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Ausgabe:

Juli/August/2001

Spalte:

842 f

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bergunder, Michael [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Missionsberichte aus Indien im 18. Jahrhundert. Ihre Bedeutung für die europäische Geistesgeschichte und ihr wissenschaftlicher Quellenwert für die Indienkunde.

Verlag:

Halle: Verlag der Franckeschen Stiftungen zu Halle 1999. X, 260 S. 8 = Neue Hallesche Berichte, 1. Kart. DM 49,-. ISBN 3-931479-3.

Rezensent:

Ulrich van der Heyden

In geradezu rasanter Weise sind in den vergangenen ein bis zwei Jahrzehnten historische missionarische schriftliche Quellen für die verschiedensten in Europa vertretenen geisteswissenschaftlichen Disziplinen "entdeckt" worden. Überwog früher im Verhältnis zwischen Missionswissenschaftlern und Vertretern profaner Wissenschaftsdisziplinen vornehmlich der Streit um das Verhältnis von Mission und Kolonialismus, so hat sich nunmehr eine Versachlichung in die Kontroverse eingestellt, die den reichen in den zumeist europäischen Missionsarchiven lagernden wahren, in der Regel noch ungehobenen Schätzen zu Gute kommt. Zu Recht, geben doch vor allem die als periodisches Berichtsorgan der Missionsgesellschaften fingierenden Berichte- seien es persönliche oder Stations oder Synodalberichte - von Missionaren an ihre Heimatleitungen detailliert Auskunft darüber, was auf dem Missionsfelde passierte. Und es wurde nicht nur über Erfolge und Misserfolge bei der Christianisierung berichtet, sondern auch über das kulturelle und politische Umfeld. Oftmals gibt es kaum andere Quellen für die Geschichtsschreibung aus jenen überseeischen Regionen, in denen die europäischen Missionare aktiv waren. Diese liegen in publizierter oder auch zum Teil in ungedruckter Form in den Bibliotheken und Archiven der europäischen Missionsgesellschaften vor.

Da die südindischen lutherischen Kirchen sich auf das Jubiläum ihres 300-jährigen Bestehens im Jahre 2006 vorbereiten und dazu ein "Lutheran Heritage Project" ins Leben gerufen haben, hat man sich bei den Franckeschen Stiftungen verpflichtet gesehen, die alten Traditionen aus dem frühen 18. Jh., als Missionare aus Halle nach Tranquebar reisten und die DänischHallesche Mission begründeten, zu erforschen. Dafür steht ein reichhaltiges historisches Archiv zur Verfügung. Die dort vorhandenen Palmblattsammlungen tragen wohl einmaligen Charakter. Die Schätze des Archivs gilt es zu popularisieren.

Im Mittelpunkt einer internationalen historischen Konferenz, die 1997 stattfand, und deren Ergebnisse in dem vorliegenden Sammelband publiziert worden sind, standen vor allem die "Halleschen Berichte". Dieses in 108 Bänden zwischen 1710 und 1770 herausgegebene Werk vermittelt nicht nur einen detaillierten Einblick in die Aufgaben, die Erfolge und Sorgen der europäischen Missionare in Südindien, sondern es informiert auch über ethnische Zusammensetzung, kulturelle Besonderheiten, religiöse Anschauungen, politische Vorgänge, geographische und klimatische Gegebenheiten und über die Lebensweise der indigenen Bevölkerung, der europäischen Kolonialherren sowie der Missionare. Somit sind die Berichte eine einmalige Quelle zur südindischen Kulturgeschichte.

Während bislang Theologen und Missionswissenschaftler die Halleschen Berichte vor allem als historische Quelle zur indischen Kirchengeschichte genutzt haben, lagen sie für Indologen oftmals außerhalb des Interesses, weil sie, wie es im ersten Aufsatz heißt, "bei den christlichen Missionaren eine überaus negative Voreingenommenheit gegenüber der indischen Kultur und Religion gegeben sahen, die eine objektive Berichterstattung unmöglich mache" (5). Dabei wurde vergessen, dass eine der wichtigsten historischen Methoden die der Quellenkritik ist. Diese hätte man nur, wie auch bei anderen historischen Quellen, anwenden müssen. Man tat es jedoch kaum. Dass dies nun anders wird, möchten die Autoren und der Herausgeber mit ihrem Buch, in dem elf Beiträge in englischer oder deutscher Sprache publiziert sind, bewirken.

Um auf alle hier repräsentierten Beiträge, durchgehend aufschlussreiche Untersuchungen, im Einzelnen einzugehen, fehlt an dieser Stelle der Platz. Am engsten an der vorgegebenen Thematik liegt H. Obst, der einen allgemeinen Überblick über die Bedeutung der Missionsberichte aus Indien im missionsgeschichtlichen Kontext gibt, jedoch auch H.W. Gensichen, der sich mit den globalen Perspektiven in den Halleschen Berichten auseinandersetzt. D. Jeyaraj gibt eine exzellente Zusammenschau zur Bedeutung der Halleschen Berichte für die Südindienkunde. Zur Theologie und Kulturkritik in den "Neuen Halleschen Berichten" äußert sich A. Nehring. Drei Beiträge untersuchen die hier im Mittelpunkt stehenden Periodika im Hinblick auf ihre Aussagefähigkeit gegenüber anderen Religionen. So filtert M. Bergunder Aussagen zum Hinduismus und H. Liebau zum Islam aus den schriftlichen Zeugnissen der Missionare aus Halle heraus. G. Dharampal-Frick untersucht die Auslassungen von B. Ziegenbalg über Religion und Gesellschaft der Tamilen.

Hervorzuheben ist die am Ende des Buches plazierte detaillierte Auswahlbibliograhie zur christlichen Missionsgeschichte in Indien des 18. Jh.s. Sie ermöglicht eine weitergehende Beschäftigung mit diesem Kapitel der indischen Missionsgeschichte. Vor allem jedoch stellen die dargebotenen Forschungsergebnisse hierfür eine solide Basis dar.