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Ausgabe:

März/1999

Spalte:

335 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Weth, Rudolf [Hrg.]

Titel/Untertitel:

Was hat die Kirche heute zu sagen? Auftrag und Freiheit der Kirche in der pluralistischen Gesellschaft.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1998. 187 S. 8. Kart. DM 38,-. ISBN 3-7887-1657-6.

Rezensent:

Dietrich Mendt

Das Buch ist ein Bericht über die Tagung der Gesellschaft für Evangelische Theologie über das gleiche Thema im Februar 1997 in Münster. Tagungsberichte finden oft wenig Leser. Was dieses Buch interessant macht, ist das Thema. Der Vorsitzende der Gesellschaft und Herausgeber des Bandes, Rudolf Weth, sagt in der Einleitung: "Wenn die Kirche - und das gilt natürlich von der Kirche Jesu Christi überhaupt, darum aber auch von unserer evangelischen Kirche - keinen unverwechselbaren Auftrag mehr hat oder erkennt, dann hat sie nicht nur ihre Freiheit verloren, die an ihrem Auftrag hängt, sondern auch ihre Existenzberechtigung." (7) Dazu auch Wolfgang Huber in seinem Grundsatzreferat: "An Christi Statt aber handelt die Kirche nur, wenn sie durch Wort und Sakrament erkennbar macht, wie die Vielfalt ihrer Worte und Werke mit dem Wort und Werk Jesu Christi zusammenhängt und zusammengehört. An Christi Statt handelt die Kirche zugleich nur, wenn sie ihren Auftrag so ausrichtet, daß Menschen als unverwechselbare Personen wahrgenommen und deshalb in ihren letzten Fragen ernstgenommen werden." (18) Schon dieses Zitat macht deutlich, daß sich das Thema verschiebt. Zwar nutzen mehrere Beiträge die 6. Barmer These, um Inhalte zu beschreiben, aber die Schwerpunkte des Buches werden nicht beim Inhalt des Auftrages gesetzt, sondern bei der Art und Weise, wie Kirchen und Gemeinden diesen Auftrag heute wahrzunehmen haben. Das mindert aber in meinen Augen das Interesse nicht, sondern steigert es.

In der Kürze dieser Rezension ist es nicht möglich, alle Beiträge zu erläutern, aber zweierlei wird ermutigend deutlich gemacht: Die in der Welt vorhandene und in der Verkündigung geforderte Pluralität ist eine Chance - und der Auftrag verlangt immer ein Eingehen auf die Situation, eine Übersetzung des Evangeliums in die Welt von heute. "Als Orte der Gemeinschaft aus kommunikativer Freiheit tragen sie (die Kirchen! Rez.) in all den Begrenztheiten kirchlicher Alltagsrealität die Verheißung in sich, Verbindlichkeit zu repräsentieren, ohne in die Enge zu verfallen, Pluralismus zu pflegen, ohne in Beliebigkeit zu diffundieren, im Partikularen verwurzelt zu sein, ohne sich dem universalen Horizont zu verschließen, sich an den Bedürfnissen der anderen zu orientieren, ohne die eigenen Bedürfnisse zu verleugnen", schreibt Heinrich Bedford-Strohm in seinem Beitrag über "Kirche in der Zivilgesellschaft" (107). Und Peter Bukowski sagt unter der Überschrift "Die Botschaft von der freien Gnade": "Weil es keinen menschenlosen Gott gibt, darf es die situationslose Predigt nicht geben, und Ernst Lange hat recht mit seiner Forderung, die Situation müsse mit der gleichen Sorgfalt exegesiert werden wie der Text." (37)

Allerdings wird von Wilhelm Gräb in seinem Beitrag "Predigt als religiöse Rede in der pluralistischen Gesellschaft" der Auftrag offener gesehen. Er plädiert für eine "Relativierung" (42). "Wenn die Kirche in der nach differenten Funktionen organisierten Gesellschaft etwas zu sagen hat, dann zu Fragen der Religion." (42) "Sie kann nicht mehr auf kirchlich-institutionelle Verbindlichkeit setzen." (46) Entscheidend ist letztlich, was einem Menschen "guttut" (54). Allerdings ist diese Position eine Ausnahme, gegen die sich z. B. Huber und Bukowski energisch zur Wehr setzen.

Im Ganzen enthält das Buch wertvolle Anregungen zur Predigt (Peter Bukowski, Wilhelm Gräb, Werner Schwartz, Irmgard Weth, Heino Falcke, Sylvia Bukowski), zur Seelsorge (Isolde Karle), zum Religionsunterricht (Hans-Jürgen Abromeit), zur "Zivilgesellschaft" (Heinrich Bedford-Strohm, Rudolf Weth), zur Diakonie (Michael Schibilsky) und zur Ausbildung der Pfarrer und Pfarrerinnen (Hanna Zapp) sowie einen Vortrag über Philipp Melanchthon, den Hans Georg Geyer auf der vorangegangenen Tagung der Gesellschaft gehalten hat.

Ein paar kritische Anmerkungen: Zunächst eine Randbemerkung: Das ganze Buch hat sich der sprachlichen Unsitte verschrieben, männliche und weibliche Formen zu mischen in der Schreibweise "PfarrerInnen", die man nur schreiben und nicht lesen kann. Das erschwert die Lektüre. Ich meine, man sollte respektvoll und verständlich sagen und schreiben "Pfarrerinnen und Pfarrer".

Schwerwiegender ist für mich, daß Beiträge aus den östlichen Bundesländern mit Ausnahme des Beitrags von Falcke, fehlen und damit auch deren Erfahrungsbereich. Schon vor und unmittelbar nach der Mauer haben sich Gruppen (z. B. Bischofswerdaer Arbeitskreis, Lückendorfer Arbeitskreis, Weißenseer Arbeitskreis, die DDR-Arbeitsgruppe für die Weltkirchenratsstudie "die Struktur der missionarischen Gemeinde") Gedanken gemacht über den Zusammenhang von Verkündigung und Situation. Christian Hoekendijks These "Die Welt stellt die Tagesordnung auf" hat damals eine erhebliche Rolle gespielt. Obwohl literarisch etliches Material vorliegt, ist es in der Erinnerung fast völlig verblaßt durch die Tatsache, daß die DDR-Kirchen nach der Wiedervereinigung sofort in die vorhandenen westdeutschen volkskirchlichen Strukturen zurückgekehrt sind.

Eine andere Anmerkung betrifft Sprache und Stil. Warum ist es nicht möglich, Sachverhalte, die das Evangelium betreffen, verständlich darzulegen, wie es in dem Buch besonders eindrücklich in den Beiträgen von Peter Bukowski, Irmgard Weth, Heino Falcke und Sylvia Bukowski gelingt? Natürlich sind dies zum Teil Beiträge unmittelbarer Verkündigung. Aber wenn die Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazareth ins Evangelium gehört, dann ist Verständlichkeit nicht nur Sache der Methode. Gott hat sich in Jesus - aus Liebe zu den Menschen - selbst übersetzt! Ein unübersetztes Evangelium kann darum kein Evangelium sein.