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Ausgabe:

September/2001

Spalte:

913–915

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Forster, Christine

Titel/Untertitel:

Begrenztes Leben als Herausforderung. Das Vergänglichkeitsmotiv in weisheitlichen Psalmen.

Verlag:

Zürich- Freiburg: Pano 2000. XI, 277 S. 8. Kart. DM 32,-. ISBN 3-9075-76-24-1.

Rezensent:

Melanie Köhlmoos

Die 1999 von der Universität Zürich angenommene und von H. Spieckermann betreute Dissertation widmet sich der Zu-sammenschau von weisheitlicher Reflexion und Gebet. Als Brennpunkt dieser "Verschmelzung" (3) wählt F. die Wahrnehmung menschlicher Sterblichkeit - traditionell als "Vergänglichkeitsmotiv" bezeichnet - in den Pss 39; 49; 90. Damit widmet sich F. einem Thema, das in der atl. Wissenschaft nur selten als eigenständige Fragestellung verhandelt wird. F. möchte die "Tiefendimension" jener Texte ausloten, in denen die Vergänglichkeitsthematik eine zentrale Rolle spielt.

Nach der knappen Einleitung (1-8), die diese Fragen erörtert, nimmt die ausführliche exegetische Bearbeitung der Pss 39 (Kap. 2; 9-59), 49 (Kap. 3; 61-136) und 90 (Kap. 4; 137-199) den breitesten Raum der Arbeit ein. In sorgfältiger Analyse betrachtet F. in jedem einzelnen Psalm Textgestalt, sprachliche und formale Gestaltung und redaktionsgeschichtliche Fragestellungen. Die Erträge dieser Analysen werden danach jeweils in eine detaillierte inhaltliche Synthese integriert, in der die Frage nach der Bedeutung der Vergänglichkeitsaussagen im Zentrum steht. F. gelangt dergestalt zu drei Texten, die das Problem menschlicher Vergänglichkeit in aller Komplexität und Bedrohlichkeit zur Sprache bringen, dabei aber jeweils eigenständige Aspekte und Zugänge benennen. Für Ps 39 benennt F. eine ambivalente Gottesbeziehung als Generalnenner des Textes: Der Beter schwankt zwischen der vertrauensvollen Bitte um Belehrung über den Tod und dem Vorwurf, dass Gott selbst den Menschen hinfällig geschaffen habe (kulminierend in der Polarität von saelaem und haebael V.7), zwischen Gott als Hoffnungsgrund (V. 8) und Gott als Strafendem (V. 11 f.). Der Text bleibt offen in dem Bewusstsein, auf Gott ebenso angewiesen wie ihm ausgeliefert zu sein (V. 13 f.). Gelangt so in Ps 39 die Weisheit angesichts des Todes scheinbar an ihr Ende, wagt Ps 49 einen neuen Anfang im Vertrauen auf Gottes Macht, die Todesgrenze zu überwinden. So stirbt der einsichtige Mensch mit der Aussicht, dass Gott nach dem Tod eine neue Beziehung zu ihm konstituiert (so zu V. 16; 125 ff.). Ps 90 schließlich gelangt vom Lobpreis des ewigen Gottes zur Hoffnung auf eine Zukunft für nachfolgende Generationen: Die Sterblichkeit des Einzelnen geht in einem geschichtlichen Zusammenhang auf. Der nicht geleugneten Härte des eigenen Todes begegnet der Text mit der Bitte um ein sinnvolles Leben.

Angesichts dieser komplexen und differenzierten Einzelergebnisse wünscht man sich eine Zusammenfassung des exegetischen Ertrags. Diese erfolgt so nicht, stattdessen stellt F. in Kap. 5 zunächst den weisheitlichen Hintergrund der Vergänglichkeitsthematik dar (201-243), bevor sie ihn im Schlussabschnitt (244-254) an die analysierten Texte zurückbindet. Reichtum und Vergänglichkeit (Ps 39,7; 49), Schuld und Vergänglichkeit (Ps 39; 90) sowie Geschöpflichkeit und Vergänglichkeit (Ps 49,13.21; 90) werden auf ihre Ausführung in den Büchern Prv, Hi, Koh und Sir untersucht. Dabei wählt F. einen sozialgeschichtlich orientierten Zugang zur Weisheitsliteratur (201 ff.), der Schwerpunkt liegt auf der nachexilischen Weisheit, der die analysierten Psalmtexte entstammen. So ergibt sich als Profil der Weisheitsliteratur eine theologische Durchdringung der Verunsicherung und der sozialgeschichtlichen Verwerfungen der nachexilischen Zeit durch Angehörige einer theologisch engagierten Oberschicht. Die spezifischen theologischen Ansätze der drei Psalmen unter dem Gesichtspunkt ihrer unmittelbaren weisheitlichen Nachbarschaft verdeutlicht Ps 39 in seiner Affinität zu Hiob, Ps 49 zu Kohelet, Ps 90 in seiner Zuordnung zu Kohelet einerseits und Sirach andererseits.

Vor dem Hintergrund des Ziels, Texte theologisch und sprachlich zu durchdringen, hätte sich möglicherweise eher eine Auseinandersetzung mit literarisch-theologischen Analysen weisheitlicher Literatur angeboten. Solche Ansätze (für Hiob z. B. Maag, Witte, Perdue; für Prv Hausmann, Scoralick, Doll) hat F. leider nicht berücksichtigt. So bleibt die Darstellung der theologischen Dimension atl. Weisheitsliteratur hinter den anregenden und sensiblen Einzelwahrnehmungen zurück. Offen bleibt auch, welchen Beitrag die Theologie und Sprache der Psalmen zur Wahrnehmung und Darstellung menschlicher Sterblichkeit leistet; hier bewegt sich F. weitgehend in den Bahnen traditionell gattungsgeschichtlicher Psalmenexegese. Die Impulse der redaktionsgeschichtlichen Psalter-Exegese im Gefolge Zengers setzt F. indes gewandt um, wenn sie gerade den unmittelbaren redaktionellen Kontext der analysierten Psalmen als Interpretationshorizont benennt (vgl. Ps 40 als Fortsetzung von Ps 39; Ps 39 als Erwiderung auf Ps 37; 27 ff.). Überhaupt öffnet sich im Dialog von Einzeltexten bei F. ein weiter Horizont atl. Sprechens von Leben und Tod: Das zwar als "Auswahl" bezeichnete, aber nichtsdestoweniger umfassende Stellenregister (270-277) legt davon Zeugnis ab.

Die bei aller Detailliertheit gut lesbaren Exegesen, die eindringliche, anschauliche und pointierte Darstellung des Todes im Gebet machen F.s Dissertation zur Gewinn bringenden Lektüre für alle, die in der Auseinandersetzung mit Bibeltexten Impulse für die theologische Theorie und Praxis gewinnen wollen. Alttestamentlich Interessierte werden aus der umfassenden Analyse nicht allzu häufig behandelter Texte zusätzlichen Nutzen ziehen.