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Ausgabe:

September/2001

Spalte:

902 f

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Krasovec, Joze [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Interpretation of the Bible. The International Symposium in Slovenia.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Academic Press 1999. 1909 S. gr.8 = Journal for the Study of the Old Testament, Suppl.Series 289. Lw. £ 95.-. ISBN 1-85075-969-3.

Rezensent:

Thomas Söding

Der repräsentative Band dokumentiert ein kulturpolitisches Spitzenereignis in der neueren Geschichte Sloweniens von europäischem Rang. Aus Anlass des sechzigjährigen Bestehens der slowenischen Akademie der Wissenschaften und Künste erscheint das Buch mit den gesammelten Beiträgen eines internationalen Kongresses, der vom 17.-20. September 1996 unter maßgeblicher Beteiligung der Universitäten Ljubljana und Maribor in der Hauptstadt Sloweniens in Anwesenheit höchster Repräsentanten aus Politik und Kirche stattfand. Anlass war die dem Herausgeber übertragene Aufgabe, die Bibel ins Slowenische neu zu übersetzen. Die geopolitische Lage schreibt der kleinen Republik, die sich erst seit kurzem staatlicher Unabhängigkeit erfreut, eine große Rolle als Mittlerin zwischen Ost und West, Süd und Nord zu, aber ebenso zwischen der lateinischen und der orthodoxen Kirche. Deshalb ist es ein Glücksfall, dass slowenische Kollegen, der Hg. an der Spitze, seit langem Vollmitglieder der "scientific community" sind und den bedeutenden Kongress zu organisieren imstande waren.

Der wissenschaftliche Wert des Berichtsbandes ist hoch. Das große Thema, "Übersetzung" wird nicht in enger Konzentration auf Translationstheorien behandelt, sondern in weiter Öffnung sowohl für die große Geschichte der Bibelübersetzungen im Allgemeinen, besonders in der Antike, als auch für die besonderen Erfahrungen und Aufgaben in Slowenien, die Anlass für grundsätzliche Erörterungen zum Problemkreis Übersetzung - Interpretation - Inkulturation geben. Auch wer (wie der Rez.) das Slowenische nicht beherrscht, wird mit großem Gewinn die Paradigmatik erkennen; kein anderes aktuelles Übersetzungsprojekt dürfte derzeit so tiefschürfend und grundlegend reflektiert worden sein.

Die 82 Artikel sind in englischer, französischer oder deutscher Sprache veröffentlicht und mit anderssprachigen Zusammenfassungen (darunter auch in Slowenisch) versehen. Drei Sektionen gliedern die Materialfülle. Die erste Abteilung widmet sich antiken Bibelübersetzungen. In paradigmatischer Manier werden nicht nur textkritische und hermeneutische Fragen im Umkreis von Qumran (E. Tov), Septuaginta (J. Lust, A. Schmitt) und Targum (M. Klein, A. Rofé) diskutiert; der Bogen spannt sich weit von den Samaritanern (A. Tal) über die Syrer (R. P. Gordon, S. P. Brock) und viele andere orientalische Kirchen (M. v. Esbroeck) bis zu den Rabbinen (J. H. Ellens, M. Ish-Horowicz) und von historischen Schlüsselereignissen (O. Keel zu Antiochus IV.) über den Kanonisierungsprozess (G. S. Oegema zur Johannesoffenbarung) bis zu prinzipiellen hermeneutischen Positionen (P. Grech zur regula fidei).

Sektion 2 ist eine Fundgrube für Übersetzungswissenschaftler. Die Beiträge behandeln historische und aktuelle Übersetzungsprojekte u. a. in Slowenien (F. J. Thomson, C. M. MacRobert, H. R. Cooper jr., J. Krasovec), Kroatien (A. Zaradijkis, A. Nazor, A. Rebic), Tschechien (J. Pecirková), Polen (B. Wodecki), Ungarn (G. Benyik), Norwegen (M. Sæbø) und Friaul (A. Beline). Aus deutscher Sicht dürften zwei Beiträge besonderes Interesse wecken: M. G. Solowki portraitiert "Bibelübersetzungen ins Lausitzer Sorbische" (1235-1242), B. M. Metzger informiert über eine erste Translation ins "Pennsylvania Dutch" von 1994 (1305-1313). Beide faszinierenden Fallstudien zeigen, welch nach wie vor herausragende Bedeutung eine Bibelübersetzung für die kulturelle Identität eines Volkes und einer Sprachgruppe hat und welch enorme Anstrengungen gerade kleine Gemeinschaften auf sich zu nehmen bereit und in der Lage sind, die Bibel in der eigenen Muttersprache (auch dem Mutterdialekt) zur Sprache zu bringen.

Die dritte Sektion versammelt unter dem Titel "Interpretation der Bibel auf verschiedenen Feldern" sowohl hochinteressante Einzelstudien zu bestimmten Übersetzungsproblemen (N. Lohfink über Kohelet) und Übersetzern (N. Hohnjec zu Flavius Illyricus) als auch zur theologischen Hermeneutik (aus orthodoxen Traditionen A. A. Alekseyev; S. Agourides, aus katholischen M. Görg, J. Gnilka) sowohl zu einer vom Neuen Testament selbst aus entwickelten Hermeneutik (K. M. Woschitz) als auch zu den zahlreichen Spuren der Bibelrezeption in der Literatur verschiedener Sprache (J. Kos; H. Röhling), der Kunst (J. Höfler über slowenische Fresken und Armenbibeln) und ganz allgemein einer nationalen Kultur (S. Botica über Kroatien, Y. Sverstink über die Ukraine, V. Potocnik über Slowenien, C. V. Ukachukwa über Nigeria).

Die Rezension bietet keinen Platz für Einzelkritik. Im Ganzen zeigt der Band auf beeindruckende Weise die Vielfalt sowohl an Zugängen zur Schrift als auch an Wirkungen der Schrift in unterschiedlichen Sprachen und Kulturen. Selbstverständlich kann der Band nicht die Geschlossenheit eines Handbuchs erreichen; er bietet Gelegenheit für überraschende Funde, und vor allem zeigt er ein breites Panorama exegetischer Arbeit, die gerade in ihren härtesten Formen - Sicherung des Textes und gute Übersetzung - nicht im Elfenbeinturm bleibt, sondern größte religiöse und kulturelle Bedeutung gewinnt.