Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2001

Spalte:

840 f

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Müller, Ludger

Titel/Untertitel:

Der Rechtsbegriff im Kirchenrecht. Zur Abgrenzung von Recht und Moral in der deutschsprachigen Kirchenrechtswissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts.

Verlag:

St. Ottilien: EOS 1999. XXV, 342 S. gr.8 = Münchener theologische Studien. III. Kanonistische Abt., 52. Geb. DM 68,-. ISBN 3-88096-352-5.

Rezensent:

Friedemann Merkel

In der letzten Zeit mehren sich bemerkenswerterweise im Bereich des Kirchenrechts Untersuchungen zu historischen rechtstheoretischen Themen, was den Anschein erwecken könnte als ob die durch das 2. Vatikanische Konzil und die Promulgation des neuen Kodex gestellten Aufgaben erfüllt seien, so dass man sich jetzt wieder zurückliegender Felder annehmen sollte.

Die zu rezensierende Habilitationsschrift (Katholisch-Theologische Fakultät München) ist ein Musterbeispiel für diesen Sachverhalt. Der Vf. untersucht kirchenrechtliche Ansätze von der Mitte des 19. Jh.s bis zur Mitte des 20. Jh.s. Er geht der Frage nach, und der Untertitel versucht dies plakativ deutlich zu machen, wie bei den einzelnen Autoren innerhalb des abgesteckten Zeitraums das Verhältnis von kirchlicher Rechtsordnung und theologischer Aussage, etwa im Bereich der Moral, näher zu bestimmen ist.

Die respektable Zahl der Autoren der Rechtswissenschaft in den juristischen Fakultäten und der Kanonistik innerhalb der katholischen Theologischen Fakultäten ist, zumal für den Nichtspezialisten, beeindruckend. Damals hatte das Kirchenrecht auch an den rechtswissenschaftlichen Fakultäten einen festen Platz für katholische wie für evangelische Rechtsgelehrte.

Die Positionen von mehr als dreißig katholischen Gelehrten werden hinsichtlich des gewählten Fragehorizonts analysiert und dargestellt, nicht ohne die persönlichen Daten in den Anmerkungen notiert zu haben. Der Vf. unterteilt seinen Stoff nach plausiblen Gründen in die Zeit vor der Mitte des 19. Jh.s, behandelt dann den Zeitabschnitt "zwischen ,Syllabus' und Codex Iuris Cannonici 1917", um schließlich die katholische Kirchenrechtswissenschaft nach 1917 zu thematisieren. Hier trifft man auf bekannte Namen wie E. Eichmann, J. B. Sägmüller, A. Pöschl. Als letzter wird Joseph Kleins Ansatz behandelt.

Besondere Anerkennung muss man dem Vf. zuerkennen, dass er sich nicht nur auf das katholische Kirchenrecht beschränkt, sondern seine Untersuchungen auf das evangelische Kirchenrecht ausweitet. Das ist nicht eine ökumenische Freundlichkeit, sondern eine wohl begründete sachliche Notwendigkeit. Schließlich gibt es da wie dort, trotz sehr verschiedener Grundpositionen, deutliche Interdependenzen. So ist das Kapitel über die Evangelische Kirchenrechtswissenschaft eine Art Kompendium der kirchenrechtlichen Ansätze in der genannten Zeit. Dabei wird an so illustre Namen wie P. Hinschius, W. Kahl und E. Friedberg darstellend und würdigend erinnert. Vor allem wird auf relativ großem Raum der Rechtsbegriff R. Sohms entfaltet und die Auseinandersetzung um diesen durch R. Stammler dargelegt.

Schließlich fasst der Vf. die unterschiedliche Bedeutsamkeit rechtlicher Ordnung in der katholischen und evangelischen Kirche (K. Schwarzlose, E. Ruck, A. Erler) erhellend zusammen. Das Kapitel endet einfühlsam mit der Darlegung der Position H. Liermanns (1933).

Schade ist, dass der Vf. nicht noch ein Jahr weiter gegangen ist und die kirchenrechtliche Entwicklung, die durch die Religionspolitik im 3. Reich hervorgerufen wurde, untersucht hat. Schließlich hat die Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche in Barmen (1934) nicht nur die berühmten Barmer Thesen beschlossen, sondern es wurde nach Vorträgen bedeutender Juristen eine Erklärung zur Rechtslage der Bekenntnissynode abgegeben, die in dem Satz gipfelt: "In der Kirche ist eine Scheidung der äußeren Ordnung vom Bekenntnis nicht möglich". Das war ein erheblicher Einschnitt in die Auffassung vom Kirchenrecht der deutschen Protestanten. Hier liegt die eigentliche Zäsur, die auch methodisch von Relevanz ist.

Wir haben es mit einem reiche Kenntnis vermittelnden Buch zu tun.