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Ausgabe:

September/2001

Spalte:

917–919

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Weber, Cornelia

Titel/Untertitel:

Altes Testament und völkische Frage. Der biblische Volksbegriff in der alttestamentlichen Wissenschaft der nationalsozialistischen Zeit, dargestellt am Beispiel von Johannes Hempel.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2000. XIII, 352 S. gr.8 = Forschungen zum Alten Testament, 28. Lw. DM 178,-. ISBN 3-16-147102-4.

Rezensent:

Alf Christophersen

In überarbeiteter Fassung hat C. Weber eine von B. Janowski betreute Dissertation vorgelegt, die der Tatsache Rechnung tragen soll, dass die von herausragenden Theologen gegen Ende der Weimarer Republik und innerhalb des Nationalsozialismus eingenommene Haltung bislang trotz zahlreicher Einzel- und Überblicksdarstellungen nur unzureichend analysiert wurde. Mit ihrer Konzentration auf den Bereich der Exegese, hier näher der alttestamentlichen, wendet sich die Vfn. einer theologischen Einzeldisziplin zu, die durch mangelhafte Erörterung regimekonformer Parteinahme einiger ihrer seinerzeit maßgeblichen Repräsentanten für den Nationalsozialismus charakterisiert ist.

Die doppelte Intention der Arbeit ist neben einer Analyse des Bereiches "Altes Testament und völkische Frage" die biographisch angelegte Darstellung von Leben und Werk des Alttestamentlers J. Hempel (1891-1964), des, so das einstige Urteil E. Hirschs, ",bedeutendsten Alttestamentler[s] Deutschlands'" (101).

In einem ersten von fünf Hauptkapiteln erfolgt ein chronologischer Gang durch "völkisches Denken vor und in der Zeit des Nationalsozialismus", wobei das "Volk als Leitidee" (9-49) dient. Es wird ein Bogen von Herder über Fichte, Schleiermacher und Chamberlain bis hin zu Stapel, Hirsch, Gogarten und dem "Volksbegriff im Kirchenkampf" gespannt. Diese Überlegungen sind von problematischen Unschärfen gekennzeichnet, was punktuell an drei Stellen konkretisiert sei: 1) Der nationalsozialistisch konnotierte Terminus ,völkisch' wird von seinem Gebrauch in den 20er bis 40er Jahren unreflektiert auf die Entwicklung seit Herder rückübertragen. Damit korrespondiert das Fehlen einer hinreichenden Differenzierung von ,Volk' und ,völkisch' sowie ,Volk' und ,Nation'. Es wird sogar Lessings Aussage, "daß ,wir Deutschen noch keine Nation sind'" (10), nach einem Hinweis auf territoriale Zersplitterung in den Satz überführt, die "geistesgeschichtliche Periode des ,völkischen Denkens'" (10) habe hier ihren Ursprung. 2) Der Überblick verdankt sich weitgehend keinem eigenständigen Quellenstudium. E. M. Arndts Ausspruch ",Ein Volk zu sein, ist die Religion unserer Zeit'" (19), aus dem dtv-Geschichtsatlas zu zitieren, ist inakzeptabel. 3) Die Behauptung der Vfn., K. Scholder habe den Begriff ,Politische Theologie' für die Verbindung von "evangelische[r] Theologie mit völkischer Ideologie" (25) geprägt, ist - es sei nur auf C. Schmitts "Politische Theologie" von 1922 verwiesen - unzutreffend. Der sich anschließende Satz "Karl Barth und seine Weggefährten" hätten "auf diese Entwicklung mit einem eindeutigen ,Nein!'" (25) reagiert, löst die gleichnamige Schrift Barths aus ihrem gegen E. Brunners ,natürliche Theologie' gerichteten Kontext und suggeriert eine nicht bestehende Verbindung von Brunner und ,völkischer Ideologie'.

Im "Streit um das Alte Testament" überschriebenen Anschlusskapitel (50-87) stellt die Vfn. die These auf, dass die Alttestamentler durch die zunehmende Infragestellung des Alten Testaments gezwungen waren, die bleibende theologische Relevanz ihres Forschungsbereiches zu behaupten. Von Bedeutung werden dabei "Wellhausens Thesen zur Spätdatierung des Gesetzes"; denn sie erlaubten "die strikte Trennung zwischen dem Alten Israel und dem nachexilischen Judentum". Ein bleibender Zugang zum Alten Testament blieb möglich, "ohne damit auch das Judentum positiv werten zu müssen" (87).

Leben und Werk Hempels stehen anschließend im Mittelpunkt (88-194). Hempel hatte ab 1925 eine Professur in Greifswald inne, wechselte 1928 nach Göttingen und 1937 nach Berlin. Es folgten von 1940-1946 Feldseelsorge und Gefangenschaft, darauf Pfarrtätigkeit, 1955 Honorarprofessur und 1958 Emeritierung in Göttingen. Von 1927-1959 war Hempel Herausgeber der ZAW. Unter gründlicher Auswertung einschlägigen Archivmaterials und Aufnahme maßgeblicher literarischer Arbeiten zeichnet die Vfn. diesen Weg nach und entwickelt das Bild eines Alttestamentlers, der ein überzeugter Anhänger und Förderer des Nationalsozialismus sowie Mitglied der ,(Thüringer) Deutschen Christen' gewesen ist. Auf Grund seines Wirkens im Dritten Reich wurde ihm eine unmittelbare Wiederaufnahme seiner akademischen Tätigkeit versagt. Die ZAW gab Hempel weiter heraus, wobei ihm jedoch O. Eißfeldt an die Seite gestellt wurde und es in den Niederlanden zur Gründung der konkurrierenden Zeitschrift Vetus Testamentum kam.

Dem "biblischen Volksbegriff" misst Hempel (195-293) einen zentralen Stellenwert zu; denn er fand in ihm "die Möglichkeit, die völkische Ideologie seiner Zeit theologisch-kritisch zu rechtfertigen" (195). Die Vfn. konfrontiert überzeugend Hempels Ausführungen mit dem gegenwärtigen Forschungsstand und Parallelentwürfen A. Weisers und V. Herntrichs (sein Geburtsdatum ist auf S. 287 von "1901" in "1908" zu ändern). Hempel beabsichtigte einerseits, "die völkische Bewegung ... auf eine religiöse Grundlage" zu stellen, und andererseits, "die bleibende Bedeutung der alttestamentlichen Schriften" (293) herauszustellen. Er war davon überzeugt, dass es "im Alten Testament neben dem Volk keine andere innerweltliche Größe" gebe, "die eine religiöse Weihe erhalte oder die ein größeres Daseinsrecht besitze als das Volkstum" (298). Die Vfn. will betont wissen (294-302), dass Hempel seine Arbeit am Alten Testament "zum Wohl des Volkes als göttlichen Auftrag" (301) verstand und sein Wirken bei den ,Deutschen Christen' "als kritisches Korrektiv gegenüber dem Staat und der politischen Führung" (300).

Die Monographie ist gut lesbar und abgesehen vom ersten Hauptkapitel solide erarbeitet. Es fehlt jedoch eine kritisch distanzierte und methodisch reflektierte analytische Deutungsperspektive. Der von der Vfn. erhobene Anspruch, die Wechselwirkungen von Biographie, Werk und Zeitgeschichte aufzuzeigen, wird von ihr nicht eingelöst, so dass das Gesamtergebnis wenig überzeugt. Nahezu unberücksichtigt bleibt zudem eine Diskussion des protestantischen Antisemitismus, der mit der Entwicklung von Volk- und Nationbegriff parallel läuft.