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Ausgabe:

September/2001

Spalte:

894–896

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Lukatis, Ingrid, Sommer, Regina, u. Christof Wolf [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religion und Geschlechterverhältnis.

Verlag:

Opladen: Leske + Budrich 2000. 300 S. 8 = Veröffentlichungen der Sektion "Religionssoziologie" der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, 4. ISBN 3-8100-2546-1.

Rezensent:

Isolde Karle

Der Band versammelt Beiträge einer gleichnamigen Tagung der Sektion Religionssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Die Beiträge sind sehr kurz gehalten. Manchmal ist das erfrischend, oft erscheinen die Beiträge aber auch etwas holzschnittartig und thetisch. Nicht selten hätte man sich eine ausführlichere und tiefergehende Diskussion gewünscht und dafür lieber auf den einen oder anderen Beitrag zum selben Thema verzichtet. Das Buch beschäftigt sich aus religionssoziologischer Perspektive mit der Frage nach dem Verhältnis von Religion und Geschlechterordnung. Das ist bemerkenswert, zeigte sich doch die Religionssoziologie bislang eher indifferent gegenüber der Geschlechterklassifikation und hat sich umgekehrt die Frauen- und Geschlechterforschung kaum für den Zusammenhang von Religion und Geschlecht interessiert.

Der Band geht dem Verhältnis von Religion und Geschlecht in sehr verschiedener Hinsicht nach. Einige Beiträge beschäftigen sich mit der Frage, inwiefern männliche oder weibliche Gottesbilder die Geschlechterordnung in einer Gesellschaft bestimmen und kommen dabei zu bemerkenswert unterschiedlichen Ergebnissen (19 ff.131 ff.225 ff). So stellt Annette Wilke entgegen einer weit verbreiteten feministischen Überzeugung fest, dass religiöse Symbole die Geschlechterordnung nicht wesentlich beeinflussen (20) und ihre Wirkmacht deutlich überschätzt wird. Sie kommt zu dem Schluss: "Lebendige Traditionen der großen Göttin und androgyne Gottesbilder, wie wir sie im Hinduismus finden, haben keine soziale Besserstellung der Frau hervorgebracht als der strenge Monotheismus des Islam." (23) Zugleich neige der feministische Diskurs im Hinblick auf andere Kulturen dazu, "ein stereotypes Frauenbild zu reproduzieren" (25) und mit der Suche nach weiblichen Gottesbildern genau jene Repräsentation von Frauen fortzuschreiben, gegen die der Feminismus angetreten sei (31). Außerdem würden die Möglichkeiten traditioneller Frauenrollen, die von Frauen nicht nur konterkariert und umgedeutet würden, sondern auch Sicherheit und Selbstbewusstsein verleihen könnten, tendenziell unterschätzt (26).

Diese zutreffenden und scharfen Beobachtungen finden auch innerhalb des Bandes selbst Bestätigung. So wirkt die Beobachtung christlicher Tradition und männlich-weiblicher Religiosität gelegentlich etwas klischeehaft. Das Christentum wird als patriarchale Religion, die bis heute von Männern dominiert wird, eingestuft. Auf dem Hintergrund dieses Vorverständnisses werden die Biographien von Christinnen interpretiert, die dann als "empirisches" Beweismaterial herangezogen werden, um in einer Art "self-fulfilling prophecy", so gewinnt man zuweilen den Eindruck, nur noch die Ergebnisse zu bestätigen, die ohnehin erwartet wurden. Gegenläufige Tendenzen und Entwicklungen, die es in der christlichen Tradition und Kirche von Anfang an und durch die ganze Geschichte hindurch immer wieder gab, werden kaum wahrgenommen und die Entfaltungsmöglichkeiten insbesondere von modernen und individualisierten Frauen in der Kirche der Gegenwart deutlich unterschätzt, ganz zu schweigen davon, dass es heute in der evangelischen Kirche prozentual deutlich mehr Frauen in Leitungspositionen gibt als Hochschullehrerinnen im Wissenschaftssystem oder Vorstandschefinnen im Wirtschaftssystem. Auch der theoretisch anspruchsvolle Beitrag von Monika Wohlrab-Sahr und Julika Rosenstock unterliegt einer pauschalierenden Betrachtungsweise. Er abstrahiert so stark von den konkreten Praxisformen der Hochreligionen, dass die Ergebnisse am Ende nicht mehr viel Aussagekraft besitzen. So mag die Behauptung, die Differenz rein/unrein sei eine prinzipielle Zweitcodierung der Religion, die die enge Kopplung von Religion und (patriarchaler) Geschlechterordnung begründe, auf manch religiöse Bewegung zutreffen, aber im volkskirchlich praktizierten Christentum der Gegenwart beispielsweise spielt sie eine völlig untergeordnete Rolle und dürften die dichotomen Identitätsvorstellungen des 19. Jh.s das Geschlechterverhältnis weitaus nachhaltiger prägen. Die These der Autorinnen lässt sich eventuell im Hinblick auf fundamentalistische Bewegungen verifizieren und nur auf diese beziehen sich die Autorinnen auch zu Recht zu Beginn des Beitrags (280). Am Ende allerdings scheint die These von der Zweitcodierung rein/unrein Universalgültigkeit für jedwede Form von Religion zu beanspruchen (295 ff.).

