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Ausgabe:

September/2001

Spalte:

906 f

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Lührmann, Dieter [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Fragmente apokryph gewordener Evangelien in griechischer und lateinischer Sprache. Hrsg., übers. u. eingel. in Zusammenarb. m. E. Schlarb.

Verlag:

Marburg: Elwert 2000. VII, 199 S. m. Abb. u. Tab. gr.8 = Marburger theologische Studien, 59. Kart. DM 48,-. ISBN 3-7708-1144-5.

Rezensent:

Otfried Hofius

Einen wesentlichen Bestandteil der sog. Neutestamentlichen Apokryphen bilden die apokryphen Evangelien, von denen zum Teil nur Fragmente auf uns gekommen sind. Der anzuzeigende Band bietet die griechischen und lateinischen Fragmente in Text und Übersetzung dar. Vorausgeschickt wird jeweils eine auf das Wesentliche konzentrierte und mit hilfreichen Literaturangaben verbundene Einführung. Der Anmerkungsapparat enthält u. a. Hinweise auf biblische und außerbiblische Parallelen sowie Mitteilungen zur Textkritik und zu den unterschiedlichen Ergänzungen der nur bruchstückhaft erhaltenen Texte.

Der Band wird durch eine informative Einleitung (1-20) eröffnet, an die Tabellen zu den griechischen Handschriften der kanonischen Evangelien (bis ca. 300 n. Chr.), zu den Handschriften der apokryphen Evangelien und zu den Erstveröffentlichungen der Funde angefügt sind (21-24). Die Texte selbst werden nach "identifizierbaren" und "nicht identifizierbaren" Fragmenten unterschieden. Die erste Gruppe (25-137) umfasst das Ägypter-, Ebionäer-, Hebräer-, Maria-, Petrus- und Thomasevangelium, ferner das Evangelium Marcions, die "Sophia Jesu Christi", Tatians Diatessaron sowie "Das Evangelium im Zweiten Clemensbrief". Zu der zweiten Gruppe (139-179) zählen vor allem die Papyrusfragmente PEgerton 2 (mit PKöln 255), PMerton 51, POxy 840 und POxy 1224, während das sog. Fajjumfragment (PVindob G 2325) dem Petrusevangelium zugeordnet wird (73 f. 80 f.). Lediglich in einem Anhang (181-185) wird das - mit Recht skeptisch beurteilte - "Geheime Markusevangelium" behandelt. Bildnachweise (zum Petrusevangelium), ein Register der Personen, Eigennamen und Orte sowie ein nützlicher Wortindex zu dem gesicherten Textbestand der griechischen Fragmente schließen den Band ab (187-199).

Dass das einschlägige Material jetzt (fast vollständig) in einer Sammlung greifbar ist, die auch die neueren Funde berücksichtigt, ist sehr zu begrüßen. Fragen kann man, ob Texte wie Tatians Diatessaron oder das von A. von Harnack rekonstruierte "Evangelium Marcions", aus dem nur einige wenige Beispiele mitgeteilt werden, zu den "apokryph gewordenen Evangelien" gehören.

Was ferner das "Evangelium" anlangt, dem die im Zweiten Clemensbrief angeführten Jesusworte entnommen sein sollen, so wird man begründete Zweifel an seiner Existenz haben können. Nach meinem Urteil handelt es sich - von dem Agraphon 2Clem 12,2.6 abgesehen - um zumeist freie Zitate aus dem Matthäus- und dem Lukasevangelium oder aber (so 2Clem 4,5a; 5,4a; 8,5a) um Aus- bzw. Umgestaltungen von Worten dieser Evangelien. - Drei weitere kritische Punkte seien in aller Kürze angesprochen:

Eine nähere Begründung für die Bestimmung des dem Hebräerevangelium zugewiesenen Materials wird nicht gegeben, sondern für eine gesonderte Publikation in Aussicht gestellt (18), und zum Ausschluss des Nazaräerevangeliums finden sich nur einige knappe Bemerkungen (42). Glücklich ist dieses Verfahren kaum. Wer etwa die in der lateinischen Übersetzung von Origenes' Matthäus-Kommentar (XV 14) überlieferte und dort dem Hebräerevangelium zugeschriebene Erzählung vom reichen Jüngling sucht, sucht vergeblich und erfährt auch nicht, weshalb sie - im Unterschied zu ihrer Wiedergabe bei E. Klostermann, Apocrypha II: Evangelien, 31929, 8 f. - in der vorliegenden Sammlung fehlt.

In dem - insgesamt lehrreichen - Band wird, wie schon der Titel programmatisch anzeigt, sehr bewusst von apokryph bzw. kanonisch gewordenen Evangelien gesprochen. Dass es durchaus in der Qualität der Texte selbst begründet liegt, wenn die vier neutestamentlichen Evangelien kanonisch, Schriften wie das Thomas- und das Petrusevangelium hingegen apokryph geworden sind, daran kann nach meiner Überzeugung kein Zweifel bestehen.