in dem gehäuften Insistieren des Presbyters auf Wahrheit in seinem kurzen Schreiben Ausdruck findet (174). K. schließt einen dogmatischen Konflikt zwischen Presbyter und Diotrephes aus, um wiederum den Aspekt frühkirchlicher Autoritätsfragen stark zu machen. Hiernach geht es ausschließlich um die Aufnahme von Wanderpredigern in Ortsgemeinden (44-47). K. erneuert damit eine Position, die wohl immer wieder Befürworter gefunden hat, aber doch wohl nicht die einzige Lösung zur Erhellung des Konflikts darstellt.