Erfreulich differenziert sind die interessanten Beiträge von Theresa Wobbe (49 ff.) und Gertrud Hüwelmeier (215 ff.), die sich durch hohe Detailkenntnis, Konkretheit und Reflektiertheit auszeichnen. Theresa Wobbe beschreibt in ihrem Beitrag, wie Edith Stein zu Beginn des Jahrhunderts die neuen Partizipationsmöglichkeiten von Frauen reflektiert und gezielt zu nutzen verstand, dabei zugleich an harte Blockaden im Wissenschaftssystem stieß und deshalb schließlich eine Entscheidung traf, die sie aus der Welt heraus ins Kloster führte. Höchst aufschlussreich beschreibt Wobbe den Weg Edith Steins ins Kloster nicht als Absage an ein modernes Lebenskonzept, sondern zeigt, dass Steins Konversion und ihr Entschluss für das Ordensleben zu Beginn der NS-Herrschaft eine hohe Plausibilität für die moderne und intellektuelle Jüdin hatte, die sich durch die "Totalinklusion" ins Klosterleben vor den Ausschlussmechanismen und Diskriminierungen des Faschismus zu schützen versuchte.

Der Beitrag von Gertrud Hüwelmeier befasst sich mit den Weiblichkeitskonstruktionen in der Ordensgemeinschaft der Armen Dienstmägde Jesu Christi. Hüwelmeier zeichnet ein eindrucksvolles und vielschichtiges Bild dieses weiblichen Ordens und kommt dabei zu dem Schluss, dass die "These von der universalen männlichen Dominanz und die Rede vom ,Patriarchat der Kirche'" (222) im Hinblick auf jene Bereiche, die von Frauen gestaltet werden, überprüft werden müssten. Denn: "Nimmt man die religiösen Erfahrungen, Wahrnehmungen und Deutungen von Menschen ernst, und blendet man nicht ihre Rolle als Akteure aus, ergibt sich möglicherweise ein differenzierteres Bild von der unterschiedlichen Bedeutung der Religion für beide Geschlechter am Ende des 20. Jahrhunderts." ( 222)

Schließlich finden sich am Ende des Bandes noch anregende Beiträge zu den Entfaltungsmöglichkeiten und Lebensstilen von engagierten Musliminnen. Sie sind durchweg von dem Bemühen geprägt, keine Klischees zu reproduzieren, sondern differenziert zu beobachten. So zeigt Gritt Klinkhammer, dass das Tragen des Kopftuches nicht vorschnell als ein patriarchaler und damit für Frauen repressiver Lebensstil abzuwerten ist, sondern für Muslimas auch ein Mittel der Selbstbehauptung (271 ff.), der Gewinnung von Unabhängigkeit und der Autorität gegenüber männlichen Ansprüchen sein kann (277 f.). Die Beiträge von Karin Werner (241 ff.) und Ruth Klein-Hessling (251 ff.) stellen dar, wie sich Frauen innerhalb einer androzentrischen Gesellschaftsordnung durch die Hinwendung zum Islam neue Handlungsfelder erschließen (249) und an Status gewinnen können (259). Und Sigrid Nökel macht deutlich, wie junge Frauen im individualisierten Deutschland durch einen neo-islamischen Lebensstil ihre Identität selbst definieren und sich dabei keineswegs dem traditionellen Patriarchalismus der Familienväter fügen (261 ff.).

Der Band zeigt in den starken wie in den schwächeren Beiträgen, wie wichtig, anregend und lohnend es ist, dem komplexen Verhältnis von Religion und Geschlechterordnung nachzugehen. Der Band macht zugleich deutlich, dass die damit gestellte Aufgabe hohe Anforderungen an die Person der Forscherin und des Forschers stellt, weil gleich beide Gebiete, Religion und Geschlecht, emotional hoch besetzt sind und das Bemühen um wissenschaftliche Objektivität deshalb doppelten Belastungen ausgesetzt ist.